(Berliner Zeitung) BERLIN. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hat sich in die
Diskussion um Folterdrohungen für Schwerstverbrecher eingeschaltet. Wenn
durch Terroristen eine Gefahr für eine Vielzahl von Menschen drohe, müsse
man auch über Folter nachdenken, sagte Schönbohm am Montagabend in der
Phoenix-Sendung Unter den Linden. Ihm widersprach die Vorsitzende des
Bundestagsinnenausschusses Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD). Sie sagte,
international verbriefte Menschenrechte müssten auch für Terroristen gelten.
Zurück ins Mittelalter?
Polizeifolter-Debatte: CDU bei Extremfällen für Gewalt / SPD dagegen
POTSDAM Am liebsten wäre es der Gewerkschaft der Polizei, die ganze Debatte
über Foltermethoden der Polizei würde sofort beendet. “Es gibt keine
Polizeifolter und es wird auch keine geben”, sagt der Bundeschef der
Gewerkschaft, Konrad Freiberg.
Doch dieser Wunsch wird wohl nicht in Erfüllung gehen — zumindest vorerst.
Jetzt wird auch in Brandenburg munter und äußerst kontrovers diskutiert, ob
die Polizei unter bestimmten Voraussetzungen Gewalt ausüben darf.
Dass Strafrechtsexperten von einem “Dammbruch” sprechen, falls das strikte
Folterverbot in Deutschland kippt, kümmert die brandenburgische CDU wenig.
Landeschef und Innenminister Jörg Schönbohm kann sich unter bestimmten
Voraussetzungen Folter bei Terror-Verdacht vorstellen. Wenn durch
Terroristen eine Gefahr für eine Vielzahl von Menschen drohe, müsse man auch
über Folter nachdenken, sagte er dem Fernsehsender “Phoenix”.
Vize-CDU-Landeschef Sven Petke fordert eine “härtere Gangart” der Polizei
bei Vernehmungen von Verdächtigen. In Extremfällen gehöre dazu auch, “Gewalt
anzudrohen und Schmerzen beizufügen”, sagte Petke der MAZ. Das habe nichts
mit Folter zu tun. “Der Schutz des Lebens von Menschen muss im Vordergrund
stehen.” Nach den Worten von Petke sollte über eine Änderung von
Polizeigesetzen und der Strafprozessordnung nachgedacht werden. Er wollte
auch eine entsprechende Bundesratsinitiative Brandenburgs nicht
ausschließen.
Der Streit um das Folterverbot war am Vorgehen der Polizei von
Frankfurt/Main im Fall des entführten Bankierssohnes Jakob von Metzler
entbrannt. Vize-Polizeichef Wolfgang Daschner hatte erklärt, er habe dem
Verdächtigen Gewalt angedroht, um den Aufenthaltsort des Jungen zu erfahren.
Er gab später zu, er wäre auch bereit gewesen, Gewalt auszuüben,
beispielsweise durch Überdehnung des Handgelenks. Ein Polizeiarzt hätte aber
den Foltervorgang überwacht, damit keine Verletzungen entstehen, gab er an.
Die brandenburgische SPD ist über die Äußerungen des Koalitionspartners CDU
“entsetzt”, wie Landesgeschäftsführer Klaus Ness gestern sagte. Die
Legalisierung von Folter als Verhörmethode wäre ein “Zivilisationsbruch”.
Mit der SPD werde es ein “Zurück ins Mittelalter” nicht geben, betonte Ness.
Der innenpolitische Sprecher der SPD, Werner-Siegwart Schippel, meinte, die
Aufweichung des Folterverbots sei ein “Tabubruch”. Polizisten hätten dann
einen “Freibrief”, gegen Tatverdächtige mit Gewalt vorzugehen.
Ness stellte klar, dass es eine Bundesratsinitiative, wie die CDU sie
erwägt, mit der SPD nicht geben werde. Er hielt der CDU vor, durch emotional
aufrührende Situationen Grundwerte des Rechtsstaats kaputt zu machen.
CDU-Vize Petke widersprach. Er verwies auf den sogenannten finalen
Rettungsschuss, der auch in Brandenburg im Fall von Geiselnahmen möglich
ist. “Warum darf die Polizei in solchen Extremfällen Straftäter erschießen,
aber in Verhören nicht Gewalt androhen?” fragt Petke. Schließlich gehe es
nicht um die Aufklärung eines Ladendiebstahls, sondern darum, Menschenleben
zu retten. SPD-Innenexperte Schippel: “Das ist nicht vergleichbar.”
Petke wiederum verwies auf Extremsituationen, die es in Brandenburg gegeben
habe, wie den Fall des Gastwirtssohnes Matthias Hintze, der 1997 von zwei
Russen entführt und in einem Erdloch qualvoll erstickt war. “Das zeigt, wie
schnell solche Situationen eintreten können”, sagte Petke.
Juristisch ist es unstrittig, dass Folter einschränkungslos verboten ist.
Darauf verwies gestern erneut Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg. Das
Verbot steht nicht nur im Grundgesetz und in der Strafprozessordnung,
sondern auch in der Europäischen Menschenrechtscharta von 1950 und der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948.
Wer diesen Grundsatz mit Hilfe einer Gesetzesänderung angreife, “stellt die
Grundlage unseres Staates in Frage”, sagte Rautenberg.
CDU-Politiker für schärferes Polizeigesetz
Folter-Debatte in Brandenburg: Vizeparteichef Petke fordert eine “härtere
Gangart” bei Verhören
(Tagesspiegel) Potsdam. In Brandenburgs großer Koalition ist ein Streit um eine weitere
Verschärfung des Brandenburger Polizeirechts entbrannt. Der
CDU-Innenpolitiker und Vizeparteichef Sven Petke (CDU) forderte am Dienstag,
der Polizei in Ausnahmefällen eine “härtere Gangart” bei Verhören zu
gestatten. “Wenn es wie bei Geiselnahmen um die Rettung von Menschenleben
geht, muss die Androhung von körperlicher Gewalt möglich sein”, sagte Petke
vor dem Hintergrund der bundesweiten Folter-Debatte. “Mit Folter hat das,
auch was in Frankfurt(Main) geschehen ist, nichts zu tun.” SPD und PDS
wiesen den Vorstoß zurück.
Petke widersprach Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg, der bei
Gewaltandrohungen in Polizeiverhören — wie bei der Entführung des
Bankierssohns Jakob von Metzler — die “Grundlage unseres Staates in Frage
gestellt” sieht. “Das ist falsch verstandener Liberalismus”, sagte Petke.
Der Innenexperte verwies auf einen Widerspruch: In Ausnahmefällen wie
Geiselnahmen lasse das Brandenburger Polizeigesetz bereits den finalen
Rettungsschuss zu, also sogar die Tötung des Täters. Anderseits sei der
Polizei Gewaltandrohung verboten, um von Tatverdächtigen den Aufenthaltsort
von Geiseln zu erfahren. “Es gibt Handlungsbedarf.” Dem widersprach
SPD-Fraktionschef Gunter Fritsch: Für eine Änderung des Brandenburger
Polizeigesetzes gebe es keinen Anlass. Das ist auch die strikte Position der
Brandenburger Polizeigewerkschaft GdP. Landeschef Andreas Schuster erinnerte
daran, dass Brandenburg schon jetzt eines der schärfsten Polizeigesetze
habe. Es sei typisch, dass Petke bei jedem öffentlichkeitswirksamen Ereignis
eine Verschärfung von Gesetzen fordere.
Was den Frankfurter Fall angeht, dürfte sich Petkes Position kaum von der
von Innenminister Jörg Schönbohm unterscheiden. Dieser unterstütze “voll und
ganz”, so Sprecher Heiko Homburg, die Aussagen von Hessens Ministerpräsident
Roland Koch. Koch hatte Verständnis für den Frankfurter Einsatzleiter
bekundet, der Gewaltandrohungen angeordnet hatte, um den Entführer des
Bankierssohns Jacob von Metzler zum Reden zu bringen.