ROHRLACK Um eine weiter Eskalation in Rohrlack zu vermeiden, wird die Bevölkerung aktiv. Bei einem Treffen am Mittwoch wurden erste Maßnahmen besprochen.
Eine Telefonkette wird eingerichtet. Sollte es erneut zu Übergriffen kommen, wollen Einwohner schlichtend eingreifen. Denn die Polizeipräsenz der vergangenen Wochen soll vermieden werden. Zudem seien die Anwohner schneller zusammenzutrommeln, als die Neuruppiner Polizei in Rohrlack ist.
Des Weiteren gibt es künftig einen Runden Tisch, an dem Probleme besprochen werden. Die Streitparteien wurden aufgefordert, sich aus dem Weg zu gehen.
Seit Januar war es mehrfach zu Übergriffen auf einen Rohrlacker gekommen, bei denen immer wieder antisemitische Beschimpfungen laut wurden.
Auf den bereits wegen versuchter Nötigung verurteilten mutmaßlichen Täter soll positiv eingewirkt werden. Das Opfer der Attacken bot an, Anzeigen zurückzuziehen. Voraussetzung dafür sei, dass der Angreifer freiwillig professionelle Hilfe annimmt.
Kai Wendel vom Verein Opferperspektive schlug vor, juristisch einen Täter-Opfer-Ausgleich anzustreben. Einig waren sich die Anwesenden darin, dass eine Gefängnisstrafe nicht hilfreich sein wird.
Die Eskalation durchbrechen
Probleme gibt´s in Rohrlack viele: Mit dem Täter, dem Opfer, dem Dorfansehen und mit den Polizeieinsätzen
„Wir werden an dieser Stelle keine Wahrheitsdefinition finden.“ Rainer Jessen, Heimleiter der Wohngemeinschaft für Behinderte in Rohrlack, will nicht aufdecken, was in den vergangenen Wochen im Ort tatsächlich passiert ist. Das sei ihm nicht möglich. Und auch allen Anderen nicht, die sich am Mittwoch im Gemeindehaus trafen, und von denen jeder eine ganz andere Sicht auf die Geschehnisse hat. „Wir können es aber einleiten, diese Eskalation zu stoppen“, machte Jessen deutlich.
Immer wieder war in den vergangenen Wochen zu Übergriffen auf einen Rohrlacker gekommen. Hausinventar ist zu Bruch gegangen. Drohbriefe mit antisemitischem Inhalt sind geschrieben worden. Die Polizei hat das Dorf umstellt. Von einer Pistole ist die Rede. Mehrere Hausdurchsuchungen hat es gegeben.
Handelt es sich um einen aus der Bahn geratenen Nachbarschaftsstreit oder um rechtsradikale Übergriffe? Sind es die Taten eines Einzelnen oder steckt mehr dahinter? Darum sollte es beim Treffen nicht gehen. Stattdessen wurde erste Maßnahmen beschlossen, wie dem Opfer der Gewalt zu helfen ist. Und auch Nico D., der in dem Zusammenhang bereits wegen versuchter Nötigung verurteilt ist und von der Polizei der weiteren Straftaten verdächtigt wird, gelte es zu unterstützen. Das Opfer selbst: „Ich will nicht, dass Nico in den Knast kommt. Ihm muss geholfen werden.“ D. habe große Probleme mit seiner Persönlichkeit, war die Meinung der meisten Versammelten.
Diese zu lösen, liegt aber nicht mehr in den Möglichkeiten der Rohrlacker, machte Kai Wendel vom Verein Opferperspektive deutlich. Er hält es für sinnvoll, auf dem juristischen Wege einen Täter-Opfer-Ausgleich der sozialen Dienste der Justiz anzuleiten. Das könnte zum Beispiel im Falle einer Verurteilung bedeuten, dass Nico D. statt einer Haftstrafe die Auflage bekommt, sich professionell betreuen zu lassen. „Das klappt aber natürlich nur, wenn er einsieht, dass er ein Problem hat“, sagte Heimleiter Jessen. Er appellierte an das nähere Umfeld und Verwandte entsprechend auf den Tatverdächtigen einzuwirken. Nimmt Nico D. diese Hilfe an, ist der Geschädigte bereit, seine Anzeigen zurückzuziehen. „Dazu stehe ich.“ Wegen Volksverhetzung und Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz wird jedoch von der Staatsanwaltschaft selbständig ermittelt. Darauf habe er keinen Einfluss.
Neben den Sorgen um die Gesundheit des Geschädigten, stand auch die Frage im Raum, inwieweit die Übergriffe auf das Ansehen Rohrlacks zurückschlagen. Zeitungsberichte brächten das Dorf in Verruf. Die ökologische Bäckerei bekomme das bereits finanziell zu spüren, hat es in einer vorangegangenen Sitzung geheißen. „Rohrlack hat ja inzwischen eine dollere Presse als die Hauptstadt“, sagte Heimleiter Jessen. Wendel von der Opferperspektive: „Die beste Presse wäre es doch, wenn es heißt: Die Rohrlacker haben das Problem selbst gelöst.“
Die Polizeieinsätze der vergangenen Wochen beunruhigten nicht nur den Tatverdächtigen. Während Einige über Repressionen klagten – „Nico wurde von der Polizei eingeschüchtert“ oder „Beamte sind in unser Haus eingedrungen“ – warben Andere für Verständnis. Recht Übergriffe in Brandenburg hätten die Behörden bei derartigen Vorfällen sensibilisiert.
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