17. Oktober 2016 · Quelle: Antifaschistisches Infoblatt AIB

Nach der Publikation folgt die Konsequenz

Die Relevanz antifaschistischer Recherche muss sicherlich nicht erörtert werden. Ihre besondere Bedeutung für politische Diskussionen, Interventionen und für die Zukunft wollen wir in diesem Artikel darlegen.
Recherche
Die Rel­e­vanz antifaschis­tis­ch­er Recherche muss sicher­lich nicht erörtert wer­den. Ihre beson­dere Bedeu­tung für poli­tis­che Diskus­sio­nen, Inter­ven­tio­nen und für die Zukun­ft wollen wir in diesem Artikel darlegen. 
Gast­beitrag von arpu (Antifaschistische_Recherche Pots­dam / Umland)
Antifaschis­tis­che Recherche ist kein Hob­by oder Zeitvertreib. Sie muss strate­gisch nach Ein­schätzung von Ressourcen und Nutzen einge­set­zt wer­den, um Infor­ma­tio­nen bere­it­stellen zu kön­nen. Diese Infor­ma­tio­nen kön­nen, für die jew­eili­gen Ziel­grup­pen und adressierten Zusam­men­hänge, grundle­gend oder fördernd für weit­ere poli­tis­che Diskus­sio­nen sein und gegebe­nen­falls auch als Bil­dungs­ge­gen­stand fungieren. Recherc­hear­beit kann dabei auch Teil von antifaschis­tis­ch­er Inter­ven­tion sein, wenn sie dies als Ziel in ihrer Arbeitsweise (strate­gis­che Veröf­fentlichung / Infor­ma­tion­sweit­er­gabe, Forderun­gen) auch entsprechend konzip­iert und formuliert.
Antifaschis­tis­che Recherche — weg von der Abgeschiedenheit
Antifaschis­tis­che Recherche oder die Doku­men­ta­tion von antifaschis­tis­ch­er Arbeit sind wichtige Grund­la­gen für eine poli­tis­che Prax­is. Es ist keine „zusät­zliche Auf­gabe“, sie ist Bestandteil jed­er Prax­is, auch wenn sie in vie­len Zusam­men­hän­gen erst­mal nicht kom­plex und expliz­it erscheint. Wenn ich eine Demon­stra­tion gegen eine Neon­azi-Kundge­bung organ­isiere, muss ich wis­sen, was das für eine Neon­azi-Kundge­bung ist, wer sie angemeldet hat, mit wie vie­len Per­so­n­en gerech­net wird usw. An dieser Stelle begin­nt bere­its die Recherc­hear­beit für z.B. einen Aufruf und sie endet für dieses Szenario mit der Auswer­tung der Neonazi-Veranstaltung.
Recherche-Feld an gesellschaftliche  Zustände anpassen
Das zu recher­chierende Feld richtet sich dabei meist an den gesellschaftlichen Zustän­den und Ereignis­sen aus. Im Zuge der Anti-Asyl- und ras­sis­tis­chen Proteste hat sich daher der Fokus automa­tisch auf „Bürg­erini­tia­tiv­en“ und andere ras­sis­tis­che Zusam­men­schlüsse gelegt. Wenn sich immer mehr Ras­sistIn­nen zusam­men­schließen und organ­isieren, muss das entsprechend doku­men­tiert wer­den: Sind bere­its bekan­nte Neon­azis in diesen Zusam­men­hän­gen organ­isiert bzw. führen sie diese Proteste? Wer sind die Teil­nehmenden, die Ord­ner­In­nen oder andere möglicher­weise rel­e­vante AkteurIn­nen? Oft­mals kann hier auf zurück­liegende Recherchen zu organ­isierten Neon­azis zurück­ge­grif­f­en wer­den, um die aktuellen ras­sis­tis­chen Proteste ins rechte Licht zu rücken.
Recherche als his­torisches Dokument
Antifaschis­tis­che Doku­men­ta­tio­nen und Chroniken erscheinen im gegen­wär­ti­gen Moment, wenn Woh­nun­gen und Häuser von Geflüchteten bren­nen, möglicher­weise als über­mäßige Fleißar­beit. Jedoch kön­nen sie vor allem in den Fol­ge­jahren zu wichti­gen his­torischen Doku­menten wer­den. Darüber hin­aus ermöglicht die langfristige und stetige Beobach­tung neon­azis­tis­ch­er Bewe­gun­gen neben dem Aufzeigen von Kon­ti­nu­itäten auch im Rück­blick die Reflek­tion und Bew­er­tung der Erfolge und Nieder­la­gen antifaschis­tis­ch­er Interventionen.
Wichtig? Unwichtig? Wer entschei­det das?
Dass wir Infor­ma­tio­nen von Antifa- oder Anti­ra-Grup­pen in der Regel den Pressemel­dun­gen der Polizei oder Veröf­fentlichun­gen vom Ver­fas­sungss­chutz vorziehen, ist Prax­is. Recherc­hear­beit muss in jedem Fall, egal welche Quellen genutzt wer­den, dahinge­hend reflek­tiert wer­den. Ein­er­seits, wie wir mit Infor­ma­tio­nen aus welchen Quellen umge­hen und welchen Prinzip­i­en wir dabei fol­gen. Ander­er­seits stellt sich die Frage, welche Infor­ma­tio­nen wie wichtig sind, und: Wer entschei­det, was wichtig ist? Entschei­det die Quelle, mit welch­er Pri­or­ität Infor­ma­tio­nen behan­delt wer­den? Entschei­det der Recherche-Zusam­men­hang? Entschei­den die Umstände, welche Infor­ma­tio­nen in welch­er Form veröf­fentlicht werden?
Mit der Veröf­fentlichung fol­gen Reak­tio­nen, die zuvor zum Teil abge­wogen wer­den kön­nen. Durch Out­ing-Aktio­nen stei­gen möglicher­weise die Sicher­heitsvorkehrun­gen der geouteten Per­so­n­en. Dadurch wird es für die Recher­chieren­den aufwändi­ger, weit­er­hin Infor­ma­tio­nen zu beschaf­fen oder Aktiv­itäten zu ver­fol­gen. Was also explizite Ziele von Out­ings sind — Kon­se­quen­zen für den All­t­ag, Unsicher­heits­ge­fühl, die Kündi­gung des Arbeit­splatzes — ist mitunter gle­ichzeit­ig eine Erschwerung antifaschis­tis­ch­er Recherche. Daher bein­hal­ten Recherche-Veröf­fentlichun­gen in den meis­ten Fällen nicht alle bekan­nten Infor­ma­tio­nen über einzelne Per­so­n­en oder Zusam­men­hänge. Was zur Ver­fü­gung gestellt wird und was nicht, muss ohne­hin abge­wogen wer­den — auch in Hin­blick auf die eigene zukün­ftige Recherche-Arbeit.
Wenn Infor­ma­tio­nen unkom­men­tiert pub­liziert oder weit­ergegeben wer­den, kön­nen diese eine gewün­schte oder passende Wirkung ver­fehlen oder gar gän­zlich unnütz sein. Eben­so muss in vie­len Szenar­ien abge­wogen wer­den, wann ein guter Zeit­punkt ist, Infor­ma­tio­nen zu veröf­fentlichen. Wenn bes­timmte The­men über einen konkreten Neon­azi in der regionalen Pres­se­land­schaft vor­rangig disku­tiert wer­den, haben andere „Out­ings“ oder son­stige Veröf­fentlichun­gen über andere men­schen­ver­ach­t­ende Aktiv­itäten oft­mals keinen Raum, oder erfahren nicht die gewün­schte Aufmerk­samkeit. Dies ist beson­ders in kleineren Städten mit ein­er beschränk­ten Vielfalt von Medi­en der Fall. Es ist daher von immenser Bedeu­tung, Infor­ma­tio­nen strate­gisch posi­tion­iert, sowohl the­ma­tisch als auch zeitlich, herauszugeben.
Infor­ma­tio­nen über bes­timmte Personen/Gruppierungen haben dabei erst Rel­e­vanz, wenn sie in einen Kon­text gestellt wer­den. Erst durch die poli­tis­che Arbeit, durch das Auseinan­der­set­zen mit men­schen­ver­ach­t­en­der Ide­olo­gie, mit poli­tis­ch­er The­o­rie, wird das Recher­chierte rel­e­vant und Teil ein­er zielo­ri­en­tiert arbei­t­en­den antifaschis­tis­chen Prax­is. Wenn die Recherche ohne Forderung nach diesem Kon­text geschieht, ist sie ziel- und dementsprechend häu­fig wirkungslos.
Eine Veröf­fentlichung ist nicht gle­ich eine Veröf­fentlichung. Schaf­fen wir nicht erst unnötig Aufmerk­samkeit durch einen eige­nen Artikel über Neon­azi-Aktio­nen und werten diese damit auf, anstatt diese ein­fach in ein­er jährlichen Chronik festzuhal­ten? Diese Frage kann nicht all­ge­me­ingültig beant­wortet wer­den, son­dern bedarf ein­er jew­eili­gen Abwä­gung ver­schieden­er vielfältiger pro und con­tra Argu­mente. Von der Frage nach dem eige­nen und/ oder gesellschaftlichen Fokus der aktuellen Debat­ten über ge­ge­bene Sachzwänge wie zeit­liche oder finanzielle Ressourcen, bis hin zu Entschei­dun­gen hin­sichtlich der textlichen Posi­tion­ierung ba­sierend auf kom­plex­en poli­tis­chen Ein­schätzun­gen und Mei­n­un­gen. Einen richti­gen Weg gibt es nicht, nur einen jew­eils begrün­de­ten und somit sub­jek­tiv guten.
Nach der Recherche fol­gt die Konsequenz
Mit unser­er Recherche fol­gen Kon­se­quen­zen, wenn wir gewisse Infor­ma­tio­nen in gewis­sen Kon­tex­ten und Zusam­men­hän­gen bere­it­stellen. Welche Infor­ma­tio­nen wir bere­it­stellen, liegt oft­mals an uns. Das passiert posi­tion­iert, sodass wir nicht von außen auf Geschehnisse schauen und diese analysieren, son­dern eben Teil dieser Zusam­men­hänge sind. Wir sind Teil dieser heuti­gen Geschichte und genau­so ver­ant­wortlich, ob wir recher­chieren, was wir an Infor­ma­tio­nen her­aus­geben und vor allem auch wann. Daher ist eine Veror­tung unser­er­seits immer wieder wichtig zu beto­nen — sich als antifaschis­tisch begreifende Men­schen, die Zustände durch Infor­ma­tion­sweit­er­gabe verän­dern wollen, und hof­fen, dass danach Inter­ven­tio­nen fol­gen — sei es, dass die Rassist_in ihre Arbeitsstelle ver­liert, der Neon­azi-Verkauf­s­laden ver­schwindet oder auf Lan­desebene Demon­stra­tio­nen und Grup­pierun­gen ver­boten werden. 

 

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