In der Debatte um den Bau einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende und Flüchtlinge haben am gestrigen Abend in Nauen ungefähr 100 Menschen gegen einen Aufzug einer dubiosen Bürgerinitiative protestiert. Schwerpunkt der Proteste war wieder der Platz vor dem Rathaus. Wie bei ähnlichen Protestveranstaltungen in den letzten Wochen wurden abermals Schilder oder Transparente mit Aufschriften wie „Flucht ist kein Verbrechen“ und „Flüchtlinge willkommen“ hochgehalten und sich dadurch zu einer Kultur des Willkommens für Asylsuchende und Flüchtlinge in Nauen bekannt. Auch der Bürgermeister und der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung waren wieder unter den Menschen, die sich für Vielfalt und Toleranz einsetzten. Die Bürgerinitiative und ihr Anhang zogen hingegen wie üblich durch die Stadt. An diesem Aufzug beteiligten sich ungefähr 90 Personen, darunter auch NPD Funktionäre und Sympathiesant_innen „Freier Kräfte“. Letztgenannte fielen u.a. durch Regenschirme mit der Aufschrift „f#ck rfgs“ (Fuck Refugees) auf. Zu nennenswerten Zwischenfällen kam es allerdings nicht. Jedoch werden bei der Bürgerinitiative, trotz gegenteiliger Bekundungen, Affinitäten zum neonazistischen Milieu immer deutlicher erkennbar. Ging es anfangs vorgeblich nur darum gegen Entscheidungen der Stadt Widerstand zu leisten, nimmt deren Protest immer offener auftretende, aggressiv rassistische Tendenzen an. Die Polizei war mit ungefähr 100 Beamt_innen vor Ort, um die Veranstaltungen zu trennen.
Bürgerinitiative contra Stadtverordnete
Anlass der Demonstration ist die Debatte um den Bau der geplanten Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende und Flüchtlinge in Nauen. Die Bürgerinitiative „Zukunft Nauen“ mit ihren beiden Obleuten Dennis Naumann und Heiko Kürchner spricht sich dabei klar gegen die Bebauung des dafür zur Verfügung stehenden Grundstückes aus. Es liege zu nahe an einer Schule, einem Kindergarten, einem Wohngebiet, einer Kleingartenanlage und einem Garagenkomplex, so die bisherigen Argumente. Ein sozialer Brennpunkt würde sich nach dem Bau des Heimes entwickeln, so ein Sprecher der Initiative während einer Stadtverordnetenversammlung im Februar 2015. Vertreter_innen des Landkreises als auch der Polizei widersprachen allerdings diesem Stereotyp und hielten den Vorurteilen positive Langzeiterfahrungen mit anderen Asylunterkünften im Havelland entgegen. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte anschließend für die Errichtung der Asylunterkunft bzw. zunächst einmal für den Verkauf des dafür notwendigen Grundstückes am den Landkreis. Damit wollte sich die Bürgerinitiative „Zukunft Nauen“ jedoch nicht abfinden und startete eine Unterschriftenaktion für einen Bürger_innenentscheid zum Grundstücksverkauf. Bis zum 17. April 2015 sollen ungefähr 1.671 Menschen die Petition unterschrieben haben. Eine durchaus beachtliche Zahl bei 16.616 Einwohner_innen. Nach Prüfung der Unterschriftenlisten durch die Stadt stellte sich jedoch heraus, dass die Listen zum einen nicht termingerecht eingereicht wurden und zum anderen 394 Unterschriften ungültig waren. Einige Sympathisant_innen der Bürgerinitiative hatten offenbar doppelt unterschrieben, unvollständige Angaben gemacht oder waren gar nicht aus Nauen. 1.474 Unterschriften wären übrigens für den Bürger_innenentscheid nötig gewesen. Entsprechend enttäuscht zeigte sich „Zukunft Nauen“ und behielt sich rechtliche Schritte gegen die Prüfung der Stadt vor. Als erste Trotzreaktion folgte dann die Anmeldung und Durchführung der gestrigen Demonstration.
Hasstiraden prägen Aufzug
Obwohl sich die Bürgerinitiative, laut Märkischer Allgemeiner Zeitung, erst wieder bei der Stadtverordnetenversammlung am 18. Mai 2015 davor verwahrte, „in die rechte Ecke“ gestellt zu werden, zeigte sich während ihres Aufzuges wieder ein komplett anderes Bild. Wie bei den anderen Aufmärschen der letzten Wochen hatte auch gestern wieder die NPD die entscheidenden Zügel in der Hand. Lautsprecherwagen, bestimmte daraus tönende Musiktitel sowie einige Ordner können nämlich eindeutig der Partei zugeordnet werden. Ein Sprecher, der während des Marsches versuchte durch Parolen, wie „Ali, Mehmed, Mustafa – ab mit Euch nach Ankara“, „Kriminelle Ausländer raus! Und was ist mit dem Rest? Der auch!“ oder „Gegen Repression und Volksverrat, auf die Straße, Mut zur Tat“, Stimmung zu machen, ist als NPD Sympathisant aus dem Landkreis Oberhavel bekannt. Kurzzeitig betätigte sich auch Manuela Kokott, NPD Abgeordnete im Gemeinderat Spreenhagen (Landkreis Oder-Spree), als Sprecherin und skandierte: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Und wer macht damit Schluss? Nationaler Sozialismus!“. Des Weiteren trat sie bei einer Zwischenkundgebung als Rednerin auf. Dort stellte sich Manuela als „1,62m großer Stachel im Arsch dieses System“ vor, begrüßte ihre Zuhörer_innen als „Volksgenossen“ und begann dann so gleich mit piepsiger aber betont lauter Stimme gegen „Parteibonzen“, die bisherigen demokratischen Entscheidungsprozesse und vor allem in übelster Weise gegen Asylsuchende zu hetzen. Ihre reißerische Polemik insbesondere gegen Menschen, die in der Bundesrepublik Asyl suchen, versuchte sie durch Un- und Halbwahrheiten über deren angeblich kriminelles Verhalten und deren Gesundheitszustand zu unterfüttern. Weiterhin schürte Frau Kokott Sozialneid, diffamierte Asylsuchende de facto als Betrüger, bezeichnete sie explizit als „Schmarotzer“ und forderte die Nauener Bürger_innen dazu auf sich „gegen die asoziale Politik der Herrschenden, gegen Überfremdung, gegen die Islamisierung“ Luft zu machen und sich nicht einschüchtern zu lassen. Natürlich habe dies alles nichts mit Nazismus zu tun, wie sie, die NPD Funktionärin, die wenige Minuten vorher noch den „Nationalen Sozialismus“ bewarb, ebenfalls betonte und ihr Publikum auch nur allzu gern glaubte. Ein Teilnehmer hatte sich beispielsweise extra ein Schild mit folgenden Slogan gebastelt: „Ich bin nicht Rechtsradikal, aber die Zukunft unserer Kinder ist mir nicht egal!“. Und auch Heiko Kürchner und Dennis Naumann von der Bürgerinitiative „Zukunft Nauen“ distanzierten sich in ihren Redebeiträgen ebenfalls von derartigen Tendenzen. Nach dem Verlauf der gestrigen Demonstration ist diese Position aber kaum noch haltbar.
Annäherung an die extreme Rechte absehbar
Bereits am 16. April 2015 beteiligte sich „Zukunft Nauen“ an einem Aufmarsch der Initiative „Nein zum Heim“ in Nauen, die vom ehemaligen NPD Stadtverordneten Maik Schneider, der auch gestern zeitweise als Sprecher auftrat, angemeldet wurde und dementsprechend auch viele Neonazis zog. Der „Bürger“ Dennis Naumann hielt bereits dort einen kurzen Redebeitrag, in dem er für die Unterschriftenaktion seiner Initiative warb. Zudem ähnelten die Flugblätter, mit denen unter dem Label „Bürger für Bürger“ zur Teilnahme an der gestrigen Demonstration von „Zukunft Nauen“ aufgerufen wurde (https://farm1.staticflickr.com/333/18069800358_2d5822b949_o.jpg), optisch sehr deutlich Flyern die Frank Odoy, Organisationsleiter des NPD Kreisverbandes Oderland, am 25. April 2015 während eines rassistischen Aufzuges in Frankfurt (Oder) zur Werbung für einen weiteren Aufmarsch am 27. April 2015 in Fürstenwalde/Spree ( https://farm8.staticflickr.com/7655/17081170549_88b3fe5afc_o.jpg) verteilte. Odoy war gestern übrigens auch unter den Demonstrant_innen in Nauen. Er war mit seiner Lebensgefährtin Manuela Kokott angereist.
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