Kundgebung fast störungsfrei
Polizei schirmte antifaschistische Gedenkveranstaltung ab
HALBE (MAZ, Frank Pechold) Fast störungsfrei verlief die antifaschistische Gedenkkundgebung am
Volkstrauertag in Halbe. Rund 500 Teilnehmer versammelten sich auf der Kirchstraße.
Mehr als doppelt so viele Polizisten und Bundesgrenzschützer waren von Berlin bis
Halbe aufgeboten. Einerseits, um die mit Bussen, Bahn und Pkws anreisenden
Demonstranten kontrolliert zu begleiten. Andererseits, um das Samstag vom
Bundesverfassungsgericht verfügte Verbot des Neonazi-Aufmarsches durchzusetzen.
“Die haben das im Griff”, so Karl-Heinz Mau angesichts der großen Polizeipräsenz vor
seinem Haus. Nur wenige Meter entfernt fand die Kundgebung statt. Diese Leute, so
Mau, seien besser als die rechten Staffeln, die Anfang der 90-er Jahre zweimal an
Volkstrauertagen vom Bahnhof zum Soldatenfriedhof zogen.
Dort wollten Neonazis ursprünglich gestern unter dem Motto “Ruhm und Ehre dem
deutschen Frontsoldaten” aufmarschieren. So was verbiete sich auf einer Ruhestätte
für 22 000 Opfer des Zweiten Weltkrieges von selbst, meinte Martin Müller aus Königs
Wusterhausen. An so einem Tag müsse man sich darauf besinnen, was in der deutschen
Geschichte falsch gelaufen ist.
Diesem Anliegen wollten die Veranstalter entsprechen. “Wir gedenken der 37
Zwangsarbeiter und 57 Wehrmachtsdeserteure, die auf dem Soldatenfriedhof liegen”
so Arthur Mehring vom antifaschistischen Aktionsbündnis. Leidvole Erfahrungen
schilderte der verurteilte Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann. Dann sprach Karl
Stenzel (87) aus Groß Köris. Der stellvertretende Vorsitzende des
Sachsenhausenkomitees saß viele Jahre in Konzentrationslagern.
Schon während der Reden formierten sich Autonome zum Demonstrationszug. Den ließ die
Polizei nicht zu. Deshalb kam es ausgangs der Kirchstraße zu einer kleinen
Kraftprobe. Kurz standen sich Polizisten und Demonstranten Brust an Brust gegenüber.
Mit Sprüchen wie “Halbe, wir sind da, autonome Antifa” und “Lasst es krachen, lasst
es knallen, Deutschland in den Rücken fallen” zogen die Demonstranten zum Bahnhof.
Dort wurden sie von Polizisten umstellt und aufgefordert, in vier bereitstehende
Busse einzusteigen. “Wir erwarten, dass die Polizei dieses bedrohliche Szenario
beendet”, so Hans Coppi, Sprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.
Doch dazu kam es nicht. Als vier vorläufig festgenommene Jugendliche eintrafen und
in die Busse stiegen, setzte sich der Konvoi in Bewegung.
Halbe ohne Nazis
Nach dem Verbot eines Neonazi-Aufmarschs blieb es in Brandenburg ruhig — in Sachsen-Anhalt aber nicht
HALBE (TAZ, Heike Kleffner) Passanten, die gestern auf dem Waldfriedhof in Halbe bei Königs Wusterhausen den Volkstrauertag begehen wollten, mussten zunächst einen dichten Ring von Polizeikontrollen passieren. Vor dem Friedhof der 1.500-Seelen-Gemeinde hatten sich Angaben der Polizei zufolge gestern Vormittag rund 500 zumeist jugendliche Antifaschisten versammelt, um mit einer Kundgebung der im brandenburgischen Halbe beerdigten Wehrmachtsdeserteure und sowjetischen Zwangsarbeiter zu gedenken.
Die Kundgebungsteilnehmer, unter ihnen der Bundesvorsitzende der Vereinigung der Opfer der NS-Justiz, Ludwig Baumann, waren erleichtert über das letztinstanzlich bestätigte Verbot des Neonazi-Aufmarschs. Am Samstagmittag hatte das Bundesverfassungsgericht den geplanten Großaufmarsch von rund 1.000 Neonazis auf dem größten Soldatenfriedhof Deutschlands endgültig gestoppt.
Das gerichtliche Tauziehen hatte Polizei und antifaschistische Gruppen bis zuletzt in Atem gehalten. Zunächst hatte das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) am Freitag die vom Polizeipräsisidium ausgesprochenen Verbote sowohl des rechtsextremen Aufmarschs als auch zweier antifaschistischer Gegenkundgebungen aufgehoben. Dagegen legte das Polizeipräsidium beim Oberverwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erfolgreich Beschwerde ein. Auch das von den rechtsextremen Veranstaltern daraufhin angerufene Bundesverfassungsgericht bestätigte das Verbot. Zur Begründung hieß es, der Charakter des Volkstrauertags als “stiller Feiertag” würde durch diese politische Versammlung an einem symbolischen Ort massiv beeinträchtigt. Polizeipressesprecher Matthias Kühnel aus Frankfurt (Oder) zeigte sich gestern Nachmittag dann auch erfreut “über den ruhigen Verlauf des Tages”. Außer 35 Platzverweisen habe es lediglich zwei Dutzend In-Gewahrsam-Nahmen vor allem von Rechten gegeben.
Die Rechtsextremisten hatten sich nach dem endgültigen Aufmarschverbot kurzfristig an anderen Orten mobilisiert, unter anderem ins sachsen-anhaltinische Halle. Dort legten rund 200 zumeist von auswärts angereiste Neonazis auf dem zentralen Gertraudenfriedhof Kränze mit einschlägigen rechten Botschaften nieder. Auch Friedhöfe in und bei Berlin wurden von den so genannten Freien Kameradschaften zu Kranzabwurfstellen umfunktioniert. In Hoyerswerda demonstrierten rund 50 Rechte.
1100 Polizisten setzten Aufmarsch-Verbot in Halbe durch
Sicherheitskräfte riegelten den großen Soldatenfriedhof ab / 100 Rechtsextremisten und 500 linke Demonstranten versetzten das Dorf in Unruhe
(Tagesspiegel, Claus-Dieter Steyer) Polizeisperren, Hubschrauberflüge, Kontrollen von Anhängern der rechten und der linken Szene, Festnahmen – das 600-Einwohner-Örtchen Halbe war am Volkstrauertag im Ausnahmezustand.
Obwohl der Aufmarsch der Neonazis verboten war, sprengte die Stärke der Polizeipräsenz um den größten deutschen Soldatenfriedhof alle bisherigen Maßstäbe: 1100 Beamte aus Brandenburg, Berlin und Thüringen patrouillierten auf den Zufahrtsstraßen, auf den Wegen zum Friedhof und sogar zwischen den unzähligen Gräbern. „Wir richteten uns nach der Anzahl der angekündigten Demonstranten“, sagte die zuständige Polizeipräsidentin Winfriede Schreiber. „Die Neonazis wollten hier mit 1000 Teilnehmern aufmarschieren, was aber bekanntlich das Bundesverfassungsgericht untersagte. Nun setzen wir das Verbot durch.“
Schon in den frühen Morgenstunden erwies sich das starke Aufgebot als richtig. Etwa 100 Angehörige der rechten Szene versuchten, auf das weitläufige Friedhofsgelände zu gelangen. Sie hätten nichts von dem erlassenen Verbot der Demonstration erfahren, erklärten die vorwiegend jungen Männer. Das erschien den Beamten allerdings wenig glaubhaft. Schließlich verbreiteten nicht nur Zeitungen und Rundfunksender die entsprechende Meldung aus Karlsruhe, sondern auch ein so genanntes Info-Telefon der rechten Szene – garniert mit Marschmusik und einer Hitler-Ansprache. Auf dem Friedhof, wo 22 000 Opfer der Halber Kesselschlacht vom April 1945 sowie 6000 Tote des sowjetischen Internierungslagers Ketschendorf bestatten worden sind, wollten die Neonazis unter der Losung „Ruhm und Ehre unseren Frontsoldaten“ aufmarschieren. Nicht verboten waren die Gegendemonstration verschiedener linker Gruppen. Etwa 500 Anhänger waren dem Aufruf gefolgt, zwei von ihnen wurden wegen „Mitnahme gefährlicher Gegenstände“ in Gewahrsam genommen. Zum Friedhof durften auch die linken Demonstranten nicht. Die Polizei gestattete nur eine Kundgebung an der Kirche.
„Ich bin froh, dass so viele junge Leute den Rechten die Stirn bieten wollten“, sagte die PDS-Kreisvorsitzende Karin Weber. Anwohner beschwerten sich allerdings über den Krach aus den Lautsprechern. Halbe mit seinem großen Leid sei gerade am Volkstrauertag nicht der richtige Ort für harte Klänge. Die DVU-Landesverbände aus Berlin und Brandenburg legten am großen steinernen Denkmal auf
dem Friedhof Kränze wieder. Daneben lagen Schleifen mit „recht sonderbaren Inschriften“, wie es Landrat Martin Wille (SPD) formulierte. Unterzeichnet mit „Deutschlands Jugend“, hieß es beispielsweise: „Kein Wort und keine Tat geht verloren, alles bleibt und trägt Früchte.“ Auch verschiedene „Totenkopfkommandos“ und „Traditionsgemeinschaften von Kampfverbänden“ konnten ihre Kränze ablegen – unbehelligt von der Polizei.