Neuruppin — Im Verfahren um den grausigen Mord an dem Jugendlichen Marinus Schöberl in Potzlow im Juli 2002 hat das Landgericht Neuruppin gestern das frühere Urteil moderat verändert. Der 19-jährige Angeklagte Sebastian F. erhielt drei statt zwei Jahre Jugendhaft. Er bleibt aber vorläufig frei, da weder Staatsanwaltschaft noch Gericht eine Fluchtgefahr sehen. Die Neuruppiner Richter ordneten zudem für den Angeklagten Marco S. (25), der in erster Instanz zu 15 Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt worden war, die Einweisung in eine geschlossene Entziehungsanstalt an. Dort soll er von seinem Alkoholproblem geheilt werden. Die neue Verhandlung war notwendig, weil der Bundesgerichtshof (BGH) das erste Neuruppiner Urteil teilweise aufgehoben hatte.
Marco S., sein Bruder Marcel und Sebastian F. hatten den 16 Jahre alten Schöberl stundenlang misshandelt. Marcel S. sprang sogar auf den Hinterkopf des Opfers, das die Tortur nicht überlebte. Das Urteil gegen Marcel S., achteinhalb Jahre Jugendhaft, beanstandete der BGH nicht.
Das Landgericht Neuruppin hatte die drei Rechtsextremisten im Oktober 2003 verurteilt. Aber nicht hart genug, meinte die Neuruppiner Staatsanwaltschaft und ging in Revision. Im August verkündete dann der BGH, Sebastian F. habe Körperverletzung mit Todesfolge begangen. Die Neuruppiner Kammer hatte lediglich auf gefährliche Körperverletzung und weitere Taten erkannt. Der BGH forderte, das Landgericht Neuruppin müsse das Strafmaß für Sebastian F. neu festsetzen.
Außerdem sei zu prüfen, ob Marco S. in eine Entziehungsanstalt eingewiesen oder in Sicherungsverwahrung genommen wird. Bei einer Sicherungsverwahrung kommt der Täter nach Verbüßung der Haft nicht frei, weil die Justiz befürchtet, dass er weitere Verbrechen begeht.
Staatsanwalt Kai Clement forderte gestern die Sicherungsverwahrung für den mehrfach vorbestraften Marco S., der nach der Tat in Potzlow noch zwei weitere Menschen geschlagen hatte. In Brandenburg gebe es wegen der öffentlichen Finanznot keine Therapiemöglichkeiten, sagte Clement. Das Gericht war nicht überzeugt: Es gehe nicht, einen Angeklagten lebenslang wegzusperren, weil sich ein Land keine angemessene Therapie leisten kann, sagte Richter Gert Wegner. Das Verfahren ist mit dem neuen Urteil endgültig abgeschlossen.
Potzlow-Mord: Härtere Strafen für zwei Täter
Bundesgerichtshof kritisierte Urteil des Landgerichts
NEURUPPIN. Mehr als zwei Jahre nach dem brutalen Mord an dem 16-jährigen Marinus Schöberl aus Potzlow (Uckermark) hat das Landgericht Neuruppin die Strafe für einen der drei Angeklagten verschärft. Die 1. Große Strafkammer erhöhte am Dienstag das Urteil für den 19-jährigen Mittäter Sebastian F. von zwei auf drei Jahre Jugendstrafe. Die Strafe von 15 Jahren Haft gegen den 24-jährigen Mitangeklagten Marco Sch. wurde bestätigt. Er muss aber in einer Entziehungsanstalt wegen seiner Alkoholprobleme therapiert werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte einzelne Punkte des Urteils in dem Mord-Prozess aufgehoben.
“Die Urteile sind leider im Sinne der Angeklagten ausgefallen”, sagte Thomas Weichert. Der Rechtsanwalt vertritt die Eltern des ermordeten Schülers. Der Fall hatte wegen seiner besonderen Brutalität bundesweit für Aufsehen gesorgt. Die drei rechtextremen Täter hatten Marinus, einen Jungen aus der Nachbarschaft, stundenlang gequält. Sie hatten ihn wegen seiner Hiphop-Kleidung als “Untermenschen” angesehen, als Juden beschimpf, schließlich getötet und in einer Jauchengrube verscharrt.
Die Staatsanwaltschaft war gegen das ursprüngliche Urteil in Revision gegangen. Der BGH kritisierte aber nur das Strafmaß für zwei der drei Verurteilten, nicht aber der vom Gericht ermittelte Tatablauf. Nur die Verurteilung des Haupttäters Marcel Sch. zu achteinhalb Jahren Jugendhaft wegen Mordes wurde uneingeschränkt akzeptiert.
Mit seinen Kumpanen hatte Marcel Sch. das Opfer nach den nächtlichen Misshandlungen am Morgen des 13. Juli 2002 in einen ehemaligen Stall gezwungen, in die Kante eines Steintrogs zu beißen. Mit beiden Füßen sei er dann auf den Kopf des Schülers gesprungen, schilderte der Vorsitzende Richter Gert Wegner den Ablauf des Verbrechens. Marco Sch. habe dem Opfer anschließend mehrfach einen Stein auf den Kopf geworfen.
Marco Sch., der mehrfach vorbestrafte und alkoholabhängige 24-jährige Bruder des Hauptangeklagten, war bereits zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Aber das Gericht musste noch klären, ob er als notorischer Straftäter eine so große Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, dass zu lebenslanger Sicherungsverwahrung verurteilt wird. Das hatte Staatsanwalt Kai Clement gefordert. “Er hat einen Hang, gefährliche Straftaten zu begehen und ist eine Gefahr”, sagte er. Zwar trinke der Angeklagte seit seinem zwölften Lebensjahr, sei abhängig und habe die Taten meist nur unter Alkoholeinfluss begangen. Aber eine optimale Therapie sei praktisch nicht möglich. “Er ist eine unvermeidbar tickende Zeitbombe”, sagte Clement.
Das Gericht sah dies anders und folgte dem Antrag der Verteidigung und der Einschätzung des psychiatrischen Gutachters. “Marco Sch. wird zur Unterbringung in einer Entziehungseinrichtung verurteilt”, sagte der Richter.
Selbst wenn es in der Realität derzeit keine optimalen Therapieeinrichtungen gäbe, sei es “unverhältnismäßig”, den Täter lebenslang in Sicherungsverwahrung abzuschieben, ohne eine Entziehungstherapie zu versuchen.
Die ursprüngliche Strafe gegen den Mittäter Sebastian F. hatte der BGH als zu mild bemängelt.
Grund: Der Rechtsextremist stand zwar beim eigentlichen Mord nur unbeteiligt daneben, war aber doch an den Misshandlungen unmittelbar davor beteiligt gewesen. Er müsse also wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt werden. Doch die vier Jahre, die der Staatsanwalt forderte, hielt Richter Wegner für zu hoch: “Drei Jahre sind im Jugendrecht für einen vorher nicht vorbestraften Angeklagten eine harte Strafe.”
Haftstrafe im Mordfall von Potzlow verschärft
Mittäter in Revisionsprozeß zusätzlich wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt
Neuruppin — Einer der drei Täter im Mordfall von Potzlow (Uckermark), bei dem ein Schüler zu Tode gemartert wurde, muß statt zwei nun drei Jahre ins Gefängnis. Außerdem muß einer der Haupttäter, Marco Sch., wegen seiner Alkoholabhängigkeit in eine Entziehungsanstalt eingewiesen werden. Das ist das Ergebnis des Revisionsprozesses um das spektakuläre Verbrechen vom Sommer 2002, der gestern vor der Berufungskammer des Landgerichts Neuruppin stattfand. Die Sicherungsverwahrung für Marco Sch., wie sie die Staatsanwaltschaft gefordert hatte, lehnte die Kammer unter Vorsitz von Richter Gert Wegener jedoch ab.
Sebastian F. (19) erhielt gestern eine Jugendstrafe von drei Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge, gefährlicher Körperverletzung und mehrfacher Nötigung. Im ersten Prozeß vor dem Neuruppiner Landgericht im Sommer 2003 war der Angeklagte aus Templin allein wegen gefährlicher Körperverletzung zu nur zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt worden.
Die Korrektur des Strafmaßes war nötig geworden, weil der Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Leipzig auch eine Mitverantwortung von Sebastian F. am Tod des damals 17jährigen Schülers Marinus Schöberl sieht, obwohl er an der Tötungshandlung selbst nicht unmittelbar beteiligt war. F. sei jedoch an den vorangegangenen Körperverletzungen mit zahlreichen Schlägen und Tritten beteiligt gewesen. Dadurc
h habe er die “Gewaltspirale” mitgedreht, die in dem Tod des Jungen endete, wie Richter Wegener gestern sagte.
Der zierliche, mit einem Sprachfehler belastete Sonderschüler Marinus war von Haupttäter Marcel Sch. (18) am frühen Morgen des 12. Juli 2002 in einem Schweinestall bei Potzlow auf bestialische Weise umgebracht worden. Zuvor war er von den drei Tätern in einer Wohnung im Ort stundenlang geschlagen, getreten und gedemütigt worden. Sebastian F. hatte auf den malträtierten Jungen uriniert. Das Motiv für die Quälerei: Marinus trug Hip-Hosen und sein Haar blond gefärbt. Allen Tätern attestierte ein Gutachter rechtsradikale Gesinnung.
Marcel Sch. und sein älterer Bruder Marco (23), an dessen 15 Jahren Haft wegen versuchten Mordes gestern nichts geändert wurde, zwangen den Jungen schließlich, in die Steinkante eines Schweinetroges zu beißen. Dann sprang Marcel mit beiden Füßen voran auf den Hinterkopf des am Boden kauernden Opfers. Sebastian F. verließ geschockt den Tatort. Marcel Sch. tötete Marinus dann durch zwei wuchtige Hiebe mit einem Gasbetonstein auf den Kopf. Dann verscharrten alle zusammen den Toten in einer Jauchegrube vor dem Stall. Dort wurde Marinus erst Monate später am 15. November 2002 gefunden.