Retrospektive auf eine antifaschistische Straßenparade am 12.7.08 in Bernau und offene Fragen an den verantwortlichen Polizeichef
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Willuda,
Mit Zufriedenheit schauen wir – die Jugendlichen des Bernauer Jugendtreff Dosto (biF e.V.) und unsere Partner_innen aus dem Bernauer Netzwerk für Toleranz und Weltoffenheit – auf unsere Straßenparade unter dem Motto „Keine Stimme den Nazis“ am 12.Juli ́08 in Bernau (Landkreis Barnim) zurück. Mit drei bunt geschmückten Musikwagen zog die Parade vom Bahnhof durch die Straßen von Bernau und mündete in einem Fest in der Innenstadt. Neben einem ausgewogenen Musikprogramm, gab es Stände verschiedener Initiativen, die Informationsmaterial gegen die im Kommunalwahlkampf aktiven Neonazis verteilten. Insgesamt nahmen rund 300 Menschen an den Veranstaltungen teil. Am Abend sollte das Fest im Jugendtreff Dosto mit einer Party ausklingen. Doch aus einem unbeschwerten Abend wurde nichts mehr. Daran waren viele beteiligt: zu aller erst einige gewalttätige Neonazis und dann noch einige Polizisten. Deshalb fragen wir uns und den verantwortlichen Polizeichef des Landkreises Barnim nun: „Was war da los, Herr Willuda?“
Doch schauen wir noch einmal zurück und sortieren die Ereignisse der Reihe nach:
Im Vorfeld der Parade gab es verschiedene Bedenken: Die Einen hatten Angst, Gewaltbereite, „Autonome“ und der sogenannte „Schwarze Block“ würden nach Bernau kommen, um dort Mülltonnen anzuzünden und die Stadt zu verwüsten. Andere wiederum befürchteten, dass sich Nazis provoziert fühlen würden, wenn man mit dem Motto „Keine Stimme den Nazis“ zu offensiv sei. Es kostete viel Kraft und Einfühlungsvermögen unsererseits in Diskussionen, diese Vorurteile nach ihrem realen Gehalt zu hinterfragen und abzubauen. Letztendlich konnten wir auf Grund der jahrelangen Zusammenarbeit im Netzwerk und auf den in unzähligen gemeinsamen kommunalen Projekten gemachten Erfahrungen aufbauend, ein für alle Beteiligten rundes Veranstaltungskonzept erarbeiten.
Finanziert werden sollte es durch den Landesaktionsplan (LAP) „Vielfalt tut gut“. Ein entsprechender Antrag war durch den Begleitausschuss bewilligt worden. Doch kurz vor dem Ereignis zog der Landkreis die Bewilligung mit einer sehr formalen Begründung zurück. Aus gut informierter Quelle heißt es, die Polizei hätte wohl interveniert. Nichtsdestotrotz und nach vielem hin und her, waren sich von Stadtverordneten, über Jugendclubs bis zu Kirche alle einig, gemeinsam gegen Nazis auf die Straßen zu gehen.
Die Parade und das anschließende Fest verliefen erfolgreich und übertrafen sogar die meisten Erwartungen.
Zum Ende des Tages – als Parade und Fest bereits beendet waren – kam es zu mehreren Angriffen durch Neonazis auf Teilnehmer_innen des Festes. Als die Teilnehmer_innen auf dem Weg in den Jugendtreff Dosto waren, wo die Abschlussparty stattfinden sollte, fuhr ein PKW auf diese zu. Aus ihr stiegen mehrere aggressive, eindeutig dem neonazistischen Spektrum zugehörige Männer und suchten die Konfrontation. Nur wenig später am Abend kam es dann zu zwei Angriffen von 10-15 Neonazis. Diese versuchten gewaltsam auf das Gelände des Jugendtreffs zu gelangen. Mehrfach wurde der Hitlergruß gezeigt. Auch Morddrohungen gegen Besucher_innen des Jugendtreffs wurden ausgesprochen. Doch die Polizei reagierte nicht. Dabei wäre es recht einfach gewesen, diese Provokationen zu beenden: aber die Neonazis wurden weder des Platzes verwiesen, noch wurden Anzeigen unserer Jugendtreffgäste aufgenommen.
Wir waren schockiert.
Und neben diesem Ungemach stürzte sich die Lokalpresse auf genau diese Ereignisse, die nach der Straßenparade stattfanden. Plötzlich war nicht mehr vom erfolgreichen jugendkulturellen Event die Rede, auch nicht vom offensichtlichen Versagen der Polizei, nein: die antifaschistische Straßenparade endete im „Chaos“ (Vgl. MOZ, 14.Juli 2008). Ein Bild, das der am Abend des 12.7. verantwortliche Einsatzleiter Herr Willuda in seinen Interviews gegenüber der Märkischen Oderzeitung munter bedient. Dort stellt er dar, dass es Auseinandersetzungen auf der Hauptverkehrsstraße gab, er verschweigt jedoch die Neonaziangriffe. Schlimmer noch, so äußerte Herr Willuda bei der Auswertungssitzung des Begleitausschusses des LAP, dass er bisher generell noch gar keine Angriffe von Rechts verzeichnet habe. Auf welchen Ort und welchen Zeitraum bezieht sich Herr Willuda hier?
Gern rühmt sich Herr Willuda auch damit, wie die Polizei bspw. in Schönow (ein Ortsteil Bernaus) bei einem großen Neonazikonzert eingegriffen hat. Wie kann es bei so guter Polizeiarbeit dann also sein, dass eine Gruppe von 10 – 15 Neonazis sich zweimal ungehindert unmittelbar vor dem Gelände des Jugendtreffs sammelt, aus der Gruppe heraus mehrfach der Hitlergruß gezeigt wird, Morddrohung ausgesprochen und Polizisten geschlagen werden (s. Fotos)? 80 Polizisten schaffen es also nicht gegen 10–15 aufmüpfige Neonazis effektiv zu handeln?
Die Auswertung im Rahmen des Landesaktionsplan Barnim zeigte außerdem, dass Engagement gegen Rechts immer nur dann gut geheißen wird, wenn es still und heimlich in einem Kämmerchen passiert. Eine Veranstaltung sei nur dann erfolgreich, wenn „es ruhig bleibe“. Jugendliche und Bürger_innen, die Courage zeigen werden nicht nur Steine in den Weg gelegt, sondern sie werden beleidigt und bloßgestellt. Dabei tonangebend: die Polizei.
Hinzu kommt Willudas Presserecherche zur Bewertung der Straßenparade, von der er dem Begleitausschuss des LAP berichtete. Ganz selbstverständlich reihen sich in die aufgezählten Artikel der Lokalzeitungen und Internetankündigungen der Veranstalter diffamierende Texte der Barnimer NPD.
Höhepunkt der Peinlichkeit auf der gleichen Sitzung: Herr Willudas „Angst“ vor Legofiguren. Unsere Parade, die wir „bunt laut – antifaschistisch“ nannten, hatte soviel mit dem Gewalttätern und dem „Schwarzen Block (s.o.) zu tun, wie Vogelfutter mit Waschmaschinen. Dennoch wurden wir immer wieder mit diesem Bild des sog. „Schwarzen Blocks“ konfrontiert, und, haben es kurzerhand auf die Schippe genommen, indem wir schwarz gekleidete Legofiguren aus Pappe mit einer Fahne, auf der „Black Bloc“ (engl. Schwarzer Block“) stand, an die Motorhaube des ersten Wagens klebten (s. Foto). Statt darüber zu schmunzeln, wie es die meisten taten, sah Herr Willuda dahinter eine Verschwörung der Linksextremisten.
Anhand dieses Bildes sei zu sehen, wer und welche Ideologie wirklich hinter dieser Veranstaltung stecke. Das Verhalten Willudas und der Polizei reiht sich ein, in eine Vielzahl von Schikanen, wie sie in den vergangenen Monat von Seiten der Polizei gegenüber des Jugendtreff Dosto passieren. Im vergangenen Jahr veranlasste Herr Willuda Recherchen über den Jugendtreff, um diesen zu verunglimpfen. Zwei Punkte schienen für ihn Anlass zu sein: Punkt 1. Die NPD hatte auf ihrer Seite mal wieder über das Dosto herzogen. Punkt 2.: Das Dosto war Mitglied im frisch aufgestellten Begleitausschuss des LAP. Kurze Zeit später fand man fadenscheinige Begründungen um das Dosto aus dem Begleitausschuss auszuschließen. Dass sich Herr Willuda gegen engagierte Menschen stellt, und Antifaschistisch_innen als Extremisten abstempelt, und diese auf eine Stufe mit Neonazis stellt, ist für uns unbegreiflich. Welche Absichten stecken dahinter? Wie kann Engagement gegen Rechts aussehen, wenn den Wenigen mit Courage verwehrt wird, ihre kreativen Ideen umzusetzen?
Wir wissen nicht was Sie antreibt, Herr Willuda. Wir w
issen nicht, warum Sie NPD-Quellen mit der Regionalpresse gleichsetzen, wir wissen nicht, warum in ihrer Verantwortung Neonazis vor unserer Haustür nicht zur Räson gebracht wurden, wir wissen nicht, warum Sie unsere Arbeit nicht wertschätzen. Wir wissen aber, dass ihr Verhalten nicht dazu beiträgt, dass sich mehr Jugendliche und junge Erwachsene gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren, wenn immer wieder versucht wird, unser Engagement als ein extremistisches und zu kriminalisierendes zu brandmarken.