Das Landgericht hat am Freitag den New Yorker Eric Jacobson in zweiter
Instanz vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen. Der 32 Jahre alte Jude,
der seit acht Jahren in Berlin lebt, war zunächst im Oktober 2001 vom
Amtsgericht zu einer Geldstrafe von etwa 320 Euro verurteilt worden, weil er
zwei Polizisten als Rassisten bezeichnet haben soll.
Der Vorfall ereignete sich an einem Sonnabendnachmittag im November 2000.
Jacobson saß mit einer Freundin in der Nähe der Hasenheide in Neukölln und
beobachtete, wie zwei Streifenpolizisten einen Mann aus Sierra Leone
anhielten, um dessen Papiere zu überprüfen. “Als die Polizisten an uns
vorbeifuhren, fragte ich sie, ob sie den Mann nur deshalb kontrolliert
hätten, weil er schwarz ist”, sagte Jacobson vor Gericht. Der Polizist habe
geantwortet: “Ja, nur Schwarze verkaufen Drogen in der Hasenheide.” Vor dem
Richter wies der Polizist, der als Zeuge zum Prozess geladen war, diese
Aussage jedoch zurück. Jacobson habe erwidert, dass dies eine rassistische
Äußerung sei. Daraufhin habe er eine Strafanzeige erhalten. Jacobson sagte,
er habe nur das Handeln des Beamten kritisieren wollen. Seine Absicht sei es
nicht gewesen, den Mann zu beleidigen. Der Polizist aber sagte, Jacobson
habe ihn als Rassisten beschimpft.
Der Beamte berichtete, die Hasenheide sei unter Polizisten nicht gerade
beliebt. Schwarzafrikaner, Araber und Türken verkauften dort Drogen. Der
Park ist als gefährlicher Ort eingestuft, Polizisten dürfen dort ohne
begründeten Anlass Ausweispapiere überprüfen. Wenn sich dann Dritte
einmischten, “die nichts von Drogen verstehen”, sei die Arbeit besonders
frustrierend.
Um Passanten auf sich aufmerksam zu machen, habe Jacobson dann laut gerufen:
“Seht her, die deutsche Polizei hält mich fest, weil ich ein Jude bin”. Der
Angeklagte und die Augenzeugen wiesen dies zurück. Das Gericht glaubte ihm.
In erster Instanz aber war dem Amerikaner daraus ein Vorwurf gemacht worden.
Das Gericht hielt es für möglich, dass der Polizist Jacobson wegen seines
amerikanischen Akzentes missverstanden haben könnte und sprach ihn frei.
Kommentar eines Prozessbeobachters:
Was die Presse durchweg auslässt, ist die
antisemitische Dimension des Vorfalls. Der Polizist hatte Eric beschuldigt,
gerufen zu haben: “Sehr her, die deutsche Polizei nimmt einen Juden fest”,
und dabei gemeint zu haben, dass er ihn festnehme, weil Eric Jude ist. Ein
schönes Beispiel für antisemitische paranoide Projektion. Tatsache ist, dass
Eric im privaten Gespräch, als er bei seiner Festnahme warten musste,
gegenüber einer Begleiterin und anderen Passanten geäußert hatte, dass er
als Jude in Deutschland für rassistische Diskriminierungen besonders
sensibel sein müsse. Der Polizist muss so aufgebracht gewesen sein, dass er
Eric unterstellte, den Satz gerufen zu haben und ihn damit beleidigt zu
haben, denn Eric wolle ihm unterstellen, dass der Polizist ein Antisemit
sei. Das hat der Polizist erfunden, doch seine Fantasie folgt einem
antisemitischen Muster: die Juden nutzen ihr Jüdisch-Sein aus, um Deutsche
beleidigen zu können, und die Deutschen können dagegen nichts unternehmen.
Denn die Deutschen sind gegenüber den Juden ohnmächtig, da sie wegen
Ausschwitz unantastbar sind. Eine Form des sekundären Antisemitismus, könnte
man meinen.
Weiter hat der Polizist Eric unterstellt, Eric habe ihm angedroht, in
amerikanischen Zeitungen über den Vorfall einen Artikel zu schreiben. Wieder
erfunden. Tatsache war, dass sich Eric, als er im Polizeibus saß und auf die
Bearbeitung seiner Personalien wartete, mit der Begleiterin auf englisch
unterhielt, der ganze Vorfall sei so absurd, dass man darüber etwas
schreiben müsse, und eine Polizistin dem beleidigten Polizisten das
übersetzte. Wieder ein antisemitisches Klischee: die Juden haben
Verbindungen zur amerikanischen Medienmacht, zur deutschfeindlichen Presse
im Ausland, die Deutschland für Antisemitismus an den Pranger stellt.
In einer tieferen Ebene läuft die antisemitische Projektion darauf heraus,
dass der Polizist den Juden das Recht abspricht, sich in Deutschland
einzumischen (oder sich aufzuhalten?) So als ob der Satz von Eric, “Ich bin
ein Jude” für den Polizisten eine Beleidung wäre. Schon kein sekundärer
Antisemitismus mehr.
Bezeichnend ist, dass Staatsanwalt und Richter in der ersten Instanz Eric
für diese zweite angebliche Beleidung verurteilt hatten, also die
antisemitische Fantasie als wirklich geschehen unterstellt hatten. Sie
hatten sich mit der antisemitischen Fantasie des Polizisten identifiziert.
Heute dagegen wurde der Polizist sowohl vom Staatsanwalt wie vom Richter
kritisiert, er habe “übertrieben”, womit sie um die Feststellung herum
kommen wollten, er habe gelogen, also eine Falschaussage gemacht. Und die
Presse, die der Polizist in seiner Paranoia gefürchtet hatte, dass Eric sie
einschaltet, war eingeschaltet und verurteilte den Polizisten, mehr oder weniger. Seine
paranoide Angst hat sich bewahrheitet. Der Antisemit hat sich zum Opfer
gemacht.
Irgendwie verrückt, das alles.