An der nunmehr dritten Versammlung des flüchtlingsfeindlichen „Bürgerbündnisses Rathenow“ haben sich wieder mehrere hundert Menschen beteiligt. Schätzungen gehen von ungefähr 400 Personen aus. Die Veranstaltung wurde erstmals auch als Demonstration durch einen Teil der Stadt durchgeführt. Während des Marsches durch die Goethestraße entzündeten mehrere bekannte Neonazis aus Rathenow und Premnitz auch Brandfackeln und verliehen dem Aufzug so den Charakter eines Fackelmarsches. Allerdings blieb die Anzahl der Versammlungsteilnehmer_innen, die dem neonazistischen Milieu zugeordnet werden konnten, relativ konstant bei ungefähr 50–60 Personen, also innerhalb der Versammlung deutlich in der Minderheit. Dennoch war wieder zu beobachten, dass diese Personenkreise die Veranstaltung benutzten um sich zu inszenieren. Weiterhin war die Steigerung einer aggressiven Grundstimmung bei einem Großteil der Versammlungsteilnehmer_innen deutlich spürbar. Eine Gegenveranstaltung gab es übrigens nicht. Das Aktionsbündnis „Rathenow zeigt Flagge“ wollte jeglichen möglichen Konflikt aus dem Weg gehen. Stattdessen wurden an Straßenlampen Schilder angebracht, die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen entkräften sollten. Zudem wurde durch die Kirche ein Friedensgebet als Protest zur der Veranstaltung des Bürgerbündnisses angeboten. An diesem beteiligten sich ungefähr 30 Menschen. Den Versuch eines direkten Protestes gab es hingegen nur in der Berliner Straße, wo sich eine kleine Gruppe von ungefähr zehn alternativen bzw. antifaschistischen Jugendlichen gesammelt hatte.
Ton wird schärfer
Deutlich mehr Menschen standen hingegen wieder auf dem Märkischen Platz, wo ab 18.30 Uhr die Auftaktkundgebung des „Bürgerbündnisses Havelland“ stattfand. Viele kamen auch wieder mit der Nationalflagge oder der Fahne des Landes Brandenburg. Akzeptiert wurde aber anscheinend auch revisionistisch anmutende Beflaggung des heute zur Republik Polen gehörenden Gebietes „Westpreußen“ sowie die seit den 2010er Jahren hauptsächlich von Gruppen der extremen Rechten genutzte, so genannte „Wirmer-Flagge“. Bisher sind die Veranstalter_innen offenbar um eine Geschlossenheit ihres „Volkes“ bemüht. Bemerkenswert ist diesbezüglich auch eine schleichende Radikalisierung in der Gestaltung der Reden. Nicht nur Ressentiments gegen Flüchtlinge werden immer wieder ausgiebig artikuliert, sondern auch Menschengruppen, die sich nicht dem kollektiven Rausch der Demagogen auf dem Märkischen Platz hingeben, als „Lügenpresse“ oder „Volksverräter“ verunglimpft. Dabei wird zum Teil auch nicht davor zurückgeschreckt bewusst Unwahrheiten zu verbreiten, um das „Volk“ anzustacheln. Die permanente Abwertung dieser Feindbilder, bei zunehmender Aggressivität wirkt, von außen betrachtet, immer bedrohlicher und könnte in Zukunft durchaus zu einer Senkung der Hemmschwelle zur Ausübung physischer Gewalt führen, zumal in den Reihen des „Bürgerbündnisses“ auch viele bekannte Gewalttäter mitlaufen.
Wieder einschlägige Neonazi-Ordner
Zum Teil waren beispielsweise bei der zweiten Veranstaltung des „Bürgerbündnisses Havelland“ in der vergangenen Woche sogar gewalttätige und diesbezüglich vorbestrafte Neonazis, die zudem mehrfach an NPD Versammlungen teilnahmen, als Veranstaltungsordner eingesetzt. Zwar wurde die Parteinähe der Ordner durch den Sprecher des havelländischen „Bürgerbündnisses“, Nico Tews, in einem wohlwollenden Interview mit einer Lokalzeitung beharrlich bestritten, diese Personen aber andererseits bei der jüngsten Kundgebung auch nicht mehr aufgestellt. Dafür wurde auf andere, ebenfalls bekannte Neonazis zurückgegriffen. Beispielsweise auf Andy K., einem in den 2000er Jahren aktiven Sympathisanten des NPD Ortsbereiches Rathenow, der wegen Gewalt- und Propagandadelikten vorbelastet ist. Er und eine weitere Person aus dem neonazistischen Milieu sollen u.a. am 11. August 2005 einen 20-Jährigen in der Goethestraße mit einer Bierflasche gegen das Kinn geschlagen haben. Weiterhin war auch der Rathenower Neonazi Thomas L. als Ordner eingesetzt. L. gilt ebenfalls als NPD Sympathisant und nahm in der Vergangenheit an zahlreichen Versammlungen dieser Partei teil. Zu einer Kundgebung der NPD im Jahr 2008 in Premnitz erschien er sogar eindeutig in Parteikluft. Auf alten, damals öffentlich einsehbaren Bildern in einem sozialen Internetnetzwerk posierte er zu dem vor einer Fahne der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN). Heute tritt L. vor allem als „nationaler“ Liedermacher unter dem Pseudonym „TOitonicus“ auf.
Neonazis inszenierten Fackelmarsch
Neben den einschlägig bekannten Ordnern war auch wieder eine Gruppe von 50–60 weiteren Neonazis Teil der Versammlung des „Bürgerbündnisses Havelland“. Dabei handelte es sich vor allem um bekannte Akteure aus Rathenow, Premnitz, Nauen und Ketzin/Havel. Diese suchten auch heute wieder die Veranstaltung des „Bürgerbündnisses“ für sich zu vereinnahmen. Nach Beendigung der Kundgebung auf dem Märkischen Platz, mit Beginn des vom Veranstalter Christian Kaiser als „Abendspaziergang“ bezeichneten Demonstrationszuges durch die Goethestraße, die Nauener Straße, die Friesacker Straße sowie der Forststraße, entzündeten mehrere bekannte Neonazis aus Rathenow und Premnitz Brandfackeln und verliehen dem gesamten Aufzug so den Charakter eines „Fackelmarsches“.
NPD sucht Anschluss
Auch die NPD, insbesondere in Person des Rathenower Stadtverordneten und Kreistagsabgeordneten Michel Müller, war ebenfalls wieder auf der Versammlung des „Bürgerbündnisses Havelland“ vertreten. Die Partei sucht offenbar nach wie vor eine Brücke zu den bürgerlichen Versammlungsteilnehmer_innen zu schlagen. In der Nacht von Montag zu Dienstag verteilten mehrere Sympathisant_innen der Partei auch Flyer im Stadtgebiet von Rathenow, auf denen u.a. das Konterfei Müllers und sowie flüchtlingsfeindliche bzw. rassistische Parolen abgedruckt waren.
Aktionsbündnis zog sich zurück
Nach dem bekannt wurde, dass sich das „Bürgerbündnis Havelland“ am Dienstagabend erneut auf dem Märkischen Platz sammeln und anschließend sogar als Demonstrationsblock durch die Stadt laufen würde, nahm das Aktionsbündnis „Rathenow zeigt Flagge“ Abstand von der Ausrichtung einer eigenen Kundgebung mit „Herz statt Hetze“. Als Begründung wurde die Vermeidung einer „weitere(n) Polarisierung“ der Lager angegeben. Ein „Aufbau von Fronten“ sei „mit Sicherheit nicht der Weg zu Lösungen im Sinne eines Miteinanders in der Stadt Rathenow“, so das Aktionsbündnis weiter. Um sich dennoch zu positionieren versuchte „Rathenow zeigt Flagge“ das bürgerliche Publikum des „Bürgerbündnisses Havelland“ mit Fakten und Argumenten zu überzeugen. So wurden beispielsweise bereits am Nachmittag Pappschilder aufgehängt, auf dem jeweils ein Vorurteil und eine entsprechend sachliche Entkräftung abgedruckt waren. Nico Tews vom „Bürgerbündnis Havelland“ ging in seiner Hetzrede tatsächlich auch auf diese Plakate ein, tat sie jedoch als „Wisch“ und „Steuergeldverschwendung“ ab. Ähnlich fruchtlos blieb das Friedensgebet in der Lutherkirche, dass ebenfalls auch als Dialog angeboten wurde. Die „besorgten Bürger_innen“ zogen im Schein der Brandfackeln ohne Gesprächsinteresse an der Kirche vorbei. Immerhin wurde drinnen zumindest über eine künftige Verfahrensweise mit derartigen Veranstaltungen beraten und mögliche Optionen erörtert. Konkrete Gegenaktionen stehen aber momentan offenbar immer noch nicht zur Diskussion, obwohl die Aufgabe eines Standortes für direkte Gegenproteste indes von einigen Menschen als „Rückzug“ vor den Hetzern und ihren teilweise extrem rechten Anhang kritisiert wurde. Die Motivation für eventuelle Gegenveranstaltungen scheint in der Zivilgesellschaft momentan jedoch auch an dem Missverhältnis der Zahlen zu liegen. Zweimal wurde zu Gegenkundgebungen aufgerufen, zweimal war „Rathenow zeigt Flagge“, trotz für Rathenower Verhältnisse erheblichen Interesses, in der Minderheit. Am Dienstagabend sammelten sich zu dem auch nur ungefähr zehn alternative bzw. antifaschistische Jugendlichen für spontanen Protest in der Berliner Straße.
Fotos: hier
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