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Schülerstreik in Eberswalde

Seit Mon­tag hal­ten Jugendliche ein­er von Schließung bedro­ht­en Ober­schule ihre Bil­dung­sein­rich­tung beset­zt. Das bran­den­bur­gis­che Bil­dungsmin­is­teri­um will die Sache aussitzen

Bürg­er­meis­ter – du mußt gehen! Unsere Schule bleibt beste­hen!« Das Trans­par­ent hängt aus einem Fen­ster im 2. Stock in der Albert-Ein­stein-Ober­schule in Eber­swalde, nördlich von Berlin. 

Seit Mon­tag ist die Schule beset­zt. 150 bis 200 Schüler ver­brin­gen Tag und Nacht in den Klassen­z­im­mern, um die Eröff­nung von zwei siebten Klassen im kom­menden Schul­jahr zu fordern. Dafür haben sich bis­lang nur 33 Schüler angemeldet, doch auf­grund ein­er Vorschrift des Bran­den­burg­er Bil­dungsmin­is­teri­ums muß es min­destens zwei Klassen mit je 20 Schülern geben, damit über­haupt siebte Klassen ein­gerichtet wer­den. Ohne siebte Klassen­stufe steigt die Wahrschein­lichkeit, daß die Schule in den näch­sten Jahren aufgelöst wird. 

Statt nor­malen Schul­be­triebs gibt es diese Woche »Alter­na­tivun­ter­richt«, bei dem die siebten bis neun­ten Klassen von Schülern aus der zehn­ten unter­richtet wer­den. »Man lernt nicht so viel wie im nor­malen Unter­richt«, sagt Den­nis aus der Siebten, »aber es macht Spaß.« 

Den­noch nehmen rund zwei Drit­tel der 450 Schüler weit­er­hin am nor­malen Unter­richt teil. »Es ist mir zu bunt«, begrün­det ein­er seinen Streik­bruch. Während die Schüler im Unter­richt so gelang­weilt guck­en wie immer, haben die Streik­enden viel zu tun. Ste­fani, die im vierköp­fi­gen Streikkomi­tee arbeit­et, erzählt nicht ohne Stolz, in den ersten vier Streik­ta­gen nur sieben Stun­den geschlafen zu haben.
Bre­ite Unterstützung
Es war ein Buch, das die Schüler auf die Idee brachte. Der Philosoph Rain­er Thiel hat­te es über einen erfol­gre­ichen Schüler­streik an der Ober­schule Storkow im Jahr 2000 geschrieben, und ist let­zte Woche zu ein­er Vor­lesung nach Eber­swalde gereist. Stephan, ein Aktivist des Storkow­er Streiks, tut auch einiges für die Organisation. 

Der Sozial­diakon des Evan­ge­lis­chen Gemein­dezen­trums, Hartwin Schulz, mis­cht sich kräftig ein. Er war es, der vor zwei Wochen eine Demon­stra­tion für den Erhalt der Schule organ­isierte. Vor der Schule hielt er einen Gottes­di­enst »Gegen die Lüge der Poli­tik­er« ab – seine Kirchen­vorge­set­zten hat­ten ver­sucht, diese Ver­anstal­tung zu unterbinden. 

Die Unter­stützung ist groß. Im Gemein­dezen­trum wird Suppe gekocht. Ein Ede­ka-Markt spendet Min­er­al­wass­er. Ein Restau­rant schenkt 20 Kilo Spaghet­ti. Senioren sam­meln Unter­schriften. Schüler vom benach­barten Gym­na­si­um Finow organ­sisierten eine kleine Kundge­bung. Den ganzen Tag tele­fonieren Schüler umher oder ziehen durch die Stadt, um Geld und Essen einzusam­meln. Woher die große Zus­tim­mung? Ste­fani aus der zehn­ten meint, es gehe nicht nur um die Schule, son­dern um das ganze Bran­den­bur­gis­che Vier­tel. Die Plat­ten­bausied­lung hat eine offizielle Arbeit­slosen­quote von 25 Prozent. Viele Ein­wohn­er befürcht­en, daß wenn die Schule dicht­macht, Bäck­er schließen müssen, Buslin­ien weg­fall­en und die soziale Infra­strukur weit­er aus­gedün­nt wird. 

Deshalb sind auch die Aktivis­ten der Mon­tags­demos dabei. Am Mon­tag, als der Streik los­ging, hat­ten sie mit demon­stra­tivem Schwarz­fahren gegen die Stre­ichung des Sozialtick­ets protestiert. »Die Schüler haben uns natür­lich die Show gestohlen!« sagt Albrecht Triller und lacht. Die Mon­tags­de­mo beschloß eine Sol­i­dar­ität­serk­lärung mit den Streikenden.
Öffentliche Versammlung
Zur Streikver­samm­lung am Don­ner­stag kam neben Hun­derten Eltern und Schülern auch die Schul­rätin des Land­kreis­es. Die Schüler behar­rten darauf, daß die Schulkon­ferenz öffentlich im Schul­hof tagt. 

Die Vorschrift, die eine Min­destzahl von 40 Schülern festschreibt, kann nur vom Min­is­ter aus­ge­set­zt wer­den. Die Schüler hat­ten einen Forderungskat­a­log an das Min­is­teri­um in Pots­dam geschickt, in dem es heißt: »Es ist für die Eröff­nung von 7. Klassen nicht entschei­dend, ob 40 oder 33 Schüler eine Anmel­dung vorlegen«. 

Die Antwort des Min­is­teri­ums war knapp: »Wir wer­den mit den Schülern nicht ver­han­deln.« Die anwe­sende Schul­rätin darf nichts entschei­den. Und so muß der Streik fort­ge­set­zt wer­den, bis ein Vertreter des Min­is­teri­ums erscheint. 

Dabei hat diese Schule keinen Ruf als beson­ders links oder kämpferisch. Der Direk­tor hätte sich so eine Ak­tion nie vorstellen kön­nen. Rolf Richter vom Stadt­bil­dungsauss­chuß erk­lärt es so: »Mit der katas­trophalen Bil­dungspoli­tik in Bran­den­burg mußte es dazu kom­men, wo ist eher Zufall. Aber ich wäre als Schüler auch auf die Bar­rikaden gegangen«. 

Und so machen die Streik­enden, die vor ein­er Woche noch ganz nor­male Schüler waren, tapfer weit­er. Abends um halb zehn müssen sie schlafen gehen, früh um halb acht wird geweckt. Aber an einen Abbruch der Beset­zung denkt kein­er. »Auch wenn es ein Jahr dauert«, sagt Jule aus der Zehnten.

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