(MAZ)FÜRSTENBERG “Eine Hälfte von mir lacht, weil ich am Leben bin. Die andere
weint, weil meine Freundin die traumatischen Erlebnisse in Ravensbrück nicht
verarbeiten konnte und sich 1966 das Leben nahm.” Die Ungarin Agnes Bartha
war im Herbst 1944 zusammen mit ihrer Freundin Edit Kiss nach Ravensbrück
und dann ins Außenlager Genshagen verschleppt worden. Gestern Nachmittag
sprach sie anlässlich der Eröffnung der Ausstellung “Waggon” im Namen ihrer
Kameradinnen und Kameraden über den “Transport”. Zusammengepfercht, kein
Licht, keine Toilette — so erlebte auch Agnes Bartha die Fahrt. “Es gab nur
zwei kleine Fenster mit Gittern. Da haben wir rausgeschaut und Kinder beim
Schlittschuhlaufen und bei der Schneeballschlacht gesehen. Wir dachten, dass
wir so etwas nie wieder erblicken würden. Am 22. November sind wir in
Ravensbrück angekommen und hatten die Hoffnung, dass es ein wenig
menschlicher als im Waggon zugehen würde. Aber die Hoffnung hat man uns
gleich genommen.”
Fast alle der etwa 130 000 Häftlinge von Ravensbrück sind mit Güterwagen
dorthin verschleppt worden. Der Reichsbahn-Waggon ist heute das
Deportationssymbol schlechthin und gehört deshalb nach Ravensbrück. Die
Mahn- und Gedenkstätte hat solch einen historischen Wagen erworben. Er steht
auf einem Gleis an den Rampen der einstigen “Beutebaracken”. Links und
rechts neben dem Waggon befinden sich die Informationstafeln, die die
Ausstellung “Züge nach Ravensbrück. Transporte mit der Reichsbahn 1939–1945”
bilden. Sie sind auf einer hölzernen Plattform angeordnet, die ungefähr die
Größe eines Waggons hat.
Karolin Steinke, Studentin an der Humboldt-Uni, hat die Ausstellung — ihre
erste — erarbeitet, und Jakob Brummack hat sie gestaltet. “Für die
Transporte aus ganz Europa in die Lager war eine perfekte Organisation
nötig, die aber nichts über den Schrecken und das Leid aussagt. Deshalb
kommen in der Ausstellung die Überlebenden zu Wort.” Und Zeitzeugen wie die
Fürstenberger Wolfgang Stegemann und Hanna Ahlgrimm sowie einige, die ihren
vollen Namen nicht aufgeschrieben sehen wollten. Fast alle Transporte kamen
nämlich auf dem Bahnhof Fürstenberg an, die Häftlinge wurden dann entweder
mit Lkw nach Ravensbrück gebracht oder sie mussten die heutige Luisenstraße
entlang zum Lager laufen.
Mit der gestrigen Ausstellungspräsentation hat Gedenkstättenleiterin Sigrid
Jacobeit die Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung
des KZ Ravensbrück eröffnet.
Überlebende gedenken an den Stätten des Todes
Am Sonntag vor 60 Jahren wurden die KZ Sachsenhausen und Ravensbrück befreit
(Tagesspiegel)Oranienburg/Fürstenberg — Sie sind alle hochbetagt, viele gebrechlich.
Dennoch haben sie sich auf den Weg zu den Orten ihres Leidens und des Todes
ihrer Kameraden aufgemacht. Rund 1300 Überlebende der Konzentrationslager
Sachsenhausen und Ravensbrück wollen am Sonntag an den Gedenkfeiern zum 60.
Jahrestag ihrer Befreiung teilnehmen. Wollen noch einmal die Gelegenheit
nutzen, ihre Erinnerungen an Terror und Vernichtung, aber auch an
Solidarität und Hilfe im Lager weiterzugeben. Bereits heute treffen sich die
Frauen und Männer aus Europa, Israel, den USA und Kanada mit Jugendlichen
aus Berlin und Brandenburg.
Aber die Zahl der noch lebenden Zeitzeugen sinkt stetig. An den letzten
großen Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag der Lagerbefreiung 1995
hatten noch mehr als 3000 Überlebende teilgenommen. “Um so wichtiger ist es,
die Erinnerungen in Dokumentationen und Filmen festzuhalten”, sagt Horst
Seferenz von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Oder in einer
Ausstellung — wie “Mord und Massenmord im KZ Sachsenhausen 1936 — 1945”, die
am Sonntag in der neu gestalteten “Station Z” der Gedenkstätte eröffnet
wird. Eine weitere Schau — im Museum der Gedenkstätte — zeichnet die
Lebensgeschichten von 24 Überlebenden des KZ aus neun Ländern nach: “Hier
war das ganze Europa.”
Mit dem Fortbestand des Traumas der Überlebenden in der zweiten Generation
setzt sich der israelische Plakatkünstler Yossi Lemel, Sohn eines
KZ-Häftlings, auseinander. Er zeigt, ebenfalls in Sachsenhausen, seine Schau
“Sixty Years since Liberation 1945 2005”.
Bereits gestern wurde in der Gedenkstätte des einstigen Frauen-KZ
Ravensbrück bei Fürstenberg die Dokumentation “Züge nach Ravensbrück.
Transporte mit der Reichsbahn 1939 — 1945” eröffnet. Hauptstück ist ein
Güterwagen der Deutschen Reichsbahn, in den damals Menschen gepfercht
wurden, um als “Transport” ins KZ gebracht zu werden.
Auf der Gedenkveranstaltung am Sonntag in Ravensbrück sprechen ab 10 Uhr
unter anderem Ministerpräsident Matthias Platzeck, Bundesfamilienministerin
Renate Schmidt (beide SPD) und Professor Jakow Drabkin, der als Rotarmist an
der Lagerbefreiung teilgenommen hat. Das Gedenken in Sachsenhausen beginnt
um 14 Uhr mit Treffen der einzelnen Opfervertretungen. Ab 15 Uhr werden
unter anderem der Ministerpräsident, Außenminister Joschka Fischer (Grüne)
und Professor Thomas Buergenthal sprechen. Er ist Richter am Internationalen
Gerichtshof der UN in Genf und hat als Kind die Konzentrationslager
Auschwitz und Sachsenhausen überlebt. Alle Veranstaltungen sind öffentlich.