Teltow-Seehof /// 24. April 2004 /// 19 Uhr
„Jeder Hochmut gegenüber der Landbevölkerung ist mir fern. Ich weiss, dass kein
Mensch etwas dafür kann, ob er ein Städter ist oder im Dorf groß wird. Ich
registriere dabei nur, dass wahrscheinlich die Entbarbarisierung auf dem
platten Land noch weniger als sonstwo gelungen ist.“ (Theodor W. Adorno „Erziehung nach Auschwitz“)
Mit dem platten Land verhält es sich in Brandenburg ganz gewiss nicht
entbarbarisiert. Teltow-Seehof zum Beispiel: Obwohl jeder der dortigen
Bevölkerung das geschichtliche Grundwissen haben müsste, vergessen sie immer
wieder, unter welchen Umständen sie zu ihrem Grundstück kamen. Werden sie
jedoch darauf hingewiesen, präsentieren sie bereitwillig ihre ganz eigene
Version von Geschichte.
Was ist geschehen?
1872 kauften die jüdischen Brüder Albert und Max Sabersky das Gut Seehof nahe
Berlin um es teilweise zu bebauen. Mit der Übergabe der Macht an die
Nationalsozialisten 1933 führten die Deutschen ihren Antisemitismus zu neuer
Blüte. Der Staat veranlasste nunmehr selbst Maßnahmen gegen Juden oder gegen
als solche Identifizierte. Für die Saberskys bedeutete dies, dass es Angesichts
von Verordnungen, die eine landwirtschaftliche Nutzung von Boden durch Juden
unmöglich machten, ihnen nichts anderes übrig blieb, als das Land im Oktober
1933 zu parzellieren und unter Aufsicht nationalsozialistischer “Berater” als
Bauland zu verkaufen.
Die Grundstücke wurden weit unter dem damaligen Wert verkauft und ein nicht
geringer Teil floss zudem in die Tasche des “Beraters”. Der Verkauf an die
Deutschen und die spätere Sperrung der Konten der Saberskys geschahen im Rahmen
sogenannter “Arisierungen”, d.h. jüdischer wurde enteignet und ging in den
Besitz von Deutschen über. Da die Raserei der Volksgemeinschaft von der
Vernichtung der “jüdischen Kapitalisten” ausging und nichts anderes als den
Endsieg vorbereitete, brauchte auch keiner Angst vor eventuellen Folgen zu
haben.
Nachdem der “Endsieg” ausblieb und der Krieg die totale Niederlage mit sich
brachte, sah sich jedoch auch die nachfolgende DDR nicht verpflichtet, den
Opfern der Arisierungen ihr Eigentum zurück zugeben. 16Mio. Antifaschisten
hatten sich für nichts zu entschuldigen.
Als auch der Realsozialismus zusammenbrach verlangten 1991 die Erben die
Rückübertragung der enteigneten Grundstücke. Seitdem dauert der Rechtsstreit
an. Die Rückgabe wurde mehrmals abgelehnt, bis der Fall schließlich vors
Bundesverwaltungsgericht kam. Dieses nahm die gesetzliche Vorgabe, dass
bei “Veräußerungen eines Vermögensgegenstandes in der Zeit vom 30. Januar 1933
bis zum 8.Mai 1945” von einem “verfolgungsbedingter Vermögensverlust”
auszugehen sei, beim Wort und ordnete die Rückübertragung eines Grundstücks an.
Nach dem gleichen Muster wird nun wohl in den restlichen ca. 700 Fällen
entschieden.
Die Wahrheit Teltow-Seehofs
Die Teltow-Seehofer stilisieren sich indes zu Opfern eines unfassbaren
Schicksalsschlages. Die Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) mischt kräftig mit
bei den Freiheitskämpfern ostdeutscher Prägung und dokumentiert das Unbehagen
der Dorfbewohner. Unbehagen nicht etwa darob, dass sie auf Gelände ihr
kleinbürgerliches Idyll aufrecht erhielten, welches unter unmenschlichsten
Bedingungen abgetreten wurde. Sondern mit der Tatsache, dass ihr Eigentum, dass
ohne die Nationalsozialistische Enteignung gar nicht ihres wäre, in Gefahr ist.
Die Dorfgemeinschaft beanstandet, dass die “Keule Antisemitismus” (MAZ
10.04.2002) ausgepackt werde, und offenbart damit die gesamtdeutsche Dimension
des Falls. Hier geht es eben nicht um eine Streitigkeit unter
Grundstückseignern, hier wollen Deutsche endlich leben, ohne von der
Vergangenheit belästigt zu werden.
Der Äußerungen des Dorfmobs sind zu viele, um sie alle wiederzugeben, Teltow-
Seehof jedenfalls kann “nicht mehr ruhig schlafen” (MAZ 16.01.2004) und
überhaubt ergäben sich da gewisse Paralellen zu anderen, aktuellen Untaten der
Juden. “Was die in Israel mit den Palästinensern machen, machen sie hier mit
uns”(Teltow-Seehofer zit. nach Berliner Morgenpost)
Dabei können sich die Teltow-Seehofer der Unterstützung der lokalen PDS gewiss
sein. Traudel Herrmann, die gleichzeitig Vorsitzende einer Bürgerinitiative der
vertreibungsbedrohten Hausbesitzer ist, präsentiert bereitwillig, was sie „als
Kommunistin“ zu dem Sachverhalt zu sagen hat: „Die Saberskys waren Schmarotzer,
weil sie Grund und Boden zu Spottpreisen aufkauften und später teuer
weiterverkauften.“(konkret 8/98)
Einen von den Erben angebotenen Vergleich, den Anspruch auf die Grundstücke für
eine Bruchteil des Wertes abzutreten haben nur etwa 200 Teltower angenommen,
der Rest fühlt sich im Recht und hofft auf das Verantwortungsbewusstsein der
deutschen Gerichtsbarkeit gegenüber ihrem Souverän.
Die Mehrheit steht, die Reihen fest geschlossen, einig dem Versuch entgegen,
wenigstens einen Teil des Unrechts “wieder gut zumachen”. Sie fallen damit noch
hinter die an sich unmögliche Annahme zurück, für das Geschehene könne es eine
wirkliche Entschädigung geben. Als könne man das kollektive Aufgehen im Wahn
und die daraus folgende planvolle Vernichtung von Menschen ungeschehen machen
und für den Verlust von Verwandten, Freunden, für erlittene Erniedrigung und
den Verlust jeglichen Vertrauens in den Menschen “entschädigen”. Der
Nationalsozialismus war kein Handtaschenraub. In ihm kulminierte, was seit
langem im deutschen Projekt schlummerte. Er hat aus einer zurück gebliebenen,
jedoch halbwegs liberalen Gesellschaft ein Kollektiv geschaffen, welches sich
im Bombenhagel nur noch selbst bestärken konnte.
Seit dem Ende des Realsozialismus und dem Abzug der Besatzungstruppen findet
der Mob zunehmend zu sich. Außenpolitisch interveniert Deutschland, um
Volksgruppen zu ihrem Recht auf eigenen Raum zu verhelfen. Innenpolitisch
formiert sich die Gemeinschaft erst wie im Falle Dolgenbrodts und Rostock-
Lichtenhagen gegen Migranten, nun auch zunehmend gegen die alten Feinde.
Teltow-Seehof ist demnach kein Sonderfall, sondern ein Ort wie Hunderte in
Brandenburg, wie Tausende in Deutschland. Eine Hauptstraße, Einfamilienhäuser
und jede Menge Deutsche, die diese Häuser bewohnen. Nichts Besonders also.
Am 24.April werden wir unsere Wut über diesen Zustand direkt nach Teltow-Seehof
tragen. Wir fordern sie auf, wenigstens die immer noch zu niedrige
Entschädigung zu bezahlen und das Rumopfern einzustellen. Wer sich aktiv daran
beteiligt, die deutsche Geschichte zu verdrehen, indem das Heute vom
Vergangenen getrennt wird, hat hierzulande mit antifaschistischen
Interventionen zu rechnen. Wir sind nicht die Ersten, die diesem Ort, der
exemplarisch für Deutschland ist, klar machen, wo Schluss ist. Es wird nicht
das letzte Mal sein, dass sie in die Schusslinie der Kritik geraten.
Autonome Antifa Nordost [AANO] Berlin im April 2004
UnterstützerInnen (Stand 20. April 2004): Anti Nationale Nürnberger Antifa
[ANNA], Antifa Jugendaktion Kreuzberg (AJAK), Antifaschitischer Frauenblock
Leipzig [AFBL], Antifa U7 Berlin, Antifaschistischer Arbeitskreis [AFA] Halle,
AAE Marburg, Autonome Antifa Frankfurt(Oder), Gruppe.Internationale.Webteam
[GI], Gruppe liberte toujours Berlin, Initiative gegen Antisemitismus Nordost-
Berlin [IGA-NO], Progress [antifascist youth] Potsdam
Veranstaltung
„Grundbesitz Djihad“
Donnerstag 22. April 2004
18:00 Uhr
mit Thomas Sayinski (Mitglied der Autonomen Antifa Nordost [AANO] Berlin)
im Chamäleon e.V., Hermann-Elflin-Str. 32, Potsdam
Veranstalter: Antifaschistische Aktion Potsdam [AAPO], AG Antifa an der Uni Potsdam und Progress [antifascist youth] Potsdam