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Mit der Seele in der Heimat

Hei­di Michael ist eine Ver­triebene aus Bromberg — Heute geht es ihr einzig
um Versöhnung

(MAZ) GROßZI­ETHEN Die Ereignisse von damals haben Bilder. Dabei zählte Heidi
Michael ger­ade vier Jahre, als sie mit ihren Eltern und den Großel­tern, ja
mit halb Bromberg auf die Flucht gehen musste. Zwei Stun­den Zeit zum Packen
hat­ten sie am 20. Jan­u­ar 1945, hat sie später von ihren Eltern erfahren. Und
dass die Leute im näch­sten und übernäch­sten Dorf gedacht haben, der Zirkus
kommt, als der bunte Zug mit den Leuten und den Pfer­de­fuhrw­erken eintraf
auch. Hei­di Michael selb­st kann sich erin­nern, wie die Rat­ten über sie
liefen, wie die Tief­flieger über sie hin­weg­jagten und wie sie vom
Kinder­wa­gen aus alles beobachtete. Zwei Monate war ihre Fam­i­lie — vier
Kinder, Mut­ter und Großel­tern — unter­wegs. Nur der Vater war nicht dabei.
Der war damals beim Volkssturm. Dann kamen sie in Freiburg im Unstrut-Tal
an, wo sie erst ein­mal blieben. Hei­di Michael ist eine Vertriebene. 

Vier­mal, fünf­mal im Jahr fährt die heute 62-Jährige in ihre alte Heimat,
nach Bromberg, das heute auf Pol­nisch Byd­goszcz heißt. Sie liebt diese Stadt
und hat immer davon geträumt, ein­mal hier­her zurück­zukehren. Sie hätte sich
dann in Bromberg eine Woh­nung genom­men und Deutschunter­richt erteilt. Doch
das Leben wollte es anders. Nach­dem ihr erster Mann ver­stor­ben ist, lernte
Hei­di Michael Willi Bel­ger ken­nen, mit dem sie in Großzi­ethen ein
gle­ich­namiges Hotel aufge­baut hat und sei­ther seine Lebens­ge­fährtin ist. An
eine Rück­kehr nach Bromberg ist nun nicht mehr zu denken. Doch mit der Seele
ist sie dort, wo sie zur Welt kam. Es zieht sie hin. Unweiger­lich. Niemand
kann dage­gen etwas machen. Worte tun sich schw­er, das zu erk­lären. Willi
Bel­ger ver­ste­ht sie, begleit­et sie, wann immer es zu Tre­f­fen mit der
Bide­gast-Gesellschaft nach Wil­helmshaven geht, wann immer eine Reise nach
Bromberg sein muss. 

Die Bide­gast-Gesellschaft ist ein Heimatkreis der Landsmannschaft
West­preußen unter Vor­sitz von Wil­fried Samel. Wil­helmshaven ist deshalb ihr
Sitz, weil zwis­chen Bromberg und Wil­helmshaven schon seit 150 Jahren enge
Beziehun­gen beste­hen. Beim Bau des Hafens wurde zum Beispiel vor­rangig Holz
aus dem Kreis Bromberg ver­wen­det. Und noch etwas verbindet die Ortschaften.
Der Flüchtlingszug von 1945 führte zu einem großen Teil nach Wilhelmshaven.
Dem Heimatkreis gehören immer noch über 2000 Mit­glieder an. Doch die Reihen
wer­den immer lichter… Heute sind bei den Tre­f­fen noch um die 200 Frauen
und Män­ner dabei, die dem Gedanken an die alte Heimat treu bleiben. Ihnen
allen ist eines gemein­sam: Die Liebe zu Bromberg und der Wille, dass es der
Stadt und ihren heuti­gen Bewohn­ern gut geht. Wichtig ist ihnen auch, dass
man sich ihrer hier erin­nert, dass man auch von ihrem Schick­sal weiß. Viele
von ihnen wür­den gern einen Gedenkstein für die deutschen Ver­triebe­nen in
Bromberg sehen. Doch die Polen haben damit ihre Prob­leme; zu schw­er wiegt
das eigene Leid. 36 000 Men­schen star­ben in Bromberg durch den Krieg. 

Hei­di Michael akzep­tiert das. Darum legt sie alljährlich Blu­men am Denkmal
für die Opfer des Faschis­mus in Bromberg nieder. “Weitläu­fig füh­le ich mich
auch als Opfer”, sagt sie. Andere Ver­triebene sehen das jedoch nicht gern.
Sie find­en, dass man damit den Mördern des Blut­son­ntages gedenken würde.
Zwei Tage nach Kriegs­be­ginn der Deutschen waren am 3. Sep­tem­ber 1939 Polen
mit Lis­ten von Deutschen durch die Stadt gegan­gen, trieben die Menschen
zusam­men und morde­ten. Hun­derte Opfer waren zu bekla­gen. Hei­di Michael weiß,
dass damals auch ihre Groß­mut­ter und die Tante ver­schleppt wor­den sind.
Später hat man bei­de jedoch wieder nach Hause geschickt. Man hat­te Erbarmen
mit ihnen, weil sie Frauen waren. 

Das alles ist nun über ein halbes Jahrhun­dert her. “Wir soll­ten das nicht
mehr gegen­seit­ig hochrech­nen”, meint die heute in Großzi­ethen lebende Frau.
Es sollte jet­zt vielmehr um Ver­söh­nung gehen und darum, dass sich die jungen
Gen­er­a­tio­nen von dies­seits und jen­seits der Oder verstehen.
Rück­über­tra­gungsansprüche Ver­trieben­er über die Preußis­che Treu­hand sind
darum für Hei­di Michael kein gutes Sig­nal. “Es wäre nur wieder das selbe
schreck­liche Erleb­nis, was wir durchgemacht haben”, sagt sie. Erst kürzlich
hat sie das Buch “Vertrei­bung aus dem Osten” gele­sen — Schick­sale von
Deutschen und von Polen. Seit­dem fühlt sie mehr als jemals mit den Polen
mit. Was Hei­di Michael selb­st ein­mal in ihrem Leben durch­machen musste,
haben viele, sehr viele von den Polen zweimal, dreimal durch. Dass dieses
Leid niemals vergessen wird, daran zu erin­nern, fände Hei­di Michael gut.
Darum ist sie auch für ein Zen­trum gegen Vertrei­bun­gen wie es die
Vor­sitzende des Bun­des der Ver­triebe­nen, Eri­ka Stein­bach, in Berlin
ein­richt­en möchte. Allerd­ings dürfte das Schick­sal der Deutschen nicht im
Vorder­grund ste­hen, da niemals vergessen wer­den dürfe, wer den Krieg
ange­fan­gen hat. Mit dem Blick in die Zukun­ft und den Gedanken in der
Ver­gan­gen­heit sagt sie: “Nie wieder darf es zu solchen Vertreibungen
kom­men.” Sie glaubt, dass das geplante Zen­trum in Berlin dem gerecht werden
kann — trotz aller Bedenken auf pol­nis­ch­er Seite. 

Die sor­gen bei vie­len Ver­triebe­nen für Ver­wun­derung. “Das Zen­trum richtet
sich all­ge­mein gegen jegliche Vertrei­bun­gen. Außer­dem sind doch mittlerweile
so viele wun­der­bare Kon­tak­te zwis­chen hier und da ent­standen”, so Wilfried
Samel. Sein Heimatkreis übergibt in der näch­sten Woche eine Spende von den
Mit­gliedern; Willi Bel­ger hat wegen sein­er Hei­di 1000 Euro dazu getan.
Gedacht ist die Spende als Beitrag ehe­ma­liger Bromberg­er für das in
Byd­goszcz geplante Denkmal für Kasimir den Großen. Möglichst noch in diesem
Jahr soll es auf dem ehe­ma­li­gen The­ater­platz der Stadt seinen Standort
erhal­ten. Der Stadt­präsi­dent Kon­stan­ty Dom­brow­icz — der sich seit seiner
Wahl um ein gutes Ver­hält­nis zu den alten Bromberg­ern bemüht — ist für die
Unter­stützung von deutsch­er Seite sehr dankbar. Für sie alle ist das Denkmal
von großer Wichtigkeit. Kasimir hat den Ort im Jahr 1346 nach Magdeburger
Recht zur Stadt erk­lärt. Ihm gebühre darum großer Dank. 

Per­sön­lich ver­söh­nt Hei­di Michael, indem sie Gäste aus Byd­goszcz zu
mod­er­at­en Preisen im Haus Bel­ger ver­sorgt und über­nacht­en lässt. Gern würde
sie ab Mai auch eine Polin ein­stellen. Doch die inner­halb der Europäischen
Union vere­in­barten Ter­mine lassen dies vor­erst noch nicht zu. Das würde erst
2009/2011 möglich sein. Und dann ist da noch Ella… das alte Kindermädchen
aus Bromberg. 1971 hat Hei­di Michael sie wiederge­fun­den. Heute ist die junge
Frau von damals, die auf das Quar­tett der deutschen Fam­i­lie auf­passte, schon
über 70. 

Bei­de verbindet eine innige Fre­und­schaft. Das war schon damals so, als Heidi
vier und Ella 15 war. Die Bindung zu der deutschen Fam­i­lie war so stark,
dass die Polin am lieb­sten mit geflüchtet wäre, was natür­lich nicht ging.
Heute sehen sich die Frauen bei jedem Besuch von Hei­di Michael in Bromberg.
Immer öfter ist dann auch Hei­dis Enkel­sohn Phillipp dabei. “Der Junge
inter­essiert sich für alles, was hier passiert”, wun­dert sich selb­st die Oma
ein biss­chen über die Neugi­er des 14-Jähri­gen. Im näch­sten Som­mer will der
sog­ar etwas länger nach Polen fahren, um Land und Leute noch bess­er kennen
zu ler­nen. Bei jed­er Reise hat Phillipp seinen Sprachen­führer dabei. Was Oma
nicht lernte, will er nun unbe­d­ingt kön­nen: Pol­nisch. Und bei jed­er Reise
ins Nach­bar­land kom­men ein paar neue Wörter dazu…

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