Auch wir, das „la datscha“ — Kollektiv, haben uns zusammengesetzt und die ersten Tage in der Heinrich-Mann-Allee 103 fu?r uns ausgewertet und daru?ber diskutiert. Im Folgenden haben wir versucht unseren Standpunkt zur derzeitigen Situation vor Ort
zusammenzufassen und hoffen u?ber einige Punkte mit euch weiterdiskutieren zu können.
Seit Montag letzter Woche wurden auf dem Ministeriumsgelände, in ehemaligen Bu?rogebäuden, Unterku?nfte fu?r Geflu?chtete eingerichtet.
Da erst am Sonntagabend klar wurde, dass diese genutzt werden können, wurden innerhalb ku?rzester Zeit Helfer_innenstrukturen organisiert, um dem schlimmsten Durcheinander entgegenzuwirken und den Geflu?chteten eine menschenwu?rdige Ankunft vorzubereiten. Es wurden die Gebäude grundgereinigt, notdu?rftig möbliert und
Sachspendenstellen eingerichtet. Viele Freiwillige haben mit angepackt und der Spendenaufruf wurde mit großer Resonanz erwidert. Es ist schön zu sehen, wie viele Leute bereit sind, Menschen in Not zu helfen und ihre Freizeit einzubringen, um eben
diesen in Not geratenen endlich ein Ankommen möglich zu machen.
Ohne diese Selbstorganisation hätte das peinliche Versagen des Staates ganz andere Ausmaße angenommen. Wie in vielen anderen Städten, hat sich auch das Land Brandenburg fast vollkommen auf diese Helfer_innenstrukturen bei der Bewältigung der Geflu?chtetenversorgung verlassen. Wieder einmal haben Freiwillige die defizitäre Flu?chtlingspolitik der vergangenen Jahrzehnte kompensiert und fu?r diesen Einsatz haben sie unsere größte Solidarität und Anerkennung!
Ganz andere Bilder konnte mensch Anfang der Neunziger miterleben, wo Geflu?chtete viel weniger Unterstu?tzung und Solidarität erfahren haben , Helfer_innen sehr alleine waren und oft nicht im Ansatz das Gefu?hl hatten, mit dem, was sie taten auch nur annährend die Meinung einer Mehrheit zu vertreten. Das ist heute zum Glu?ck anders!!
Was nicht anders geworden ist, ist der Staat, der hinter allem steckt, der von Krise redet, weil Geflu?chtete eine Dynamik in Gang gesetzt haben, die Grenzen, staatliche Autoritäten und ein System in Frage stellt, was vor zwanzig Jahren, mit der starken Einschränkung des §16 des Grundgesetzes dafu?r sorgen sollte, dass es niemand mehr bis Deutschland schaffen könnte.
Durch Verschärfungen des Asylgesetztes, dem millionenschweren Ausbau von Frontex und Dublin III wurde diese Abschreckungspolitik noch weiter verschärft.
Die Krise, von der sie jetzt reden, wird fu?r das deutsche Flu?chtlingssystem nur dazu, weil diese Menschen in Not, die nicht im Ansatz die Bewegungsfreiheiten haben wie wir (mit deutschem Pass) all die Regeln umgangen haben ihre Freiheit durchsetzen.
Sie u?berschreiten Grenzen und zwingen die Heuchler, sich mit einer Situation zu befassen, an der sie nicht unschuldig sind. Alles wird sofort zur Krise stilisiert und mit dem Allheilmittel Gesetzesänderung “bekämpft”. So geschah es dieses Jahr im Juli mit
der Verabschiedung des Gesetzes zur Neuregelung des Bleiberechts und Aufenthaltsbedingungen.
Das Gesetz beinhaltet neben einigen Verbesserungen fu?r Asylsuchende in Deutschland, wie zum Beispiel der Einschränkung der Residenzpflicht auch Verschärfungen mit erheblichen Folgen fu?r die Betroffenen. So sollen als Haftgru?nde „Fluchtgefahr vor
Abschiebung“, „erhebliche Zahlung von Geldbeträgen an Schleuser“ und „Identitätstäuschung durch Passlosigkeit“ gelten. Der Flu?chtlingsrat Brandenburg verurteilte diese Verschärfung in einem offenen Brief mit den Worten: “Mit der Praxis und Rhetorik der Abschiebungen wird die Willkommenskultur in Brandenburg untergraben, die eine große Zahl von Willkommensinitiativen tagtäglich praktizieren.” Eine neue Gesetzesverschärfung wird gerade diskutiert. Sie soll u.a. den kompletten Entzug der Leistungen fu?r alle sogenannten Dublinflu?chtlinge beinhalten, so dass diesen im Endeffekt nichts anderes u?brig bleiben wird, als in der Illegalität zu leben oder das Land zu verlassen.
Nun zu uns und zu Potsdam.
Die neue Einrichtung in der Heinrich-Mann-Allee ist als Außenstelle letztendlich bloß eine kleine Schwester der ZAST (Zentralen Aufnahmestelle) in Eisenhu?ttenstadt und das du?rfen wir nicht vergessen.
Die ZAST ist ein Ort, wo rassistische Eingangskontrollen, Repressionen und Sanktionen durch Sicherheitspersonal, sowie Besucher_innenzeiten und Platzverweise fu?r Helfer_innen an der Tagesordnung sind. Wir wollen nicht, dass diese Verhältnisse
irgendwo, auch nicht in Potsdam, reproduziert werden.
Und trotzdem sollte klar sein, dass, wenn wir ein „Außenlager“ von Eisenhu?ttenstadt mitorganisieren, doch nur einem System zuarbeiten, das wir ablehnen. Ein Asylsystem, was Geflu?chtete knastartig zusammenhält, Zäune errichtet und Menschen „umverteilt“
oder abschiebt.
Dass das Gelände in der Heinrich-Mann-Allee nur noch durch einen Haupteingang zu betreten ist und das Personal Rechtfertigung dafu?r verlangt, zeigt in welche Richtung sich die Situation entwickelt. Es ist nicht in Ordnung, dass Polizeibeamte in Eigenermächtigung die Ankommenden filmen und erfassen wollen und der Staat, statt
seine menschlichen Pflichten zu erfu?llen, bloß drangsaliert, kontrolliert und nervt. Wir wollen uns vom Staat und dessen Politik nicht vereinnahmen lassen und hoffen die meisten anderen auch nicht. Wir wollen hiermit nicht die Arbeit aller Helfer_innen
kritisieren, denn diese Solidarität ist wichtig und nötig. Aber wir fragen uns schon, in welche Richtung sich das alles entwickeln wird. Es ist wichtig, auch weiterhin Einfluss auf die Stimmung zu nehmen und durch unser Engagement Druck auf Polizei und Politik
auszuu?ben.
Wir fordern die Öffnung des gesamten Geländes, also aller Ein- und Ausgänge, fu?r Geflu?chtete und Helfer_innen, damit es nicht zu einem gefängnisähnlichen Ort wird. Es ist nicht hinnehmbar, Menschen einen Zugang zur Gesellschaft aufgrund ihrer Herkunft
zu verwehren und/oder in Lagern oder lagerähnlichen Orten zusammenzupferchen. Offenheit ist ein Signal in alle Richtungen, an die Geflohenen genauso wie an den Rest der Bevölkerung. Nationen und Grenzen bleiben Konstrukte einer Weltordnung
vergangener Tage, die es zu u?berwinden gilt.
Geflu?chteten soll schnellstmöglich ein Leben zu gleichen Bedingungen wie dem Rest der Bevölkerung möglich sein, sprich, dass sie in Potsdam oder am Ort ihrer Wahl dezentral leben und sich frei bewegen können.
Wir lassen uns nicht täuschen von voru?bergehender Willkommenskultur und werden deswegen gleichermaßen mit aller Hilfsbereitschaft und verschärfter Aufmerksamkeit vor Ort sein, damit hier kein weiteres repressives Lagersystem geschaffen wird. Wir mu?ssen, neben der so wichtigen Arbeit in der Heinrich-Mann Allee, miteinander diskutieren und definieren, wo wir stehen und unser Verhältnis zum deutschen Staat klären.
Dieser hat in den vergangenen Jahren alles Mögliche getan, Willkommenskultur können wir darin aber nicht erkennen.
Unsere Solidarität kann und wird immer selbstorganisiert und unkontrollierbar fu?r staatliche Stellen sein.
!Refugees welcome! Freedom of Movement!
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