Hennigsdorf — Die Gehwegplatten an der Neuendorfstraße in Hennigsdorf sind schon entfernt. Kräftig rammt ein Arbeiter eine spitze Eisenstange immer wieder ins Erdreich. Schließlich ist genug Platz für die vier Stolpersteine, die Gunter Demnig an dieser Stelle verlegt. Der Kölner Künstler startete die Aktion im Jahr 1992. Seitdem platzierte er in ganz Deutschland schon fast 8000 Steine mit Metallplatten mit Namen und Lebensdaten jeweils genau dort, wo einst spätere Opfer des Faschismus lebten.
Stolpersteine brachte Demnig in den vergangenen Tagen nach Frankfurt (Oder), Fürstenwalde, Erkner, Schöneiche und Oranienburg. Seit gestern liegen in Hennigsdorf neun solche Steine, vier davon erinnern an der Neuendorfstraße an die Eheleute Ernst und Dora Blaschke und ihre Töchter Liesel und Ursel.
Der Diplom-Ingenieur Ernst Blaschke arbeitete als Direktor bei den AEG-Fabriken. Die jüdische Familie wohnte in der Neuendorfstraße 46. Das Haus ist in den 1990er Jahren abgerissen worden. »Es stand hinter diesem Zaun«, erzählte gestern der pensionierte Biologielehrer Dr. Helmut Fritsch, der das Projekt Stolpersteine nach Hennigsdorf holte. Der Blick fällt heute auf eine ungepflegte Wiese neben einem alten Feuerwehrgebäude. Im Dezember 1933 flüchteten die Blaschkes vor den Nazis. Sie emigrierten nach Spanien. Dort verliert sich ihre Spur.
Nur wenige Schritte weiter, vor der Hauptstraße Nummer 13, verlegte Demnig am Donnerstagvormittag einen weiteren Stolperstein für Else Lachmann, die 1943 ins KZ Auschwitz deportiert wurde. Else Lachmanns Mann führte ein Uhrmachergeschäft in der Hauptstraße 13. Als er 1934 starb übernahmen Frau und Sohn den Laden. »Die Eingangstür und das Schaufenster daneben sehen noch genau so aus wie früher«, sagt Wolfgang List, der in dem Haus aufwuchs, das schon damals seiner Familie gehörte. Heute betreten die Kunden ein Friseurgeschäft, dessen Inhaber Wolfgangs Bruder Siegfried ist. Damals gab es neben dem Uhrmacher-Laden rechts auf der linken Seite noch ein Lebensmittelgeschäft. In der Pogromnacht am 9. November 1938 plünderten von einem SS-Mann angeführte Nazis den Uhrmacher-Laden. Sie zerschlugen auch die Schaufensterscheibe.
Wolfgang List war seinerzeit gerade einmal fünf Jahre alt, aber an den 9. November 1938 erinnert er sich genau. Der kleine Junge verstand nicht, was da vor sich ging. Er fand es jedoch ungeheuerlich, dass Erwachsene eine Scheibe zerstören und die Polizei kommt nicht.
In dieser Nacht warfen SA-Leute ebenfalls die Scheibe des jüdischen Kaufmanns Ludwig Goldstein in der Waldstraße 40 ein. Goldstein hatte bei dem Drogisten Hans Brockmann Räume zum Wohnen und für ein Schuhgeschäft gemietet. Brockmann versuchte, Goldstein zu schützen – vergeblich. Am nächsten Tag brachten SA-Leute ein großes Schild an dem Haus an: »Geht nicht zu dem Drogisten Brockmann – er ist ein Judenfreund«. Goldstein wurde 1941 nach Minsk deportiert.
Klara Busse, die einst in der Berliner Straße 18 wohnte, gehörte der von den Nazis verfolgten Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas an. 1940 verhaftet, starb sie 1943 im KZ Auschwitz – laut Sterbeurkunde an Gehirnschlag.
Im KZ Sachsenhausen ermordeten die Nazis 1944 den Widerstandskämpfer Heinrich Bartsch. Die Straße, in der er in Hennigsdorf wohnte, trug in DDR-Zeiten seinen Namen. Als es mit der DDR vorbei war, benannte man die Straße um in Marwitzer Straße. Nun erinnert wenigstens wieder ein Stolperstein vor dem Haus Nummer 48 an Heinrich Bartsch.
Die Clara-Schabbel-Straße durfte ihren Namen dagegen behalten. In der Nummer 11 lebte Schabbel, die zeitweise für den Verlag der kommunistischen Jugend-Internationale arbeitete, bis zu ihrer Verhaftung im Jahr 1942. Vorher gewährte sie dort sowjetischen Aufklärern Unterschlupf, unter anderem zwei deutschen Antifaschisten, die hinter der Front mit dem Fallschirm abgesprungen waren. Clara Schabbel gehörte erst dem Spartacusbund, ab 1919 der KPD und in der Nazi-Zeit der Widerstandsgruppe Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack an. Am 5. August 1943 wurde sie auf dem Schafott im Berliner Zuchthaus Plötzensee hingerichtet.
Paten ermöglichten die Stolpersteine in Hennigsdorf. Die örtlichen Zeugen Jehovas zahlten 95 Euro für den Stein für Klara Busse, die örtliche Linkspartei gab die gleiche Summe für den Stein von Dora Blaschke und ein ehemaliger Zwangsarbeiter bei der AEG spendete das Geld für den Stein von Heinrich Bartsch. Paten sind außerdem die Hennigsdorfer Wohnungsbaugesellschaft, die katholische Gemeinde, der Seniorenbeirat und mehrere Privatpersonen.