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Politisches Motiv im Urteil nicht benannt

Gestern verurteilte das Amts­gericht Sen­ften­berg nach einem Prozesstag den 19-jähri­gen Matthias W. zu ein­er Jugend­strafe von acht Monat­en, aus­ge­set­zt auf zwei Jahre Bewährung sowie zum Ableis­ten gemein­nütziger Arbeit im Umfang von 100 Stun­den wegen des Angriffes auf eine schwan­gere Frau sowie weit­er­er Frauen und Kinder. Die Opfer­per­spek­tive kri­tisiert die fehlende Nen­nung des poli­tis­chen Motives in der Urteilsbegründung.

Die Aus­sagen der Ver­let­zten, die als Zeug­in­nen gehört wur­den, waren bedrück­end: Der sichtlich angetrunk­ene Täter hat­te sich am 25. August 2017 auf einem Spielplatz in Großräschen ziel­stre­big vor ein­er Gruppe von vier türkischen Frauen und ihren elf Kindern aufge­baut, sie ras­sis­tisch belei­digt und dann mit dem Fin­ger auf einzelne Frauen gezeigt und sie nacheinan­der mit dem Tode bedro­ht. Er schlug ein­er offenkundig schwan­geren Frau zunächst ins Gesicht und trat ihr mit erhobe­nen Bein in den Bauch als sie sich mit zwei kleinen Kindern auf dem Arm nicht schnell genug ent­fer­nen kon­nte. Einen 5‑jährigen Jun­gen, der vor ihm weglaufen wollte, trat er in den Rück­en. Ein weit­eres Mäd­chen flüchtete sich panisch auf die angren­zende befahrene Straße.

Nur durch glück­liche Umstände erlit­ten die Betrof­fe­nen keine schw­er­wiegen­den kör­per­lichen Schä­den, auch das Kind der Schwan­geren wurde gesund geboren. Die psy­chis­chen Tat­fol­gen dauern dage­gen bis heute an, schilderten die Betrof­fe­nen: Die Kinder hät­ten große Angst in der Öffentlichkeit und ver­mieden es z.B. auf Spielplätze zu gehen.

Anne Brüg­mann, Bera­terin beim Vere­in Opfer­per­spek­tive e.V., der die Betrof­fe­nen Frauen nach dem Angriff unter­stützt und im Ver­fahren begleit­et hat­te, kom­men­tierte den Prozess:

Aus Sicht der Betrof­fe­nen ist es pos­i­tiv, dass das Gericht mit der Ver­hän­gung ein­er Jugend­strafe die Schwere der Schuld des Täters anerkan­nt hat. Das Ver­fahren gab ihnen die Gele­gen­heit, aus­führlich von ihrem Erleben öffentlich zu bericht­en und wahrgenom­men zu wer­den. Allerd­ings war dies fast auss­chließlich durch eine engagierte Neben­klagev­ertre­tung möglich. Ins­beson­dere die Rich­terin hat sich so gut wie gar nicht für den ras­sis­tis­chen Hin­ter­grund der Tat und wenig für die Fol­gen für die Betrof­fe­nen inter­essiert. Es ist nicht nachvol­lziehbar, warum die poli­tis­che Moti­va­tion des Angriffs in der Urteils­be­grün­dung mit keinem Wort erwäh­nt wurde“.

Auch das Plä­doy­er des Staat­san­walts, die Tat sei „zwar aus­län­der­feindlich, aber nicht poli­tisch motiviert“ gewe­sen, ist aus Sicht der Opfer­per­spek­tive eine Farce. Es reduziert Ras­sis­mus bzw. „Aus­län­der­feindlichkeit“ auf einen ver­meintlichen Rand der Gesellschaft. Dabei sind es nicht allein organ­isierte Rechte, die poli­tisch motivierte ras­sis­tis­che Gewalt­straftat­en bege­hen. Der Angriff in Großräschen war die typ­is­che Tat eines Ras­sis­ten, der bei Gele­gen­heit vorsät­zlich han­delte. Wie alltäglich die Betrof­fe­nen den Ras­sis­mus erlei­den, zeigte sich auch an diesem Ver­hand­lungstag: „Zwar ver­ste­he ich kein deutsch, aber ‚Scheiß Aus­län­der’ kon­nte ich ver­ste­hen, da wir diese Worte wirk­lich sehr oft hören”, äußerte eine der Betroffenen.

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