Polizisten aus der Lausitz und dem Elbe/Elster-Land werden heute mit Interesse die Bundestagsdebatte verfolgen. Auf der Tagesordnung steht ein
Antrag der CDU/CSU-Fraktion. Die fordert eine Geset-zesänderung, um die
Kartei mit genetischen Fingerabdrücken erheblich auszuweiten. Polizisten und
Politiker aus Brandenburg und Sachsen wollen das schon lange. Datenschützer
beider Länder sprechen sich dagegen aus.
Wolfgang Bauch, Ermittler bei der Cottbuser Mordkommission und Brandenburger
Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), fährt heute
nach Berlin. Er will sich die Bundestagssitzung ansehen. Ihn lockt der
vierte Tagesordnungspunkt, für den 45 Minuten Zeit vorgesehen sind. Darin
geht es um einen Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion zur Änderung der
Strafprozessordnung, um den genetischen Fingerabdruck dem herkömmlichen weit
gehend gleichzusetzen. Wolfgang Bauch setzt sich seit Jahren über den BDK
dafür ein.
Identifizierung ausdehnen
Mit einer schnellen Änderung der Rechtslage rechnet er jedoch nicht,
angesichts der rot-grünen Regierungsmehrheit. Doch in Sachen genetischer
Fingerabdruck, der DNA-Typisierung, ist Bewegung in die politische
Landschaft gekommen. Nicht mehr nur CDU-Politiker wie die Innen- und
Justizminister von Brandenburg und Sachsen fordern seit einiger Zeit, keinen
Unterschied mehr zu machen zwischen dem genetischen und dem klassischen
Fingerabdruck. Auch der sozialdemokratische Innenminister von
Schleswig-Holstein, Klaus Buß, schlug vor wenigen Tagen vor, dass die
Polizei künftig von jeder Person, die erkennungsdienstlich behandelt wird,
auch eine genetische Identifizierung vornehmen sollte.
Für die Datenschutzbeauftragten in Brandenburg und Sachsen ist das
unvorstellbar. Auch wenn bisher dazu nur bestimmte, nicht codierende
Abschnitte herangezogen würden, sei es doch ein Zugriff auf Genmaterial,
sagt Brandenburgs oberster Datenschützer Alexander Dix. «Weltweit wird an
einer Ausweitung der Aussagemöglichkeiten gearbeitet» , warnt er. Man könne
deshalb nicht diese Untersuchung erst mal ausweiten und später über
Sicherungen nachdenken. Die hohe Hürde der Prüfung jedes Falls durch einen
Richter sei notwendig und richtig.
Diesen Richtervorbehalt hat Brandenburg jetzt nach Sachsen praktisch
ausgehebelt. Ab sofort, so verkündete Brandenburgs Justizministerin Barbara
Rich-stein vorgestern, sei es möglich, ohne richterlichen Beschluss einen
genetischen Fingerabdruck abzunehmen, wenn der Betroffene damit
einverstanden sei. In Sachsen wird das bereits praktiziert, sehr zum Ärger
des Sächsischen Datenschutzbeauftragten Andreas Schurig.
Auch er ist dagegen, den klassischen und den genetischen Fingerabdruck
einfach gleichzusetzen, doch in Einzelfragen sei er gesprächsbereit. Bei
unbekannten Toten beispielsweise hält er einen richterlichen Beschluss für
die DNA-Identifizierung für überflüssig. «Wenn es mehr Erkenntnisse über die
Notwendigkeit einer Ausweitung der Tests gibt, kann man darüber reden» , so
Schurig. Neue Regelungen sollten jedoch zunächst zeitlich befristet und dann
erneut überprüft werden. Auf die richterliche Entscheidung will er auch
künftig nicht verzichten.
Die will auch Mark Benecke, Kriminalbiologe aus Köln, nicht pauschal
abschaffen: «Irgendeine Form der Kontrolle sollte es geben.» Eine
detaillierte Einzelfallprüfung geht ihm jedoch zu weit. Benecke kann aus
fachlicher Sicht die Vorbehalte gegen eine weit gehende Gleichsetzung von
genetischem und klassischem Fingerabdruck nicht verstehen. «Das ist keine
Gen-Analyse» , stellt er klar. Es würden dabei nur persönlichkeitsneutrale
Informationen zur Identifizierung erfasst. Dass sich aus einem genetischen
Fingerabdruck Informationen über Krankheiten ablesen lassen, sei ein
Märchen. Auch Hinweise auf die Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen sei nur
manchmal und nur ungefähr ablesbar. Benecke räumt ein, dass schrittweise
auch Aussagen über einige äußere Merkmale wie Körpergröße und Augenfarbe
möglich werden, die in Deutschland zugelassenen Tests das jedoch nicht
leisten. Ängste über eine schleichende Aufweichung teilt er nicht: «Die
Gesetzeslage ist eindeutig und es gibt in Deutschland eine sehr kritische
und aufmerksame Presse.» Ein wichtiges Indiz dafür, dass der genetische
Fingerabdruck nicht für Überwachungsbefürchtungen taugt, ist für den
Kriminalbiologen das fehlende Interesse von Diktaturen in aller Welt an
dieser Methode.
Enge Grenzen für Speicherung
Bisher werden in Deutschland genetische Fingerabdrücke nur von Straftätern
gespeichert, denen ein Delikt von «erheblicher Bedeutung» zur Last gelegt
wird und von denen auch in Zukunft ähnliche Taten zu erwarten sind. Dazu
gehören beispielsweise Mord, Raub und Vergewaltigung. Die Grenzen sind dabei
eng gesteckt. Vor drei Jahren gab das Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg einem jungen Mann Recht, der sich gegen einen DNA-Test wehrte.
Er hatte bei einer Demonstration mit Steinen auf Polizisten geworfen.
Auch in Sachsen schossen Polizisten und Richter in Sachen DNA-Test schon
über den bisherigen rechtlichen Rahmen hinaus. Das sächsische
Verfassungsgericht bezeichnete es im vorigen Sommer als «Willkür» , dass
einem jungen Mann, der an einer Schlägerei zwischen rechter und linker Szene
beteiligt war, der genetische Fingerabdruck abgenommen wurde, obwohl gar
kein Spurenmaterial zum Vergleich vorhanden war.
Solche Fälle bestärken Kritiker. Doch die Befürworter einer umfangreicheren
Datei von DNA-Indentifizierungen können auf die Unterstützung anerkannter
Fachleute wie Mark Benecke und wissenschaftliche Analysen verweisen, zum
Beispiel auf eine Untersuchung des Bundeskriminalamtes. Dort wurden alle
polizeilichen Erkenntnisse über Vergewaltiger und Sexualmörder aus den
Bundesländern Sachsen, Niedersachsen, Hessen und Baden Württemberg, die 1999
verurteilt wurden, ausgewertet. Das Ergebnis ist beeindruckend. Fast drei
Viertel der Vergewaltiger war vorbestraft, jedoch nicht einschlägig. Sie
standen vorher meist wegen Gewalt- und Eigentumsstraftaten vor Gericht. Die
Erkenntnis der BKA-Fachleute: Die Sexualstraftat ist bei den meisten eine
Regelverletzung unter vielen. Potenzielle Vergewaltiger seien am ehesten
unter Dieben und Schlägern zu finden. Ein spektakulärer Fall aus der Lausitz
belegt diese Aussage.
Sachliche Diskussion gefordert
Im Januar 1996 war eine junge Frau auf dem Heimweg von der Disko im
Spree-Neiße-Kreis von drei jungen Männern aus Weißwasser und Boxberg
überfallen und vergewaltigt worden. Sie hatten das Auto ihres Opfers gerammt
und von der Straße gedrängt, bevor sie die Seitenscheibe einschlugen und die
Frau überwältigten. Als sie ihr Opfer entdeckten und beschlossen, die Frau
in ihre Gewalt zu bringen, waren sie eigentlich unterwegs, um Autoradios zu
stehlen. Einer der Vergewaltiger war vorher durch Fahren ohne Führerschein,
Diebstahl und dann wegen bewaffneter Überfälle auf fünf Bankfilialen und
eine Tankstelle in der Lausitz aufgefallen. Diese Überfälle brachten ihn in
die DNA-Datei, wodurch die brutale Vergewaltigung überhaupt erst aufgeklärt
werden konnte.
Wolfgang Bauch, der Cottbuser Kriminalist, hofft, dass endlich eine
sachliche und breite Diskussion über den genetischen Fingerabdruck in Gang
kommt, bevor spektakuläre Verbrechen die Debatte anheizen. Die Datenschützer
bittet er um mehr Vertrauen: «Sie können jederzeit ins Landeskriminalamt
kommen und sich ansehen, was da gemacht wird.»