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Stein des Anstoßes

(MAZ, 10.12., Oliv­er Fis­ch­er) Die gravierte Edel­stahlplat­te, die auf Hans-Georg Kohnkes Schreibtisch
liegt, ist ger­ade ein halbes Jahr alt und schon reparaturbedürftig. Der Text
ist kaum mehr zu entz­if­fern, weil sich aus vie­len Buch­s­ta-ben die Farbe
löst. Kleine A′s und U′s kleben nun kreuz und quer auf dem Metall. 

Das ist ärg­er­lich, aber Kohnke kann es verkraften. “Ein Garantiefall”, wie
der Stadt­mu­se­ums­di­rek­tor sagt. Außer­dem wird den Text in naher Zukunft
ohne­hin nie­mand lesen, denn Kul­turbeige­ord­nete Bir­git Hüb­n­er (PDS) hat die
Tafel bis auf Weit­eres von ihrem Bes­tim­mung­sort — ein­er rostbraunen
Infos­tele am Kriegs­gräber­feld auf dem Marien­berg — ent­fer­nen lassen. 

Dies sei eine Reak­tion auf “zahlre­iche Anrufe aus allen Lagern” gewe­sen, die
ger­ade in den Wochen vor dem Volk­strauertag Bedenken gegen die Infotafel
geäußert hät­ten, begrün­dete Hüb­n­er diesen Schritt auf Anfrage. Die
PDS-Poli­tik­erin set­zt damit einen vor­läu­fi­gen Schlusspunkt un-ter eine
Diskus­sion, die weit-gehend unter Auss­chluss der Öffentlichkeit bere­its seit
Errich­tung der Stele im Juni geführt wor­den war. 

Für Zünd­stoff hat­te die von der His­torik­erin Con­stanze Kutschk­er entworfene
Tafel gesorgt, weil sie in knappem Wort­laut auf einen bis dahin unbekannten
nation­al­sozial­is­tis­chen Ursprung des Sol­daten­fried­hofs hin­weist. Wie
Kutschk­er in monate­langer Recherc­hear­beit her­aus­ge­fun­den und auf der Tafel
pub­lik gemacht hat­te, war das Feld 1939 von den Nation­al­sozial­is­ten als
“Ehren­fried­hof” angelegt wor­den. Kri­tisiert wurde auch ein auf einer
Bildtafel erkennbares Hak­enkreuz. Zudem habe man aus dem Infotext
“her­ausle­sen kön­nen, dass auf dem Gräber­feld SS-Ange­hörige und Angehörige
der Hitler­ju­gend liegen, und dass die Bun­deswehr mit einem Gedenkstein diese
Leute ehrt”, so Hüb­n­er. “Darüber muss gere­det werden.” 

Eine Diskus­sion scheint in der Tat drin­gend erforder­lich. Unab­hängig von
For­mulierungs­fra­gen muss die Stadt klären, wie mit der eige­nen Geschichte
umzuge­hen ist, und da liegen die Stand­punk­te denkbar weit auseinander. 

So fordert Con­stanze Kutschk­er, die als Volon­tärin des Muse­ums die
Beschilderung qua­si im Allein­gang real­isiert hat, den Verbleib der Tafel.
“Wir müssen uns mit den Tätern auseinan­der set­zen, um der Opfer gedenken zu
kön­nen.” Ähn­lich argu­men­tiert der Muse­um­schef: “Wir müssen das aushalten.
Der jun­gen Gen­er­a­tion wäre ein Ver­schweigen nicht zu erklären.” 

“Die Tafel hätte nie ange­bracht wer­den sollen”, find­et dage­gen Alfred
Wichterei. Der Vor­sitzende des Bun­des der Antifaschis­ten fürchtet, dass das
Kriegs­gräber­feld ein Anziehungspunkt für die rechte Szene wird. Er ist nicht
der Einzige, der so denkt, und der deshalb bei Kohnke und Hüb­n­er vorstellig
wurde. Selb­st der Rathenow­er PDS-Vor­sitzende Hen­drik Oech­sle warnt vor
möglichen Fol­gen: Wenn die Stadt das so machen wolle, habe man bald das
gle­iche Prob­lem wie in Halbe. Die Klein-stadt im Dahme-Spree­wald-Kreis war
in die Schlagzeilen ger­at­en, weil Sol­daten­gräber auf dem dor­ti­gen Friedhof
zu einem Wall­fahrt­sort für Neon­azis gewor­den waren. 

Zu disku­tieren wird auch über den Gedenkstein sein, der im Jahr 2000 von der
Stadt mit Hil­fe der Bun­deswehr auf dem Gräber­feld errichtet wor­den war.
Vertreter der Stadtverord­neten­ver­samm­lung gedenken dort jedes Jahr zum
Volk­strauertag der Opfer der Weltkriege — bis­lang freilich ohne etwas von
der unrühm­lichen Ver­gan­gen­heit des Ortes zu ahnen. Nun muss das Gräberfeld
auch als Ge-denko­rt über­dacht wer­den. Zwar liegen unter den Gras­nar­ben wohl
größ­ten­teils Sol­dat­en und Hitler­jun­gen, “die während des Volkssturms als
Kanonen­fut­ter dien­ten”, wie Kohnke ver­mutet. Unter den Toten find­en sich
aber nach­weis­lich auch einige SS-Ange­hörige, und mit dem damaligen
Kreis­pro­pa­gan­daleit­er Johannes Thomann min­destens ein ranghoher
Nationalsozialist. 

Die junge His­torik­erin Kutschk­er würde den Stein deshalb am lieb­sten sofort
auf das 50 Meter unter­halb der Kriegs­gräber­stätte gele­gene “Ter­ror­feld”
stellen, wo einst mehr als 1000 zivile Krieg­sopfer begraben wor­den waren.
“Son­st wer­den Täter zu Opfern gemacht.” Hier ist Muse­ums­di­rek­tor Kohnke
jedoch ander­er Mei­n­ung: “Es liegen auf solchen Fried­höfen immer ein paar
Schweine­hunde, aber wegen denen kann man das Gedenken nicht ausfallen
lassen.”

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