Der 23. Februar mag in Rathenow kein ungewöhnlicher Tag mehr zum demonstrieren zu sein. Nahezu alle zwei Wochen hat die havelländische Kreisstadt ja mittlerweile mit Aufmärschen des rechtsoffenen „Bürgerbündnisses Havelland“ zu rechnen. Ebenso ist es inzwischen normal das Neonazis auf diesen Aufzügen nicht nur geduldet, sondern sich auch teilweise recht freizügig entfalten können. Eine Einladung, die das aktionsorientierte Neonazimilieu offenbar gerne annimmt, zumal dieser 23. Februar für sie auch eine ganz besondere Bedeutung hat. Es ist nämlich der Todestag von Horst Wessel, ein Tag den Neonazis gerne zum Andenken an den 1930 getöteten SA Sturmführer nutzen. Offenbar auch an diesem Dienstagabend. Mehrere Neonazis aus Premnitz und Potsdam, darunter Mitglieder und Sympathisant_innen der verbotenen Kameradschaft Hauptvolk sowie der Sänger Rechtsrock-Band „Preussenstolz“, trugen während des „Abendspaziergangs“ nämlich mehrere auffällige Holzkreuze und Grablichter, die offensichtlich an einen Verstorbenen erinnern sollten. Das damit tatsächlich Horst Wessel gemeint war ist natürlich reine Spekulation, würde aber zur typischen Vorgehensweise dieses Personenkreises passen. Erst vor drei Monaten nutzten beispielsweise Rathenower und Premnitzer Neonazis eine Versammlung des Bürgerbündnisses Havelland, die in zeitlicher Nähe zum nationalsozialistischen „Gedenktag für die Gefallenen der Bewegung“ (9. November 1923) lag, bzw. den anschließenden „Abendspaziergang“ durch die Goethestraße (bis 1945 „Straße des SA“), um dem Aufzug den Charakter eines nazistischen „Fackelmarsches“ zu geben.
Neonazis werden offensichtlicher
Diese offensichtliche Symbolik scheint auch immer mehr Bürger_innen abzuschrecken, die Anfangs mit der vermeintlich bürgerlichen Protestbewegung sympathisiert haben. Dennoch ist die Teilnehmer_innenzahl der gesamten Versammlung wieder auf bis zu 350, nach einem ersten Abwärtstrend von 550 (am 12.01) auf 400 (am 26.01.) und 300 (am 09.02.), wieder leicht angestiegen zu sein. Eine Verstärkung des bürgerlichen Klientels konnte jedoch nicht beobachtet werden. Es scheint eher so, dass die extreme Rechte auf dem Platz stärken geworden ist bzw. diese bewusst mehr wahrnehmbar ist. Insbesondere der Rathenower NPD Stadtverordnete Michel Müller scheint sich dabei als Strippenzieher im Hintergrund zu bestätigen, wie einige Fotos offenbaren. Die Rolle des Christian Kaiser, der als presserechtlich Verantwortliche auch de facto Chef des „Bürgerbündnisses Havelland“ ist, liegt dagegen offenbar hauptsächlich nur darin, die Veranstaltungen anzumelden und gegebenenfalls ein paar Stammtischreden zu schwingen. Das Kaiser in seinen Redebeiträgen aber oft auch sehr direkt und persönlich gegen vermeintliche „Volksverräter“ und „Medien“ wird, kommt der extremen Rechten dabei noch zusätzlich zu Gute, genau wie seine permanente Hetze gegen Flüchtlinge oder die Regierung Merkel, die offenbar vor allem wegen der Aufnahme von Flüchtlingen angefeindet wird.
Übergriffe auf Flüchtlinge in Rathenow
Das diese Rhetorik in Rathenow anscheinend nun auch handfesten Dimensionen annimmt, dürfte dagegen absehbar gewesen sein. Wie die Polizei bereits in der vergangenen Woche berichtete, sollen nämlich an zwei aufeinander folgenden Tagen in Rathenow mehrere Flüchtlinge von Unbekannten attackiert worden sein.
Am Abend des 12. Februars 2016 sollen zunächst zwei Syrer von drei Männern am Rathenower Bahnhof verfolgt und anschließend mit einem Gegenstand beworfen worden sein. Das geworfene Objekt soll die Flüchtlinge allerdings verfehlt haben und bei der späteren Untersuchung des Falls durch die Polizei nicht mehr auffindbar gewesen sein, ebenso wie die drei Männer.
Ähnlich erfolglos blieb bisher anscheinend auch die Fahndung nach drei weiteren Männern, die am Morgen des 13. Februars 2016 zwei Albaner in der Berliner Straße attackiert haben sollen. Die unbekannten Täter schlugen, gemäß Polizeiangaben, dabei auf einen der Betroffenen ein und besprühten Beide anschließend mit Reizgas.Bei der Flucht vor den aggressiven Männern sollen die Angegriffenen ein mitgeführtes Fahrrad zurückgelassen haben. Als sie dieses einige Zeit später holen wollten, war das Zweirad verschwunden.
Ob zwischen den beiden Fällen ein Zusammenhang besteht, teilte die Polizei nicht mit.
Blendutensil auf Versammlung beschlagnahmt
Weitere Ermittlungen hat die Polizei offenbar auch während der heutigen Veranstaltung des „Bürgerbündnisses Havelland“ gegen einen Versammlungsteilnehmer aufgenommen. Der Mann soll im Verdacht stehen einen Fotografen mehrfach mit einem gebündelten Lichtstrahl geblendet zu haben. Geprüft soll in diesem Zusammenhang auch werden, ob derartige Technik überhaupt in der Bundesrepublik zulässig sei. Das Gerät wurde als Beweisstück sichergestellt.
Gegendemonstrant_innen bereiten sich auf 5. März vor
Neben dem „Bürgerbündnis Havelland“ hatte sich heute übrigens auch die Rathenower Zivilgesellschaft zu ihrer stillen Protestkundgebung auf dem August-Bebel-Platz versammelt. Dabei kamen ungefähr 80 Menschen zusammen. Zu einer direkten Konfrontation mit dem „Bürgerbündnis Havelland“ kam es jedoch nicht. Als letzt genanntes am Bebelplatz vorbeizog, war die Kundgebung der Zivilgesellschaft schon längst beendet. Mit dem fremdenfeindlichen und rechtsoffenen Versammlungen abfinden möchte sich das zivilgesellschaftliche Aktionsbündnis in Rathenow jedoch anscheinend nicht. Es konzentriere sich momentan eher auf die Organisierung von Protesten gegen eine geplante und überregional beworbene Großdemo des rechtsoffenen „Bürgerbündnisses Deutschland“ am Samstag, den 5. März 2016, um 14.00 Uhr. Zu dieser Versammlung werden, gemäß Veranstalter, bis zu 800 Personen plus x erwartet.
Fotos:
Presseservice Rathenow
Sören Kohlhuber
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