Nazis im Berliner Speckgürtel
(Erschienen in 6.“Rosen auf den Weg gestreut” )
Auch wenn Berlin für Neonazis
und ihre Versuche der politischen
Organisierung eine besondere
Anziehungskraft hat, ist das Leben
in der Stadt für sie auch mit
Gefahren verbunden. Die mehr
als ein dutzend aktiven Antifagruppen
und unorganisierte
Antifaschist_innen rücken bekannten
Neonaziaktivisten, ihren
Organisationen und Treffpunkten
regelmäßig auf die Pelle. Die
bekanntgewordenen Outingaktionen
gegen Kader, Glasbrüche
bei Thor Steinar-Geschäften und
handfeste Auseinandersetzungen
am Rande von Naziaufmärschen
sind nur die Spitze des Eisbergs.
Selbst in „Homezones“ wie dem
Weitlingkiez oder der Dietzgenstraße
können Neonazis nur begrenzt
ungestört leben. Gerade
ältere Aktivisten ziehen sich aus
diesem Grund lieber ins Berliner
Umland zurück, in der Hoffnung
dort unbehelligt leben zu können.
Das Umland ist so zu einem
beliebten Wohnort für etliche
Kader Berliner Neonazi-Strukturen
geworden. Sie verzichten
meist in ihrem Wohnumfeld auf
politische Aktivitäten, versuchen
ihre Anonymität zu wahren und
sich unauffällig in ihrer Umgebung
einzuleben. Ihre politischen
Aktionen finden nach wie vor in
Berlin statt.
Eine andere davon weitgehend
losgelöste Entwicklung zeigt
sich in der Konsolidierung der
lokalen NPD-Verbände und im
Versuch auch im Berliner Umland
vermehrt in die Öffentlichkeit zu
treten. Das geschieht mit Blick
auf die Brandenburg-Wahl im
nächsten Jahr. Die NPD versucht
sich als stärkster Akteur im nationalen
Spektrum darzustellen
und entwickelt aus diesem Grund
Aktivitäten auch in Städten, die
in der Vergangenheit von Naziaktionen
weitgehend verschont
blieben.
Hohen Neuendorf
An den Berliner Bezirk Reinickendorf
angrenzend liegt die Kleinstadt
Hohen Neuendorf nördlich
von Berlin. Mit seinen 23.000
Einwohnern ist die Stadt geprägt
durch den Pendelverkehr mit Berlin.
Das Stadtbild wird dominiert
von Einfamilienhäusern und die
Fernverkehrsstraße, die sich mittendurch
schlängelt. Den Bürgermeister
stellt „die Linke“, deren
Bundesvorsitzender Lothar Bisky
gleichzeitig der bekannteste Bewohner
der Stadt ist.
Für Schlagzeilen sorgte Hohen
Neuendorf im Frühjahr 2007, als
bekannt wurde, dass Stella Palau
(inzwischen Stella Hähnel)
versuchte, sich in einem Familienzentrum
ehrenamtlich einzubringen.
Erst zu diesem Zeitpunkt wurde
öffentlich bekannt, dass Stella
Hähnel schon seit etwa einem
Jahr mit ihrem Mann Jörg Hähnel
und den Kindern ein Haus in der
Oranienburger Straße bewohnte.
Beide sind im Führungskreis der
Bundes-NPD aktiv, Stella Hähnel
als Pressesprecherin der NPDOrganisation
„Ring nationaler
Frauen“ und Mitglied im Bundesvorstand
der NPD.
Jörg Hähnel ist bekannt als „nationaler
Barde“, Vorsitzender der
Berliner NPD, Verordneter in Lichtenberg
und ebenfalls Mitglied
des NPD-Bundesvorstandes.
Das
Bekanntwerden dieser Fakten
sorgte dafür, dass Stella Palau,
die bis dahin nicht durch neonazistische
Äußerungen aufgefallen
war, ihre Mitarbeit im Familienzentrum
beenden musste. Die
Presseöffentlichkeit sorgte zeitweise
für eine Auseinandersetzung
in der Stadt und zu einer
Distanzierung von Neonazis. Die
Hähnels konnten Hohen Neuendorf
nicht mehr als ungestörten
Rückzugsraum begreifen.
Davon nicht betroffen lebt in
der direkten Nachbarschaft der
Hähnels ein weiterer bekannter
Neonazi. Richard Miosga, seines
Zeichens Neonazi-Szene-Anwalt,
wohnt in einem gepflegten zweistöckigen
Einfamilienhaus, eingebettet
in eine Siedlung in Hohen
Neuendorf. Vor drei Jahren ließ er
sich bei der Bundestagswahl in
Tempelhof als Kandidat für die
NPD aufstellen.
Bis 2006 war Miosga Vorsitzdender
des Hoffmann-von-Fallersleben-
Bildungswerks, einer
neonazistischen Vereinigung, die
die Vernetzung verschiedener
Strömungen im rechten Lager zur
Aufgabe hatte.
Dem Wunsch entgegen, möglichst
unauffällig und unbehelligt in Hohen
Neuendorf zu leben, stehen
die Aktionen mehrerer jüngerer
Neonazis, die ebenfalls hier wohnen.
In regelmäßigen Abständen
werden am Bahnhof und in den
umliegenden Straßen Aufkleber
verschiedenster Neonazi-Organisationen
verklebt. Die Neonazis
haben vereinzelt Kontakte zur
Berliner Kameradschaftsszene
und sind aktiv, ohne jedoch eine
kontinuierliche und öffentlichkeitswirksame
Politik in Hohen
Neuendorf etablieren zu können.
Birkenwerder
Gleich neben Hohen Neuendorf
liegt die Kleinstadt Birkenwerder.
Der Ort mit einer eigenen Autobahnausfahrt
ist ähnlich aufgebaut,
auch hier spielt sich das
öffentliche Leben auf den jährlichen
Feuerwehrfesten und im
Sommer am Badesee ab.
Rechtsextreme, die in Birkenwerder
leben, machen das vor allem
ohne in die Öffentlichkeit zu treten.
Neben dem Wohnort des bekannten
Neonazi-Anwalts Wolfram
Nahrath befand sich in der
Kleinstadt früher auch das Postfach
des Deutschen Rechtsbüros.
Nahrath, er war der letzte Vorsitzende
der verbotenen „Wiking
Jugend“, vertritt seit Jahrzehnten
Neonazis, die für Gewalttaten
gegen Migrant_innen und Linke
angeklagt waren. So war Nahrath
u.a. einer der Verteidiger der Neonazis,
die 1999 den Asylbewerber
Farid Guendoul mit einer Hetzjagd
in den Tod trieben. Im letzten
Jahr vertrat er den Pankower
Neonazi Diego Pfeiffer, der angeklagt
war, im Juli 2007 in Pankow
mit 14 weiteren Neonazis eine
Gruppe alternativer Jugendlicher
angegriffen und verletzt zu haben.
Mit seinem Anwaltsbüro hat
sich Nahrath in Berlin-Weissensee
angesiedelt.
Das Deutsche Rechtsbüro (DRB)
ist eine Organisation von Juristen
aus dem Neonazi-Spektrum, die
vor allem Beratung anbietet. Sie
gibt Ratschläge zu Themenbereichen,
in denen Neonazis am
häufigsten mit dem Gesetz in Konflikt
geraten (Volksverhetzung,
indizierte Tonträger, Demonstrationsrecht).
Neben der Bereitstellung
von Gerichtsurteilen, auf
die sich Neonazis in Verfahren
berufen können, hat des DRB ein
Buch herausgegeben, das diese
Ratschläge zusammenfasst. Unter
dem Namen „Mäxchen Treuherz -
Rechtsratgeber“ kann dieses Buch
in einschlägigen Nazi-Versänden
bestellt werden. Es wird über den
NPD-eignen „Deutsche Stimme Verlag“
vertrieben.
Auch in Birkenwerder bleibt
die Reaktion auf rechte Vorfälle
mangels kontinuierlicher Auseinandersetzung
bei sicherlich gutgemeinter
Symbolpolitik stehen.
So errichteten vor gut acht Jahren
Vertreter der Gemeindeverwaltung
zusammen mit lokalen
Jugendlichen eine überdimensionierte
„Kerze gegen Rassismus“ vor
dem Rathaus. Eine Versammlung
der NPD im Rathaus vor zwei
Jahren konnte allerdings ohne öffentliche
Proteste über die Bühne
gehen.
Der Drang in die Öffentlichkeit
Im Oktober 2006 hielt die Brandenburger
NPD ihren Parteitag im
Gasthof „Weißer Hirsch“ in Borgsdorf
— einem Ortsteil von Hohen
Neuendorf — ab. Neben dem
Brandenburger NPD-Vorsitzenden
Klaus Beier war auch der sächsische
NPD-Abgeordnete Jürgen
Gansel anwesend, der eine Rede
hielt. Im Februar 2008 folgte eine
weitere Veranstaltung in Hohen
Neuendorf. Die Lichtenberger
NPD-Verordnete Manuela Tönhardt
— Tischnachberin von Jörg
Hähnel in der Verordnetenversammlung
— referierte nach Angaben
der NPD vor 60 Anwesenden
über ihre politische Arbeit. Diese
Veranstaltungen stehen im Zusammenhang
mit dem NPD-Verband
Oberhavel. Dieser hat zwar
sein Postfach in Birkenwerder,
ist aber schwerpunktmäßig eher
in Oranienburg und Rathenow
zu verorten. Gerade die Veranstaltung
in Borgsdorf führte zu
einem überregionalen Presseecho.
In dieser Situation, die nach
dem Skandal um Stella Hähnel
der zweite war, der für eine breite
Auseindersetzung mit den lokalen
Neonazis und ihrer Ideologie
genutzt
werden könnte, veröffentlichten
die Bürgermeister_innen
von Hohen Neuendorf und
Birkenwerder einem „Aufruf gegen
Gewalt, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit
und Antisemitismus“. Dieser
wird inzwischen von einem
Großteil der lokalen Initiativen
und Sportvereine unterstützt.
Klar ist, dass solche Aktionen
nur Symbolcharakter haben und
weder die Neonazis in ihrer Aktionsfähigkeit
einschränken, noch
sich ernsthaft etwas gegen die
Ursachen des Erstarkens von
neonazistischen Strukturen ausrichten
lässt. Dafür bräuchte es
organisierte linksradikale und
antifaschistische Strukturen, die
derzeit im lokalen Rahmen nicht
existieren.