Rathenow: Kundgebungen spalten Stadt – 500 gegen „Asylmissbrauch“, 300 für „Herz statt Hetze“
Am frühen Abend haben gestern ungefähr 500 Personen auf dem Märkischen Platz in Rathenow gegen vermeintlichen „Asylmissbrauch“ und für die Absetzung von Bundeskanzlerin Angela Merkel demonstriert. Es handelte sich um eine der zahlenmäßig am stärksten frequentierten Versammlungen nach dem Vorbild der PEGIDA-Bewegung im Land Brandenburg. Die Veranstaltungsleitung gab sich betont „bürgerlich“. Einige Redebeiträge waren jedoch deutlich von Nationalismus und einer klar geäußerten Abneigung gegenüber Menschen, die in der Bundesrepublik nach Asyl suchen, geprägt. Ungefähr zehn Prozent der anwesenden Veranstaltungsgäste des „Bürgerbündnisses Havelland“ waren bekannte Neonazis. Entsprechend gezeigte Plakate, Fahnen und Banner machten dies auch offensichtlich. Die Veranstaltungsleitung verleugnete ihrerseits jedoch die Teilnahme derartiger Personenkreise und diffamierte Medien, welche die Versammlung im Vorfeld kritisch betrachteten, als „Lügenpresse“. Gegen die Veranstaltung des „Bürgerbündnisses Havelland“ demonstrierten ungefähr 300 Menschen am August-Bebel-Platz für eine Stadt „mit Herz statt Hetze“. Auf dieser Kundgebung sprachen u.a. auch Bürgermeister Ronald Seeger sowie Vertreter_innn der Zivilgesellschaft. Symbolisch, zur Betonung des Mottos „Mein Rathenow – mit Herz statt Hetze“ wurde Kerzen angezündet. Ungefähr 50 Antifaschist_innen begaben sich anschließend in die Nähe des Märkischen Platzes und protestierten dort unmittelbar gegen die Veranstaltung des „Bürgerbündnisses Havelland“. Dabei kam es auch zu verbalen Auseinandersetzungen mit Neonazis und aufgeputschten Sympathisant_innen des „Bürgerbündnisses“.
Die Stunde der Populisten
Eine gewisse Genugtuung klang schon aus den Stimmen von Christian Kaiser und Nico Tews, beide Wortführer des „Bürgerbündnisses Havelland“, als sie vor dem von ihnen zusammengetrommelten „Volk“ sprachen. Mit derart vielen Sympathisant_innen hatten selbst die Beiden offenbar nicht gerechnet. Viel Neues hatten Kaiser und Tews allerdings nicht zu berichten. Kaiser wiederholte die bereits im Aufruf verfassten Forderungen und ergänzte sie mit einigen Statements zur aktuellen Flüchtlingssituation. Tews ging ebenfalls auf die Situation der Flüchtlingsbewegung ein, verurteilte die Medien und erläuterte seine Abkehr von der CDU unter Angela Merkel. Aufgelockert wurden die Redebeiträge lediglich durch das skandieren einfacher Schlagwörtern und Parolen wie „Lügenpresse“ oder „Merkel muss weg“, die eifrig vom Publikum mitgegrölt wurden. Konkrete und vor allem praxistaugliche Lösungskonzepte insbesondere für den Umgang mit hier ankommenden Flüchtlingen kamen jedoch weder von Kaiser noch von Tews. Offenbar war dies auch gar nicht die Absicht dieser Veranstaltung. Ähnlich gab sich der in Italien beheimatete Gastredner Sebastiano Graziani, dem Kontakte zum neofaschistischen CasaPound Italia nachgesagt werden, schon öfters bei PEGIDA-ähnlichen Versammlungen im gesamten Bundesgebiet auftrat und betont kämpferischer Auftrat. Er deutete, im Zusammenhang mit seinem als Aufgabe gesehenen Kampf gegen die vermeintliche Islamisierung Europas, an, notfalls mit einer AK47 beispielsweise durch Berlin rumzurennen, wenn er seine Familie gefährdet sehe.
Vereinnahmungsversuche durch die NPD
Das neonazistische Milieu war übrigens gestern mit ungefähr 50 Personen aus dem gesamten Landkreis Havelland, der kreisfreien Stadt Brandenburg an der Havel sowie dem sachsen-anhaltinischen Landkreis Stendal vertreten. Die zahlenmäßig stärkste Fraktion bildeten dabei Funktionäre und Sympathisant_innen der lokalen NPD aus Rathenow und Premnitz, darunter auch der Rathenower Stadtrat Michel Müller. Aus deren Reihen stammten mutmaßlich auch die am Kundgebungsort angebrachten Wahlplakate der Partei. Eine weitere NPD Delegation aus dem osthavelländischen Nauen, um den dortigen Abgeordneten Maik Schneider, hatte sich zu dem an der Ecke Berliner Straße / Goethestraße versammelt und dort zwei Banner mit diffamierenden Parolen entrollt. Konkrete Versuche der Wortergreifung auf dem Podium der Versammlung gab es hingegen nicht. Die lokal als Platzhirsch unter den Parteien der extremen Rechten geltende Organisation setzte offenbar eher auf subtile Beeinflussung durch die mitgebrachte Propaganda.
„Bürgerbündnis“ will künftig jeden Dienstag demonstrieren
Nach der aus ihrer Sicht erfolgreichen Kundgebung hatte Christian Kaiser vom „Bürgerbündnis Havelland“ bereits am gestrigen Abend angekündigt künftig jeden Dienstag Kundgebungen durchzuführen.
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