Die Nazidemo am Sonnabend in Potsdam wurde erfolgreich verhindert. Dem NPD-Aufruf zum Marschieren unter dem Motto “Schluss mit der Masseneinwanderung russischer Juden. Deutschland uns Deutschen” folgten lediglich rund 80 Faschisten — Nicht zuletzt aufgrund der immensen Präsenz von Antifas und bürgerlichen NazigegnerInnen im gesamten
Innenstadtbereich wurden die Nazis von der Polizei an den Stadtrand geschickt, ursprünglich wollten die NPDler am Hauptbahnhof starten.
Dort, am Bahnhof Pirschheide, wurden sie in eine Gitterabsperrung verbracht, wo sie — abseits jeglicher Öffentlichkeit — lediglich Liedchen singen, jedoch nicht demonstrieren konnten.
An der bürgerlichen Demonstration “für Toleranz” nahmen rund 2000 Menschen teil. Zu den Aufrufern zählte unter anderem die jüdische Gemeinde Potsdams. Als Redner bei der Abschlußkudngebung am alten Markt trat unter anderem Brandenburgs Neu-Ministerpräsident und Potsdams ex-Bürgermeister Matthias Platzeck auf, der die gerichtliche
Genehmigung der Nazidemo kritisierte. Diese, vom Cumlosener NPD-Kader Mario Schulz angemeldet, war ursprünglich von der Polizei verboten worden. Das Verwaltungs- und letzlich auch das Brandenburger Oberverwaltungsgericht hoben das Verbot wieder auf. Das sei, so Platzeck, ein faltales Signal angesichts des selbst für NPD-Verhältnisse überraschend deutlich formulierten anisemitischen Mottos.
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt inzwischen übrigens inzwischen wegen Volksverhetzung eben wegen des Mottos.
Hintergründe: Im Mai wurde in Wittstock (nahe des Heimatortes von Nazi-Anmelder Schulz gelegen) ein Ausiedler von deutschen Rassisten ermordet. Erst letzte Woche wurde auf die NS-Gedenkstätte im ebenfalls nahe gelegenen Belower Wald ein Brandanschlag verübt und Hakenkreuze gesprüht.
Selbstredend entschlossener als die BürgerInnen gingen die
schätzungsweise 500 unabhängigen Antifas vor, die sich zum Ziel gesetzt hatten nicht nur gegen den Naziaufmarsch zu protestieren sondern ihn auch aktiv zu verhindern. Angesichts der kurzen Mobilisierungsdauer ist die Anzahl der präsenten Antifas durchaus zufriedenstellend und auch
der Infofluss — vor allem über das Infotelefon — war gewährleistet.
Auch die Potsdamer Alternative-Hausprojekte äußersten sich auf Transparenten an der Fassaden (“Den deutschen Zuständen ein Ende setzen”) zur Demo. Der zwar zahlenmässig starken aber vollends überforderten Polizei blieb nichts anderes übrig als die gerichtlich genehmigte Nazidemo schon frühzeitig an den Stadtrand zu dirigieren.
Dort verzichteten die NPDler dann freiwillig auf ihre Demo.
Die Nazis wurden sodann angewiesen, unverrichteter Dinge nach Hause zu fahren, einige fuhren Richtung Hauptbahnhof. Im Innenstadtbereich gelang es Antifas dann auch vereinzelt, die Nazis direkt zu attackieren. Vor dem Mercure-Hotel etwa blieb einem versprengten siebenköpfigen Nazigrüppchen nichts weiter übrig als sich panikartig in
einen Polizeibulli zu flüchten. Die herbeigerufene Verstärkung der Polizei ging daraufhin mit Schlagstöcken brutal gegen die umstehenden NazigegnerInnen vor. Insgesamt wurden im Laufe des Tages elf Antifas wegen “Widerstands gegen die Staatsgewalt” sowie “Beamtenbeleidigung”
verhaftet.
Wie dem auch sei: Für die Faschisten ist der Tag ein
komplettes Desaster gewesen!
Insgesamt waren über den Tag sieben Demos angemeldet, von
beispielsweise der Roten
Hilfe, der antirassistischen Fußballfan-Initiative Stehplatz Ermässigt und dem Asta der Uni Potsdam.
Die Polizei überschlug sich förmlich mit Verlegungen der Demorouten was praktisch oft in der Einschränkung von Grundrechten der Protestierenden endete. Immer wieder wurde Menschen der Weg durch die Stadt zu regulär angemeldeten Veranstaltungen von desorientierten BeamtInnen verwehrt.
Im folgenen dokumentieren wir einen (wegen Ärger mit der Polizei nicht gehaltenen) Redebeitrag von progress — antifascist youth Potsdam.
Redebeitrag von progress
Wenn die NPD hier heute unter dem Motto “Schluss mit der
Masseneinwanderung russischer Juden. Deutschland uns Deutschen” aufmarschiert, dann ist dies nur die Spitze des Eisberges. Ein Eisberg, dessen Rumpf die völkisch-deutsche Version der bürgerlichen Gesellschaft ist, einer Gesellschaft, welche ebenso antisemitisch ist wie ihre kahlgeschorenen Volksgenossen, welche lediglich ihre extremste Ausformung darstellen.
Ums Vaterland bedacht, bzw., im Neudeutsch, um den Standort
Deutschland, ist der durchschnittliche Deutsche nicht so dumm seine antisemitischen Ressentiments dermaßen offen kundzutun, und in jede ausländische Fernsehkamera, dreist grinsend und gestreckten Armes zu Protokoll zu geben “Ick steh dazu, ick kann die Juden nicht leiden”.
Denn nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg, bzw., aktueller, seit dem Sommer 2000, als sich der Volkszorn nicht nur gegen Flüchtlinge, Linke usw. richtete, sondern die eigene Nazibrut ihn zu spüren kriegte, weiß man in Deutschland, das solche oder ähnliche Äußerungen ein schlechtes Licht auf die Bundesrepublik werfen, ein Licht, welches die für den Arbeitsplatz, und somit fürs Brot und vor allem die soziale Stellung so wichtigen ausländischen Investoren und händeringend gesuchte Computerinder verschrecken könnte. Die sind aber für den herbeigesehnten und hoffentlich noch lange auf sich wartenden
Wirtschaftsaufschwung wichtig, denn, das weiß der Deutsche spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg, das mit der nationalen Selbstversorgung wie es der Führer einst predigte ja doch nicht so gut geklappt hat.
Stattdessen tarnt sich der Judenhass heute als eine Kritik an Israel oder an dem dringenden Bedürfnis, endlich einen Schlussstrich unter die deutsche Geschichte ziehen zu können.
Exemplarisch sei hier der Groschenromanautor Martin Walser genannt: als dieser eben jenes auf seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises forderte, erntete er Standing Ovations von der bundesdeutschen Elite. Einzig der mittlerweile verstorbene Ignatz Bubis, seines Zeichens ehemalige Vorsitzender des Zentralrats der Juden, klatschte nicht, sondern bezichtigte Walser richtigerweise der
geistigen Brandstiftung. Doch nicht der deutsche Brandstifter, sondern der jüdische Nestbeschmutzer wurde Ziel der Aggressionen: durch die Parteien und Schichten bildete sich eine unheimlich Allianz gegen Bubis, welche ihm vorwarf, mit seinem Verhalten den Antisemitismus erst
zu schüren. Das ganze sei nun 60 Jahre her und man müsse doch auch mal vergessen können.
Außerdem baue man ja auch ein großes Mahnmal als Zeichen der Sühne, ein Zeichen das Walser übrigens als “Fußballfeld großer Alptraum” beschreibt.
Diese nationale Mobilmachung, in der die Deutschen quasi
gleichgeschaltet, vorerst freilich nur verbal, gegen den
gemeinsamen Feind vorgehen, der nicht zufällig Jude ist, lässt nur
erahnen welches faschistische Potenzial unter der demokratischen
Oberfläche brodelt.
Auch Walsers neuer Roman, oder besser, Walsers neuer gedruckter
Brandsatz, “Tod eines Kritikers”, träumt vom Judenmord. Die Story ist
ebenso banal wie nebensächlich, das literarische Niveau dümpelt gegen
Null, um was es geht ist der Hass auf den Kritiker, welch
er lustvoll
seitenlang geschildert wird. Ach ja, der Kritiker ist natürlich Jude,
ein Motiv, was sich auch in der antisemitisch codierten Beschreibung
des Vaters des Bösewichtes wiederspiegelt: “eine schauderhafte Gestalt,
klein, dicklich, große Ohren, die Mutter hat er, als er siebzehn war,
geschwängert”. Das er Bankier war ist ja klar. Die Beschreibug des
Sohnes fällt ähnlich aus, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Auch
wenn es sich liest wie aus dem Nazikampfblatt Stürmer, ist es doch aus
dem Machtwerk Martin Walsers, welches in den Buchladen weggeht wie
warme Semmeln, und dessen Chancen, zum meistverkauften Buch 2002 in
Deutschland zu werden, nicht schlecht stehen.
Mindestens ebenso beliebt ist der Antisemitismus, der vorgibt sich
gegen Rassismus und für Menschenrechte, für die der Palästinenser
nämlich, einzusetzen. Unter dem Deckmäntelchen des Antizionismus
erwacht die alte antisemitische Schuldprojektion zu neuem Leben. Von
ganz links bis ganz rechts weiß man das es Israel, und somit
die Juden sind, welche für die instabile Lage im Nahen Osten
verantwortlich sind, eine Lage, die tagtäglich Menschen das Leben
kostet. Das überall auf der Welt jeden Tag tausende Menschen durch die
unterschiedlichsten Gründe, angefangen bei Hunger bis hin zum Krieg,
verrecken, ist dem Antisemiten egal. Ihn interessieren nur die von
israelischen Soldaten getöteten Araber, den nur dort kann er seinem
innersten Wunsch nach Projektion nachgehen. Genauso wenig wie Israel
schuld an der derzeitigen Situation ist, genauso wenig
interessieren sich der Deutsche für das Schicksal der Palästinenser.
Wenn er, im Bunde mit den Moslemfaschisten
der PLO, in Dschenin ein Massaker halluzinieren, welches, wie selbst
Amnesty International eingestehen musste, nie existiert hat, geht es
ihm mitnichten um die Dutzend toten Palästinenser, von denen im übrigen
der Grossteil bewaffnete Milizionäre waren, und schon gar nicht um die
23 toten israelischen Soldaten, einzig um die Aufrechterhaltung eines
Feindbildes, zu welchem er sich kollektivstiftend abgrenzen kann, geht
es ihm. Zusätzlich dient es der Erleichterung der Volksseele: wo immer
wieder von Massakern und Menschenrechtsverletzungen die
Rede ist kann man die Eigenen leichter in eine Reihe vieler anderer
integrieren und ihnen somit ihre Einzigartigkeit
nehmen, um sie in der Endkonsequenz zu vergessen. Auschwitz, Dresden,
Dschenin und Kabul, überall ist Unrecht geschehen.
So verwundert es auch nicht, das man jetzt schon öffentlich über einen
Bundeswehreinsatz in den Golanhöhen nachdenkt, ist man doch nun eine
geläuterte Nation, welche, wie alle anderen auch, ein paar kleine
Fehler gemacht hat, aus welchen man selbstverständlich gelernt hat. 60
Jahre nach Auschwitz sollen es wieder Deutsche sein, die über das
Schicksal der Juden entscheiden.
Während die Nazis keinen Hehl aus ihrem mörderischen Antisemitismus
machen, hat man in der gesellschaftlichen Mitte einen Weg gefunden
etwas zu sagen ohne es zu sagen. Trotz seiner Codierung ist und bleiben
diese Vorgänge antisemitisch. In Deutschland genügen Andeutungen und
man versteht sich. Die Frage, wie lange der Mob sich mit diesen
Andeutungen begnügt, ist heute nicht sicher zu beantworten. Was jedoch
sicher ist, ist die Existenz eines antisemitischen Konsens in
Deutschland, denn was den deutschen Spießer, den zündelnden
Intellektuellen und den militanten Stiefelnazi eint, ist der Hass auf
Juden.