Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Streckenabschnitt der Schipp
chenbahn zwischen Hörlitz und Schipkau zur entsetzlichen Leidensstation von
etwa 2 500 vor allem jüdischen KZ-Häftlingen, heißt es in einem Beitrag der
Gemeinde Schipkau.
Und weiter: Zwei Tage lang, am 19. und 20. April 1945, stand hier ein mit
Menschen vollgepferchter Transportzug. Er kam aus dem Konzentrationslager
Bergen-Belsen im niedersächsischen Landkreis Celle. Gestartet war er als
letzter von drei Zügen am 10. April. Sein Ziel war das Konzentrationslager
Theresienstadt in Böhmen.
Wie ein Geisterzug rollte er in den letzten Kriegstagen durch den immer
enger werdenden Korridor im noch nicht besetzten Teil Mitteldeutschlands.
Ein Befehl vom Reichsführer SS, Heinrich Himmler, hatte die Züge in Marsch
gesetzt. Denn kein KZ-Häftling sollte lebend in die Hände der Befreier
fallen.
Als sich die britische Armee unter dem Befehl von Feldmarschall Montgomery
dem Konzentrationslager näherte, pferchte die SS-Wachmannschaft die
unglücklichen Frauen, Männer und Kinder vieler Nationen wie Vieh in die 46
Waggons. Der Zug sollte nie in Theresienstadt ankommen. Die Irrfahrt führte
von Bergen-Belsen über Soltau, Lüneburg, Lauenburg, Ludwigslust und
Wittenberge nach Berlin, wo er am 18. April eintraf. Von dort fuhr er über
Königs Wusterhausen, Lübben, Lübbenau nach Senftenberg. Weiter ging die
Geisterfahrt auf der Schipkau-Finsterwalder-Eisenbahn in die Sängerstadt und
dann über Doberlug-Kirchhain nach Falkenberg/Elster.
Eine gesprengte Elsterbrücke machte der Irrfahrt des Zuges bei Tröbitz am
22. April, nach zwölftägiger Geisterfahrt, ein Ende. Die in den Zug
gesperrten Menschen waren fast ohne Nahrung und Wasser. Sie litten unter den
grauenhaften hygienischen Verhältnissen, die Angst wuchs von Haltepunkt zu
Haltepunkt. Tiefflieger attackierten den Zug. Sehr bald grassierte unter den
Kindern, Frauen und Männern der Flecktyphus. Viele starben an Krankheit,
Hunger, Erschöpfung und vor Angst. Ihr Leid war unermesslich, unvorstellbar.
Wenn der Zug hielt, wurden die Toten ausgeladen und unmittelbar am Gleisdamm
beerdigt. Von Mal zu Mal stieg die Zahl der Opfer: Bergen Bahnhof sechs
Tote, von Soltau nach Munster zwei Tote, von Munster nach Uelzen vier Tote,
von Uelzen nach Lüneburg zwölf Tote, am Bahnhof Wittenberge 24 Tote.
Am 19. April schien die Odyssee des «verlorenen Transportes» auf einem
Abstellgleis der Schippchenbahn ihr Ende gefunden zu haben. Zwei Tage stand
der Zug zwischen Hörlitz und Schipkau, bevor es dann weiter ging in Richtung
Finsterwalde. Am Haltepunkt in der Nähe von Schipkau wurden 51 tote
Häftlinge aus dem Zug geholt und hier begraben. Zwanzig Schädel wurden 1956
aus den Massengräbern exhumiert und auf dem Friedhof der Gemeinde bestattet.
Die meisten von ihnen liegen immer noch unmittelbar neben der ehemaligen
Gleisstraße in der Erde.
Über alle auf dem Transport Verstorbenen schrieb ein Holländer eine
Namensliste mit Sterbetagen, Geburtsdatum und Herkunftsländern, die so
genannte «Totenliste» .
Die Grablagen bei Schipkau sind auf der Liste wie folgt beschrieben:
1. «Die Toten mit den Nummern 62 bis 85 sind auf dem Bahnabschnitt
Senftenberg — Schipkau 300 Meter vor der Eisenbahnbrücke im Dorf Schipkau,
an der Südseite der Eisenbahnschienen ungefähr 30 Meter von der Weiche» .
2. «Die Toten mit den Nummern 86 bis 102 auf dem selben Platz ungefähr 350
Meter von der Eisenbahnbrücke entfernt. Hier geht es um die Wegkreuzung,
liegend an der Reichsautobahn Dresden — Berlin» .
3. «Die Toten mit der Nummer 103 bis 112 sind vor Schipkau an der Nordseite
der Eisenbahnschienen ungefähr 350 Meter vor dem Tunnel, vier Meter von der
Eisenbahnschiene am Rand vom Busch begraben» .
Am 23. April war der Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus auch in
Tröbitz — wo der Todeszug angekommen war. In den Morgenstunden stießen die
vorrückenden Truppen der sowjetischen Armee auf den dritten Zug aus dem
Konzentrationslager Bergen-Belsen. Unweit von Tröbitz, am Bahnkilometer
106,7, wohin er mit einer Lok der Beutersitzer Kohlenwerke geschleppt worden
war, fanden sie ihn. Beim Öffnen des Zuges bot sich den Soldaten der Roten
Armee ein Bild Grauens.
Am 25. April 2003 wurde bei Schipkau — am Ort des Geschehens — eine
Gräberstätte zum Gedenken an die jüdischen Opfer von 1945 ihrer Bestimmung
übergeben.