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Offener Brief an die Landesregierung: Asylrechtsverschärfung stoppen, Willkommenskultur retten

Geset­ze­sen­twurf „zur Neuregelung des Bleiberechts und der Aufen­thalts­beendi­gung“: Anrufung des Ver­mit­tlungsauss­chuss­es durch den Bundesrat.
Sehr geehrter Herr Min­is­ter­präsi­dent, sehr geehrte Min­is­terin­nen und Minister,
der Bun­destag hat am 2. Juli das „Gesetz zur Neubes­tim­mung des Bleiberechts und der Aufen­thalts­beendi­gung“ beschlossen. Voraus­sichtlich am 10. Juli wird der Bun­desrat darüber berat­en. Obwohl die Bun­desregierung den Geset­ze­sen­twurf nicht als zus­tim­mungs­bedürftig deklar­i­erte, soll­ten Sie sich dafür ein­set­zten, dass der Bun­desrat seine Auf­gabe ernst nimmt und zumin­d­est der Ver­mit­tlungsauss­chuss angerufen wird, mit dem Ziel ein­er grundle­gen­den Über­ar­beitung des Geset­ze­sen­twurfs. Der Geset­ze­sen­twurf packt zwei völ­lig gegen­läu­fige Regelun­gen zusam­men, was wohl einem Kuh­han­del zwis­chen den Koali­tion­spart­nern von SPD und CDU/CSU geschuldet ist: die sehr zu begrüßende stich­tag­sun­ab­hängige Bleiberecht­sregelung und die mas­sive Ausweitung der Abschiebung­shaft. Die pos­i­tiv­en Aspek­te des Geset­ze­sen­twurfs dür­fen jedoch nicht als Verzuckerung men­schen­rechtlich beden­klich­er Ver­schär­fun­gen miss­braucht werden.
Die Kri­tik am Geset­ze­sen­twurf, die von ein­er Vielzahl von Sachver­ständi­gen und Men­schen­recht­sor­gan­i­sa­tio­nen geübt wurde, dürfte Ihnen bekan­nt sein:
— Anstatt Abschiebung­shaft zu ver­mei­den, soll sie über die Def­i­n­i­tion von Anhalt­spunk­ten für Flucht­ge­fahr aus­geweit­et wer­den. In der Prax­is wer­den diese Anhalt­spunk­te als Haft­gründe ange­wandt werden.
— Beson­ders prob­lema­tisch ist der Haft­grund, „erhe­bliche Geld­be­träge“ an einen Schleuser gezahlt zu haben, obwohl all­ge­mein bekan­nt ist, dass angesichts der Abschot­tung Europas eine Ein­reise von Schutz­suchen­den ohne die Zuhil­fe­nahme von Schlep­pern schlicht unmöglich ist. Zu Recht hat­te der Bun­desrat in sein­er Stel­lung­nahme fest­gestellt, dass von diesem Umstand nicht auf eine Absicht geschlossen wer­den kann, sich der Abschiebung zu entziehen. Der ver­ab­schiedete Geset­ze­sen­twurf berück­sichtigt in kein­er Weise die Empfehlung des Bundesrats.
— Beson­ders prob­lema­tisch ist der Haft­grund Iden­tität­stäuschung durch Pass­losigkeit. Zahlun­gen an einen Schlep­per, Unter­drück­en von Reise­doku­menten oder falsche Angaben zur Iden­tität sind typ­is­che, aus der Not geborene Ver­hal­tensweisen von Flüchtlin­gen, die nach der Gen­fer Flüchtlingskon­ven­tion kein Grund für eine Inhaftierung sein dürfen.
— Beson­ders prob­lema­tisch ist des weit­eren, dass der Umstand, aus einem anderen EU-Staat nach Deutsch­land ein­gereist zu sein, als Haft­grund im Dublin-Ver­fahren her­hal­ten soll. Der Recht­sauss­chuss des Bun­desrats hat­te die ersat­zlose Stre­ichung dieses Haft­grun­des emp­fohlen. Lei­der fand diese Empfehlung keine Mehrheit im Bun­desrat, wozu die Ablehnung Bran­den­burgs beige­tra­gen haben dürfte.
— Her­vorzuheben sind noch die völ­lig unver­hält­nis­mäßi­gen Ein­reis­es­per­ren, die für den gesamten Schen­gen-Raum gel­ten, sowie der euro­parechtswidrige Ausreisegewahrsam.
Per­fide ist, wie jet­zt die Ver­schär­fung der Abschiebungsregelun­gen durch die Prob­leme der Kom­munen bei der Unter­bringung von Flüchtlin­gen gerecht­fer­tigt wer­den, näm­lich mit dem zynis­chen Argu­ment „Wir brauchen Platz für die wirk­lich Ver­fol­gten“. Wir möcht­en daran erin­nern, dass Abschiebung­shaft einen schw­er­wiegen­den Ein­griff in die Frei­heit­srechte von Men­schen darstellt, die ja noch nicht ein­mal eine Straftat began­gen haben; organ­isatorische Prob­leme dür­fen in keinem Fall zur Legit­i­ma­tion von Frei­heit­sentziehun­gen dienen.
Mit der Prax­is und Rhetorik der Abschiebun­gen wird die Willkom­men­skul­tur in Bran­den­burg unter­graben, die eine große Zahl von Willkom­mensini­tia­tiv­en tagtäglich prak­tizieren. Abschiebun­gen zer­reißen die neu ent­stande­nen Fre­und­schaften und machen alle ehre­namtlichen Anstren­gun­gen zunichte. Das ist eine Steil­vor­lage für Ras­sistIn­nen. Wenn Sie es in Ihrem Beken­nt­nis zur Willkom­men­skul­tur wirk­lich ernst meinen, soll­ten Sie sich auch aus diesem Grund für eine kom­plette Über­ar­beitung des Geset­ze­sen­twurfs aussprechen.
Im Bran­den­burg­er Koali­tionsver­trag ste­ht der Satz: „Die Koali­tion wird sich wie bish­er darum bemühen, Abschiebung­shaft zu ver­mei­den.“ Diese Bemühun­gen müssen jet­zt stat­tfind­en, vor und auf der entschei­den­den Sitzung des Bun­desrats, der immer noch die Möglichkeit hat, den Ver­mit­tlungsauss­chuss anzu­rufen. Selb­st wenn das nicht von Erfolg gekrönt sein sollte, wäre es den­noch ein wichtiges Sig­nal, die schlimm­ste Ver­schär­fung des Asyl­rechts seit 1993 nicht unkom­men­tiert zu lassen und die öffentliche Debat­te zu führen.
Mit fre­undlichen Grüßen
Kay Wen­del (Flüchtlingsrat Brandenburg)

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