Am Samstagnachmittag haben sich in Rathenow 400–500 Menschen für mehr Menschlichkeit und zu einem friedlichen Miteinander bekannt. Zuvor hatten bereits knapp 200 Antifas für eine solidarische Gesellschaft und gegen Rassismus demonstriert. Anlass war eine durch das rechte „Bürgerbündnis Deutschland“ propagierte vermeintliche Neuauflage des „Hambacher Festes“ in Form einer Kundgebung und eines Marsches. An dieser Veranstaltung beteiligten sich mehrere hundert Personen aus Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen.
Neues „Hambacher Fest“ floppt
Mit 400–500 Teilnehmer_innen blieb das neue „Hambacher Fest“ jedoch weit unter den Erwartungen. Veranstalter Nico Tews hatte zuvor vollmundig 800 Sympathisant_innen plus X angekündigt. Inhaltlich blieb die Veranstaltung ebenfalls substanzlos. Eine direkte Verbindung zu den Forderungen des historischen „Hambacher Festes“, an dem im Jahr 1832 über 30.000 Bürger_innen gegen Kleinstaaterei und die Restauration des Adels im Vormärz protestierten, war jedoch nicht erkennbar. In Rathenow wurden hingegen eher gegen Flüchtlinge und den Islam gehetzt. Bisweilen waren auch klar rassistische Versatzstücke erkennbar. Im Allgemeinen blieben die Redebeiträge jedoch auf Stammniveau und meistens schon in sich unlogisch. Deutlich erkennbar waren jedoch die neonazistische Einflussnahme auf die Versammlung. Die momentan verbotsbedrohte NPD, die zuvor offen für die Teilnahme an der Veranstaltung geworben hatte, war beispielsweise mit mehreren Kommunalpolitikern aus Rathenow, Neuruppin und Velten anwesend. Nick Zschirnt von den „Freien Kräften Neuruppin, Osthavelland“ und deren Tarninitiative „Asylhütte in Ketzin? Kannste knicken“ hielt einen Redebeitrag. Nazibarde Thomas Lange, Ende der 2000er Jahre Kopf der „Freien Nationalisten Rathenow“ und Aktivist im NPD Stadtverband Rathenow, trat als „TOitonicus“ mit mehreren eigenen Liedern auf. Dazu zeigte sich der „Nationale Widerstand Genthin“ mit neuem Banner und neonazitypischer Symbolik.
Vernetzung der Rechtspopulist_innen und Rassist_innen
Das „Bürgerbündnis Deutschland“ wurde im Dezember 2015 als Vernetzung ins Leben gerufen. In ihm haben sich PEGIDA-ähnliche Bewegungen mit rechtspopulistischem und rassistischem Charakter aus Rathenow, Stendal/Tangerhütte, Genthin, Burg bei Magdeburg, Werder/Havel, Ketzin/Havel, Nauen, Schönwalde-Glien, Lübben/Lübbenau und seit neuestem auch Oranienburg, Potsdam und Berlin zusammengefasst. Das neue „Hambacher Fest“ in Rathenow soll, gemäß Angaben der Veranstalter, nur der Auftakt sein. Nachfolgefeste in anderen Städten sollen bereits geplant sein.
Proteste erstmals auf Augenhöhe
Waren die Menschen, die in Rathenow gegen die Aufmärsche des lokalen „Bürgerbündnisses“ protestierten stets in der Unterzahl, gelang es am Samstagnachmittag erstmals mindestens gleichviel Personen zu mobilisieren. Zentraler Ort für Proteste war einmal mehr der August-Bebel-Platz in der Rathenower Innenstadt. Hier wurde zunächst ein buntes Bühnenprogramm mit Rede- und Musikbeiträgen geboten. Als das rechte „Bürgerbündnis Deutschland“ mit seinem Sympathisant_innen direkt daran vorbeizog, wurde jedoch nicht weggeschaut sondern auch lautstark dagegen protestiert. Dabei kam es vor allem zu verbalen Auseinandersetzungen, die insbesondere durch den hochaggressiven Bündler-Anhang angefacht wurde. Allerdings soll auch eine Flasche aus den Reihen der Gegendemonstrant_innen geflogen sein. Ein Mann aus Rathenow wurde daraufhin von der Polizei in Gewahrsam genommen.
Vielfältige Protestkultur
Neben den direkten Protesten mit Versammlungscharakter zogen andere die anonyme Bekundung gegen das „Bürgerbündnis“ vor. So wurden bereits in der Nacht zum Samstag Teile der Marschroute und der Märkische Platz mit Parolen gegen Nazis besprüht. Zudem waren mehrere Schilder und Laken mit ähnlichen Protestslogans zwischen der Straßenbeleuchtung oder an Häuserfassaden angebracht worden. Am Kulturhaus wurden zudem drei als Puppenspieler stilisierte Pappfiguren mit den Antlitzen von Hitler, Assad und dem Tod angebracht. Da sich die Dekoration, von der Berliner Straße aus gesehen, direkt im Rücken des „Bürgerbündnisses“ befand, entstand so das symbolische Bild einer Steuerung der Bündler durch die drei Figuren.
Antifa-Demo gegen Rassismus
Bereits am frühen Nachmittag wurde durch Antifaschist_innen jedoch auch thematisiert, dass Rassismus nicht nur ein Problem weniger Köpfe, sondern auch eine gesellschaftliche Dimension hat, die tief bis in deren Mitte hineinreicht und durch bestimmte Faktoren, wie Vereinzelung, Abschottung und Ungleichbehandlung bedingt wird. Als Ideal setzte sich die lokale Antifa deshalb für mehr Solidarität in der Gesellschaft ein. Die Demonstration startete dann etwas verspätet am Bahnhof und zog anschließend Richtung Zentrum. Später vereinigte sie sich dann am August-Bebel-Platz mit der Kundgebung der Zivilgesellschaft. Entlang der Demonstrationsroute gab es mehrere Provokationen durch rechte Jugendliche oder Sympathisant_innen des „Bürgerbündnisses“. Zu direkten Auseinandersetzungen kam es jedoch nicht. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort und besetzte bereits im Vorfeld Straßen und Punkte, an denen ein Ausbruch Richtung des Veranstaltungsortes des „Bürgerbündnisses“ möglich gewesen wäre. Blockadeversuche gegen den rechten Marsch wurden nicht bekannt.
Fotos:
Presseservice Rathenow
Sören Kohlhuber
Neuköllnbild
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