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Organisiert euch!

(Jun­gle World, Christo­pher Ndikum Nsoh) Die Flüchtlingsini­tia­tive Bran­den­burg (FIB) wurde 1998 von ein­er Gruppe von Asyl­be­wer­berIn­nen in Rathenow gegrün­det. Als Ini­tia­tive wurde sie mit der Veröf­fentlichung zweier offen­er Briefe im Jahr 2000 ein­er größeren Öffentlichkeit bekan­nt. In einem ersten Brief an Behör­den und Öffentlichkeit wur­den vor allem die ras­sis­tis­chen Angriffe beschrieben, unter denen sie lei­den. Gle­ichzeit­ig bat­en sie darum, Bran­den­burg wegen der per­ma­nen­ten Bedro­hung ver­lassen zu dür­fen. Mit dem zweit­en Brief soll­ten ins­beson­dere die schlecht­en Lebens­be­din­gun­gen von Asyl­be­wer­berIn­nen pub­lik gemacht wer­den. Bei­de Briefe erregten große Aufmerk­samkeit in der Öffentlichkeit für die Sit­u­a­tion von Asyl­be­wer­berIn­nen speziell in Bran­den­burg. Im sel­ben Jahr erhielt die FIB die Carl-von-Ossi­et­zky-Medaille, einen Men­schen­recht­spreis, der von der Inter­na­tionalen Liga für Men­schen­rechte vergeben wird. 

Mit der eigentlichen Entste­hung der FIB im Jahr 2000 gab es eine grund­sät­zliche Verän­derung der anti­ras­sis­tis­chen Struk­turen. Waren es vorher vor allem deutsche Grup­pen, die mit ihrem Blick den Kampf gegen Ras­sis­mus und die schlecht­en Bedin­gun­gen für Asyl­be­wer­berIn­nen in der BRD führten, begann durch die Asyl­be­wer­berIn­nen in Rathenow die Ära der Flüchtlingsak­tivistIn­nen in Brandenburg. 

In den ersten Tre­f­fen zur For­mulierung der offe­nen Briefe gab es sehr unter­schiedliche Posi­tio­nen. Die VertreterIn­nen der einen Frak­tion waren davon überzeugt, es hätte schon von genug Grup­pen offene Briefe, Peti­tio­nen und Protest­briefe an die Regierung gegeben und es habe sich nichts geän­dert. Sie ver­trat­en die Mei­n­ung, man müsse sich bewaffnen, um auf ras­sis­tis­che Angriffe reagieren zu können. 

Die andere Frak­tion ver­traute eher auf »Diplo­matie« und Aktivis­mus. Die VertreterIn­nen dieser Denkrich­tung kon­nten schließlich die anderen überzeu­gen, indem sie ihnen die juris­tis­chen Kon­se­quen­zen ein­er Ver­haf­tung mit Waf­fenbe­sitz durch die Polizei verdeut­licht­en. Sie macht­en darauf aufmerk­sam, dass es nicht auf die Kraft der Muskeln, son­dern auf die Kraft des Denkens ankomme und beton­ten: »Die Macht der Argu­mente ist stärk­er als die Argu­mente der Macht«, oder anders aus­ge­drückt: »Das leise Kratzen der Fed­er ist stärk­er als das Gewehr.« Aus dieser Kon­tro­verse entwick­elte sich schließlich das Vorge­hen mit den öffentlichen Briefen als Strate­gie, mit der die Regierung und die Öffentlichkeit zum Han­deln gezwun­gen wer­den sollten. 

Die FIB hat seit ihrer Entste­hung eine klar definierte Struk­tur. Bei den ersten Besuchen in den ver­schiede­nen Heimen wer­den demokratisch zwei oder mehr Repräsen­tan­tInnen der jew­eili­gen Ein­rich­tung gewählt. Es wer­den Tele­fon­num­mern und Adressen aus­ge­tauscht, um weit­er­hin in Kon­takt bleiben und eine Struk­tur auf­bauen zu kön­nen. Es gibt einen Rat, welch­er bespricht, was in den näch­sten Monat­en geschehen soll, dieser kann lediglich Ideen entwick­eln und vorschla­gen, die dann in der Vol­lver­samm­lung beschlossen wer­den. Die Vol­lver­samm­lung, die sich aus den VertreterIn­nen der ver­schiede­nen Flüchtling­sheime zusam­menset­zt, trifft sich ein­mal im Monat. Diese Tre­f­fen rotieren zwis­chen den ver­schiede­nen Heimen. 

Asyl­be­wer­berIn­nen sind fast täglich Zielscheibe ras­sis­tis­ch­er Angriffe, entwed­er ver­bal oder kör­per­lich. Im Land Bran­den­burg ist die Zahl der Über­griffe immer sehr hoch gewe­sen. Dage­gen müssen wir kämpfen. Des Weit­eren kämpft die FIB für eine Verbesserung der rechtlichen Anerken­nungs­be­din­gun­gen von Asyl­be­wer­berIn­nen und für eine Verän­derung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes. Diese bei­den geset­zlichen Regelun­gen haben Asyl­be­wer­berIn­nen zu Men­schen zweit­er Klasse degradiert und ver­stoßen zusät­zlich gegen die Bes­tim­mungen der Gen­fer Flüchtlingskonvention. 

Asyl­be­wer­berIn­nen muss die Men­schen­würde garantiert wer­den, und zugle­ich müssten der große Ermessensspiel­raum der Behör­den ein­schränkt sowie verbindliche Richtlin­ien für Leis­tungs­be­wil­li­gun­gen garantiert wer­den. Asyl­be­wer­berIn­nen sollen in Woh­nun­gen unterge­bracht wer­den und nicht in isolierten Lagern. 

Die FIB hat ver­schiedene Wider­stands­for­men im Kampf gegen Ras­sis­mus und die schlecht­en Lebens­be­din­gun­gen der Asyl­be­wer­berIn­nen entwick­elt. Grund­satz der FIB ist es, die Köpfe und Hände zu verbinden, was bedeutet, sich nicht nur schriftlich zu äußern, son­dern gle­ichzeit­ig aktiv zu han­deln. Ein Beispiel hier­für ist die Kam­pagne der FIB und ander­er Asyl­be­wer­berIn­nen- und Anti­ra­grup­pen gegen die Res­i­den­zpflicht. Andere Kam­pag­nen sind die Gren­z­camps, die eigentlich von anti­ras­sis­tis­chen Grup­pen ini­ti­iert, aber später ein Ort gemein­samer Organ­isierung von Asyl­be­wer­berIn­nen- und Anti­ra­grup­pen wurde, um gegen jede Art von Gren­zen, Kon­trolle oder Ver­hin­derung von Migra­tion zu kämpfen. 

Die FIB organ­isiert auch Sem­i­nare und Kon­feren­zen. Darüber hin­aus wur­den auf ihre Ini­tia­tive hin auch schon Kirchen beset­zt. Eines der Hauptziele der FIB ist die Grün­dung von Net­zw­erken. Die FIB hat immer daran geglaubt, dass man in bes­timmten Bere­ichen mit anderen Grup­pen zusam­me­nar­beit­en sollte. 

Bis heute sind die meis­ten deutschen Behör­den­vertreterIn­nen überzeugt, dass Asyl­be­wer­berIn­nen nicht das Recht haben, ihre Prob­leme zu artikulieren. In Gesprächen zwis­chen VertreterIn­nen der Behör­den und Asyl­be­wer­berIn­nen- und Flüchtlings­grup­pen in Bran­den­burg wird zudem den angeprangerten Missstän­den kaum Glauben geschenkt. Beispiel­sweise wur­den nach der jährlichen Kon­ferenz der Flüchtlingsini­tia­tive, die am 11. und 12. Juni 2004 in Pots­dam stat­tfand, VertreterIn­nen der Gruppe von der Aus­län­der­beauf­tragten des Lan­des Bran­den­burg ein­ge­laden. Während der Diskus­sion weigerte sich die Aus­län­der­beauf­tragte kon­tinuier­lich, dem Bericht der Gruppe über den schlecht­en Zus­tand der Heime, die vorher besichtigt wor­den waren, zu glauben. Erst nach­dem die Aus­län­der­beauf­tragte erfuhr, dass VertreterIn­nen des Flüchtlingsrates und jemand aus ihrer Behörde bei den Besuchen anwe­send waren, war sie bere­it, den Aus­führun­gen der FIB zu glauben. Ein solch­es ras­sis­tis­ches Ver­hal­ten ist ein­er der Gründe dafür, warum die FIB der Aus­län­der­beauf­tragten und anderen Behör­den gegenüber skep­tisch bleibt. Die Mit­glieder der FIB sind stets offen und direkt in ihren Äußerun­gen, was viele als zu kon­fronta­tives Vorge­hen interpretieren. 

Die Beziehun­gen der FIB zu anderen anti­ras­sis­tis­chen Grup­pen sind aus ver­schiede­nen Grün­den nicht immer prob­lem­los gewe­sen. Zeitweise müssen Asyl­be­wer­berIn­nen erken­nen, dass ihre Kämpfe herun­terge­spielt bzw. ges­pal­ten werden. 

So woll­ten beispiel­sweise einige anti­ras­sis­tis­che AktivistIn­nen Ein­fluss darauf nehmen, welche Per­so­n­en der FIB Asyl­be­wer­berIn­nen bei Tre­f­fen mit anderen Grup­pen vertreten dür­fen. Dies geschah, ohne die Bedürfnisse der Asyl­be­wer­berIn­nen zu berück­sichti­gen, ohne Ken­nt­nis über die interne Struk­tur der Gruppe und ohne zu wis­sen, von wem die Asyl­be­wer­berIn­nen sich adäquat in ihren Posi­tio­nen vertreten fühlen. Diese pater­nal­is­tis­che Vorge­hensweise anti­ras­sis­tis­ch­er Grup­pen zeigt, dass manche denken, nur sie kön­nten Asyl­be­wer­ber mobilisieren. 

Andere Beispiele sind Kam­pag­nen oder Aktio­nen, in welchen die FIB von anti­ras­sis­tis­chen Grup­pen an den Rand gedrängt wurde. Zum Beispiel startete die FIB eine Kam­pagne mit ein­er anti­ras­sis­tis­chen Gruppe, die sehr kon­tro­vers disku­tiert wurde, weil viele die poli­tis­che Bedeu­tung dahin­ter nicht unmit­tel­bar ver­standen. Als langsam die poli­tis­che Bedeu­tung der Kam­pagne deut­lich wurde, kamen immer mehr anti­ras­sis­tis­che Grup­pen zu den Treffen. 

Die FIB wurde kom­plett an den Rand gedrängt, und die ganze Kam­pagne wurde eine Sache antiras
sis­tis­ch­er Grup­pen. Sie for­mulierten ein ganz neues Konzept, in dem Asyl­be­wer­berIn­nen über­haupt nicht mehr auf­taucht­en. In der zweit­en Phase der Kam­pagne wurde die FIB zum kom­plet­ten Außenseiter. 

Auch wenn es Dif­feren­zen zwis­chen der FIB und anderen anti­ras­sis­tis­chen Grup­pen gibt, kön­nen wir akzep­tieren, dass dies eben Dif­feren­zen, aber keine unüber­brück­baren Kon­flik­te sind. Wir akzep­tieren, dass wir uns in einem Lern­prozess befind­en und den Fokus auf das gemein­same Ziel, den Kampf gegen Ras­sis­mus, Unter­drück­ung, Diskri­m­inierung und Dom­i­nanz in jed­er Form richt­en müssen. Wir haben akzep­tiert, dass wir unter­schiedliche Hin­ter­gründe haben und uns auf ver­schiedene Tra­di­tio­nen beziehen, so dass es Unter­schiede in den Bew­er­tun­gen bes­timmter Aspek­te gibt. 

Im Fall solch­er Dif­feren­zen soll­ten wir diese aus­disku­tieren, um eine gemein­same Basis herzustellen, bevor wir weit­er pla­nen. Es ist nötig, unsere Kämpfe gemein­sam an die entschei­den­den Orte zu brin­gen. In Zukun­ft müssen wir ver­suchen, die pos­i­tiv­en Seit­en der Aktio­nen stärk­er in den Vorder­grund zu stellen. Solange es Ras­sis­mus, Asyl­be­wer­ber­heime und Abschiebe­lager in Bran­den­burg gibt und Men­schen­rechte und Flüchtlingsrechte mis­sachtet wer­den, kämpft die FIB weiter.

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