Seit November letzten Jahres prangt ein Infozettel im Sozialamt Neuruppin. Flüchtlinge, „die in einem anderen Land bereits einen Asylantrag gestellt haben“, sollen weniger Geld bekommen. Grund sei das vom Bundestag beschlossene Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz.
Betroffen sind alle Flüchtlinge im Landkreis, die unter die sogenannte Dublin-III-Verordnung fallen. Sie sollen in das EU-Land abgeschoben werden, in das sie zuerst eingereist sind. Nun kürzt ihnen das Sozialamt Neuruppin die Sozialleistungen um das monatliche Taschengeld von 143 Euro. Die Folgen: Die Betroffenen können sich keine Fahrkarten mehr kaufen, keine Handy-Karten, keine besonderen Lebensmittel, sie können AnwältInnen nicht mehr bezahlen. Es bleibt ihnen nur ein Existenzminimum, das zum Überleben ausreichen soll.
Tatsächlich wurde mit dem neuen Gesetz die Sozialleistungen für bestimmte Flüchtlinge unter das menschenwürdige Existenzminimum gesenkt, nach Ansicht vieler ExpertInnen ein klarer Verfassungsbruch. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2012 entschieden: „Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigt es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Die in Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ Doch die Bundesregierung spielt auf Zeit, bis das Bundesverfassungsgericht das verfassungswidrige Gesetz kassiert.
Dieses verfassungswidrige Gesetz hat das Sozialamt Neuruppin nun falsch gelesen und eigenmächtig noch einmal verschärft. Denn nach dem Gesetz sollen nicht Flüchtlinge im Dublin-III-Verfahren gekürzte Leistungen erhalten, sondern Flüchtlinge, die nach einem Beschluss der EU in andere Länder „umgesiedelt“ wurden und sich der Zwangsumsiedlung widersetzen.
Im September 2015 hatte die EU die Umsiedlung von 160.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien beschlossen, bis Anfang Januar wurden gerade einmal 272 eritreische und syrische Flüchtlinge nach Finnland, Schweden und Luxemburg umgesiedelt.
Gegen die rechtswidrigen Leistungskürzungen wurde von einigen Betroffenen Widerspruch eingelegt, Klagen beim Sozialgericht sind anhängig. Kay Wendel vom Flüchtlingsrat kommentiert die Praxis des Sozialamts: „Die illegalen Leistungskürzungen zeigen, welcher Geist durch die Asylrechtsverschärfungen aus der Flasche entlassen wurde:
Drangsalierung und Abwehr von Flüchtlingen, Schluss mit der Willkommenskultur. Dass das Sozialamt das Recht offensichtlich beugt, ist eine Folge davon. Sozialministerin Diana Golze sollte dieser
illegalen Praxis umgehend ein Ende bereiten.“