(MAZ) POTSDAM Auch wenn es den Anschein habe, als würden rechtsextremistische
Straftaten in Brandenburg geringfügig zurückgehen, so bestehe kein Grund zur
Zufriedenheit. Das war am Sonnabend der Tenor einer Fachkonferenz, bei der
sich in Potsdam Koordinatoren gegen Fremdenfeindlichkeit zum Thema
Strafverfolgung und Opferschutz austauschten. Alarmierend sei vor allem die
immer weiter zunehmende Brutalität der Verbrechen, die im vergangenen Jahr
zwei Menschenleben gefordert habe. Brandenburgs Justizministerin Barbara
Richstein (CDU) forderte deshalb eine bessere Vernetzung der
Opferhilfeeinrichtungen und ein flächendeckendes Engagement. “Ich stelle mir
vor, dass es in jeder Gemeinde mindestens einen Opferhelfer gibt, der
möglichst auch in Grenzen sprachkundig sein sollte und umgehend nach einer
rechtsextremistischen Straftat entscheiden kann, welche Hilfe erforderlich
ist, wie der Schutz des Opfers gewährleistet werden kann und wie die
Spätfolgen der Traumatisierung abgebaut werden können.” Gleichzeitig wies
die CDU-Politikerin jedoch darauf hin, dass wegen der angespannten
Haushaltslage hierbei nicht mit all zu viel Unterstützung des Landes zu
rechnen sei. Zwar müsste es weiterhin “regelmäßig Haushaltsansätze und
Projektförderung zu Gunsten von Opferhilfeeinrichtungen geben”, darüber
hinaus sollten jedoch von privaten Spendern und Sponsoren sowie aus
Lottomitteln gespeiste Opferfonds eingerichtet werden. Auch Bußgelder
könnten zum Teil in die Kassen von Hilfsorganisationen fließen, meinte
Richstein. Kritisch stehen Opferhilfeverbände einer im Justizministerium
derzeit diskutierten Verschärfung des Jugendstrafrechts gegenüber.
Diskutiert wird, ob Heranwachsende (18- bis 21-Jährige) in Zukunft nach dem
Erwachsenen-Strafrecht beurteilt werden sollen und ob die Höchststrafe von
bisher zehn auf 15 Jahre hochgesetzt wird. “Derartige Erwägungen münden sehr
schnell in eine populistische Argumentation”, meinte Alfred Roos,
Geschäftsführer der Vereinigung “Regionale Arbeitsstellen für
Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule” (RAA). Martina Münch vom
Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit
kritisierte, dass das Strafrecht zu täterorientiert sei: “Es kann nicht
sein, dass das bewusste Kampftrinken vor oder sogar nach einer Gewalttat
immer noch als Entschuldigung zählt und vor Gericht als strafmindernd
bewertet wird.” Der Integrationsbeauftragte der Stadt Cottbus, Michael
Wegener, verwies in diesem Zusammenhang eindringlich auf die Notwendigkeit,
die immer noch zu lange Bearbeitungszeit von Straftaten vor Gericht zu
verkürzen: “Egal ob durch mehr Personal oder durch Umstrukturierung.” Vor
allem dadurch könnten Opfer wirkungsvoll geschützt werden. Momentan beträgt
die durchschnittliche Bearbeitungsdauer in Brandenburg bei
rechtsextremistischen Gewalttaten rund 2,6 Monate. Leider, sagte Wegener,
müssten sich Opfer auch heute noch viel zu häufig vor Gericht als Schuldige
vorkommen, weil sie von Verteidigern und Tätern eingeschüchtert werden. Noch
immer gebe es nicht an jedem gericht extra Opferräume, von denen aus die
Betroffenen die Verhandlung verfolgen können, ohne ihren Demütigern
gegenüber treten zu müssen.
Für verbesserten Opferschutz
Justizministerin Richstein fordert Ansprechpartner in jeder Gemeinde — Verstärkte Vernetzung notwendig
(MOZ) Potsdam (ddp-lbg). Brandenburg will Schutz und Hilfe für Opfer
rechtsextremistischer Straftaten verbessern. In jeder märkischen Kommune
solle sich mindestens ein «Opferhelfer» zur Verfügung stellen, schlug
Justizministerin Barbara Richstein (CDU) am Samstag auf einer Tagung
kommunaler Koordinatoren gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in Potsdam
vor. Diese müssten untereinander vernetzt sein. Denn die Gewaltopfer
erhielten «auch heute noch nicht immer hinreichend Hilfe und Schutz». Deren
Unterstützung sei ein Schwerpunkt des Handlungskonzeptes «Tolerantes
Brandenburg», betonte Bildungsstaatssekretär Frank Szymanski.
Die Ernennung von Koordinatoren gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt geht
auf eine Initiative des ehemaligen Brandenburger Ministerpräsidenten Manfred
Stolpe (SPD), kommunalen Verbänden, des Aktionsbündnisses gegen Gewalt,
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sowie des Landespräventionsrates
vom August 2000 zurück. Sie sollen die gesellschaftlichen Kräfte in den
Gemeinden aktivieren, die kommunale Öffentlichkeit sensibilisieren, die
Zusammenarbeit von Bürgern und lokalen Initiativen mit der Verwaltung
fördern und Aktionen bei fremdenfeindlichen Vorfällen einleiten.
Richstein nannte für ihren Vorschlag sogleich Ross und Reiter. Auch die
Arbeit der «Opferhelfer» könnten die Koordinatoren übernehmen. Ihre Zahl
liegt derzeit in Brandenburg bei über 100. Sie sollten nach Richstein durch
die Opferhilfeeinrichtungen in die Lage versetzt werden, selbständig und
fachkundig zur Entlastung der Betroffenen und ihrer Angehörigen beizutragen.
Die Ansprechpartner müssten entscheiden, welche Hilfe sofort eingeleitet,
wie der weitere Opferschutz gewährleistet werde, und wie die Spätfolgen der
Traumatisierung abgebaut werden könnten. Nach Angaben von Szymanski soll
geprüft werden, wie der Vorstoß Richsteins «in die vorhandenen Strukturen
integriert werden kann».
Als Grundvoraussetzung für einen verstärkte Beistand nach extremistischen
Übergriffen nannte Richstein die Schaffung einer flächendeckenden
Opferhilfe. Das müsse eine deutliche verbesserte Vernetzung der Arbeit von
Opferhilfeeinrichtungen, wie des Vereins Opferberatung, der Mobilen
Beratungsteams und des Vereins Opferperspektive nach sich ziehen. Um die
Maßnahmen zu bezahlen, müsse die Einnahmeseite verstetigt werden, betonte
Richstein. Sie regte regelmäßige Haushaltsansätze und Projektförderungen für
Opferhilfeeinrichtungen an. Richstein wiederholte ihre Forderung nach einem
Opferfonds, ausschließlich gespeist aus Spenden.
Die Ministerin brachte eine Selbstverpflichtung der Ressorts in die
Diskussion, Lottomittel der Opferhilfe zukommen zu lassen. Zudem sollten die
Hilfsorganisationen höhere Anteile an Bußgeldern erhalten. Szymanski mahnte
ergänzend, die gesamte Gesellschaft sei beim Opferschutz in der Pflicht.
Niemand dürfe bei Angriffen wegsehen.