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Solidarität mit Flüchtlingen: Über den “Refugee Protest March” in Potsdam

Man hört die Sprechchöre schon von weit­em. Als die kleine Gruppe der Flüchtlinge den Hügel zum Bran­den­burg­er Land­tag in Pots­dam hin­aufkommt, ziehen die Journalist*innen enger um Land­tagspräsi­dent Gunter Fritsch und Innen­min­is­ter Diet­mar Woid­ke (bei­de SPD) zusam­men, die das Mem­o­ran­dum der Forderun­gen an Bran­den­burg­er Landespolitiker*innen ent­ge­gen­nehmen wollen.

von Ali­na Valjent

Es sind unge­fähr zwanzig Flüchtlinge und Unterstützer*innen, die im Rah­men des “Refugee Protest March to Berlin” vor dem Land­tag ihr Ansin­nen vor­brin­gen wollen. Sie tra­gen ein Trans­par­ent mit der Auf­schrift “Bran­den­burg­er Flüchtlinge in Sol­i­dar­ität mit dem Protest March to Berlin”. “Wir fordern: Abschaf­fung der Dul­dung, Abschaf­fung der Abschiebung, Abschaf­fung der Gutscheine!” skandiert ein Demon­strant, “Wir fordern Bleiberecht und freie Bewe­gung im gesamten Bundesgebiet.”

Leben im Über­gangszu­s­tand und Arzneimit­tel­rezepte auf Taschentüchern

Der Innen­min­is­ter ist mit­tler­weile umringt von den Demonstrant*innen, die mit ihm reden möcht­en, ihm erzählen wollen, was sie bewegt und warum und woge­gen sie protestieren. “Keine Zukun­ft”, sagt ein­er, “und nev­er Urlaub”. We want to have our life, have our job”. Er hält ein grünes Papier­taschen­tuch hoch, darauf ste­ht, mit Kugelschreiber gekritzelt, “Ibuprophen”. Das ist ein “Rezept”, das er vom Arzt bekom­men hat. Er hat es aufge­hoben und trägt es zusam­men mit seinem Pass in ein­er kleinen Plas­tik­tüte mit sich.

 

Der Innen­min­is­ter hört den Flüchtlin­gen zu und ver­sichert, er und das Land Bran­den­burg wür­den sich für die Belange der Flüchtlinge weit­er­hin ein­set­zen, vor allem für die Abschaf­fung der Res­i­den­zpflicht. Er muss jedoch ein­räu­men, dass solche Prozesse oft lange dauern. Dass die Koop­er­a­tion mit anderen Bun­deslän­dern schon Früchte träge, zeige sich aber beispiel­sweise in dem Ver­trag, den Bran­den­burg und Berlin vor eini­gen Jahren abschlossen hät­ten. Dieser ermögliche es Flüchtlin­gen, sich frei zwis­chen Bran­den­burg und Berlin zu bewe­gen. Damit habe man “gute Erfahrun­gen gemacht”. Daraufhin schüt­teln viele der Flüchtlinge den Kopf. “It‘s not true”, sagt eine Frau, es gebe immer noch häu­fig Polizeikon­trollen, man könne nur kurz zu einem Besuch ausreisen.

Das Boot ist nicht voll”

Ein weit­eres Prob­lem seien die Gutscheine. Flüchtlinge bekä­men monatlich nur ein kleines “Taschen­geld”, Verpfle­gung und Hygiene wür­den über Gutscheine abgewick­elt. Für einen Deutschkurs reiche das Geld nicht, kosten­lose Ange­bote gäbe es nicht über­all. Auch darum solle sich der Innen­min­is­ter kümmern.

Zum Abschluss nimmt Woid­ke das Mem­o­ran­dum ent­ge­gen. Ein Flüchtling ruft noch “Refugees are wel­come here — das Boot ist nicht voll!” und fol­gt der kleinen Gruppe, die sich in Rich­tung Pots­damer Haupt­bahn­hof bewegt.

Trotz des Regens: Gute Stim­mung unter den Demonstrant*innen

Dort haben sich unge­fähr hun­dert Men­schen ver­sam­melt, die sich dem Flüchtlings­marsch in Sol­i­dar­ität anschließen wollen. Zusam­men läuft die Gruppe zum “Freiland”-Gelände, dem Pots­damer Zen­trum Linksin­tellek­tueller und Künstler*innen, wo eine weit­ere Gruppe von Flüchtlin­gen wartet. Hier begin­nt der Protest­marsch. Und hier begin­nt auch der Regen, der die näch­sten Stun­den andauern wird. Regen­schirme wer­den aufges­pan­nt, bunt beschriftet mit Slo­gans wie “Kein Men­sch ist ille­gal”. Sie gesellen sich zu Trans­par­enten, auf denen “I love Bleiberecht”, “No Nazis” und “Wir kämpfen für die Schließung der Iso­la­tion­slager” steht.

Vom “Freiland”-Gelände aus läuft die Gruppe, mit­tler­weile unge­fähr drei­hun­dert Men­schen, zum Rathaus. Aus einem Gelän­dewa­gen am Ende des Zuges klingt Reg­gae-Musik. Unter die Sprechchöre der Flüchtlinge mis­chen sich die der antifaschis­tis­chen Bewe­gun­gen: “Bleiberecht für alle und auf Dauer, um Europa keine Mauer!”

 

Am Rathaus wird zum ersten Mal Halt gemacht. Passant*innen, die an der Bahn­hal­testelle warten, schauen ver­wun­dert bis gen­ervt auf die bunte Gruppe, während aus den Fen­stern der umliegen­den Häuser inter­essierte Pots­damer Bürger*innen auf den Platz vor dem Rathaus blicken.

Was macht eigentlich die NPD?

Vom Rathaus geht es weit­er zur Glienick­er Brücke, wo die Abschlusskundge­bung stat­tfind­en soll. Je mehr sich der Zug der Glienick­er Brücke nähert, desto präsen­ter wird die Polizei. Während zunächst nur vere­inzelt Polizist*innen am Straßen­rand ste­hen, sam­meln sich hier nun Grup­pen von Polizist*innen, die den Zug jew­eils ein Stück des Weges begleit­en. “Deutsche Polizis­ten schützen die Faschis­ten” ruft die Antifa.

Kurz vor der Glienick­er Brücke erre­icht die Polizeipräsenz ihren Höhep­unkt. Hier soll eine Kundge­bung der NPD unter dem Mot­to “Asyl­recht ist kein Selb­st­be­di­enungsladen” stat­tfind­en. Angekündigt waren 20 bis 30 Gegendemonstrant*innen, angekom­men sind wohl bloß acht. Aber auch das ist nicht zu erken­nen. Vor dem Haus, an dem die NPD ihre Kundge­bung abhal­ten wollte, ste­hen ein Bah­n­wag­gon, mehrere Polizeiau­tos und etwa hun­dert Polizis­ten, die wie eine Mauer als Abschir­mung funk­tion­ieren. Und tat­säch­lich kann man die NPD-Kundge­bung wed­er sehen noch hören. Das einzige, was man sieht, ist eine Fahne, die ein­er der NPDler unbeir­rt schwingt. Ein­sam lugt sie hin­ter einem Polizeiau­to her­vor. Eine kurze Unruhe entste­ht, jemand wirft einen Regen­schirm in Rich­tung der Fah­nen, das war‘s.

 

Zeit für den näch­sten Schritt

Dass der Ansatz der Flüchtlings­de­mo nicht Sep­a­ra­tion durch Hass, son­dern Eini­gung durch Gemein­samkeit ist, zeigt sich kurz darauf wieder. Einige junge Män­ner schla­gen rhyth­misch auf ihre Pauken ein, es bildet sich ein klein­er Kreis, in dem zwei Flüchtlinge zu tanzen begin­nen. Die Umste­hen­den wip­pen dazu im Takt. Ein Demon­strant malt mit dem Fin­ger ein Herz auf das beschla­gene Fen­ster eines Polizeiau­tos, aus dem ein ver­dutzter Polizist herausschaut.

Die miss­glück­te NPD-Kundge­bung fügt sich indes in die Rei­he gescheit­ert­er Mobil­isierungsver­suche der recht­sex­tremen Partei in Pots­dam ein, während die Stadt beweist, dass sie kein öffentlich­er Schau­platz für recht­sradikale Ide­olo­gien seien will. Den näch­sten Schritt muss nun das Land Bran­den­burg machen — die geset­zliche Ver­ankerung der Flüchtlingsforderungen.

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