Am gestrigen Mittwoch, den 3.6.2020 wurde ein Antrag¹ zur Erstellung eines Zeit- und Maßnahmenplans zur Auflösung der Sammelunterkünfte zugunsten von Wohnungen und wohnungsähnlichen Unterbringungen mit großer Mehrheit angenommen. Der Antrag wurde ursprünglich von der Wähler*innen-Gruppe DIE aNDERE eingebracht und schließlich von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und SPD mit unterzeichnet. 43 Stadtverordnete von 53 anwesenden Stadtverordneten stimmten dem Antrag zu – bei lediglich 5 Enthaltungen und 5 Nein-Stimmen. Die Stadtverwaltung ist nun beauftragt, für alle geflüchteten Menschen in der Stadt Wohnungen bzw. wohnungsähnliche Unterbringungen zu schaffen. Bewohner*innen der Unterkünfte dürfen nicht mehr gezwungen werden, sich mit haushaltsfremden Menschen Schlafzimmer, Küche und Bad zu teilen. Die Stadtverordnetenversammlung wurde von Protest begleitet: Refugees Emancipation veranstaltete eine Kundgebung und verteilte ein Memorandum mit ihren Forderungen². Seebrücke Potsdam und der Migrantenbeirat hielten Reden vor der Stadtverordnetenversammlung zur Unterstützung des Antrags.
Die Kritik an den Sammelunterkünften wurde in der Corona-Krise besonders stark. Die Bewohner*innen in den beengten Behausungen sind der Infektionsgefahr mit COVID-19 oft schutzlos ausgeliefert. Die verhängten Quarantänen für gesamte Unterkünfte stießen nicht nur in Politik und Medien auf große Kritik. Offene Briefe von women in exile und dem Flüchtlingsrat Brandenburg³ wiesen schon Ende März – vor den massenhaften Quarantänen – auf die besondere Gefährdung von Sammelunterkünften hin. Allein in Potsdam sind in den letzten Tagen Hunderte Menschen trotz der erschwerten Bedingungen unter den Corona-Einschränkungen für die Auflösung der Sammelunterkünfte auf die Straße gegangen. Ein breites, brandenburgweites Bündnis von selbstorganisierten Migrant*innen-Gruppen wie Refugees Emancipation bis Aktivist*innen der Seebrücke-Initiativen demonstrierten für ein gesundes, selbstbestimmtes Wohnen mit Privatsphäre.
„Seit Jahrzehnten kämpfen geflüchtete Menschen und Unterstützer-Gruppen gegen die unhaltbaren Zustände in den Sammelunterkünften. Der Potsdamer Beschluss zu einem Ausstiegsplan ist ein Durchbruch in der bundesweiten Debatte“, stellt Seebrücke-Aktivistin Amari Shakur klar und kündigt an: „Wir werden nicht locker lassen: Die Umsetzung des Beschlusses muss schnellstmöglich erfolgen. Die schlimmsten Sammelunterkünfte müssen sofort aufgelöst werden. Auf eine zweite Welle der Corona-Pandemie dürfen wir nicht warten. Auch ohne Pandemie-Gefahr: Die Isolation, das Zusammenpferchen und die Bevormundung von Menschen müssen endlich ein Ende haben.“
Durch den gemeinsamen Protest rücken die verschiedenen Gruppen migrantischer und nicht-migrantischer Organisierung in Potsdam und Brandenburg zusammen. Selbst viele Bewohner*innen der Sammelunterkünfte in Potsdam und im Land Brandenburg organisieren Protest und lassen sich nicht einschüchtern.
„Die Politik kann sich für die nächste Zeit warm anziehen – wir sind in unserer Vielfältigkeit des Aktivismus so stark wie lange nicht mehr. Der Kampf um gleiche Rechte für Alle eint uns und ist noch lange nicht zu Ende. Wir sind gekommen, um zu bleiben!“ stellt Shakur klar.
¹https://egov.potsdam.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=31567
²https://seebruecke.org/wp-content/uploads/2019/01/Memorandum_deutsche-%C3%9Cbersetzung.pdf
³https://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/wp-content/uploads/2020/04/PM_Unterbringung-von-Fl%C3%Bcchtlingen‑w%C3%A4hrend-Corona-Pandemie.pdf