POTSDAM Fieberhaft suchen Ermittler nach dem Leck, durch das eine
Computer-Festplatte mit brisanten Polizeidaten in die Öffentlichkeit
gelangen konnte. Der bereits am Sonntag von Innenminister Jörg Schönbohm
(CDU) eingesetzten Arbeitsgruppe wurde gestern eine Ermittlungskommission
des Polizeipräsidiums Potsdam an die Seite gestellt. Schönbohm will den
Innenausschuss des Landtags am Donnerstag informieren. Die
Staatsanwaltschaft Potsdam ermittelt inzwischen wegen des Verdachts der
Unterschlagung gegen Unbekannt. Eine heiße Spur gibt es aber offenbar noch
nicht. Die Ermittler müssen auch der Frage nachgehen, ob die Festplatte aus
einem Computer stammt, der nach MAZ-Informationen vor einem Jahr aus der
deutsch-polnischen Verbindungsstelle der Polizei in Frankfurt (Oder)
gestohlen worden war.
Wie gestern berichtet, hatte ein Student den Datenträger im
Internet-Auktionshaus Ebay ersteigert. Die Festplatte mit einem
20-Gigabyte-Speicher enthielt unter anderem interne Alarmpläne für besondere
Situationen, wie Geiselnahmen, Namen der Mitarbeiter von Krisenstäben und so
genannte Lagebilder zur Darstellung sicherheitspolitischer Situationen. Ebay
zeigte sich gestern auf MAZ-Anfrage bereit, die Ermittlungen der Behörden zu
unterstützen. “Das tun wir schon aus eigenem Interesse. Aber klar ist, wir
sind natürlich nur der Marktplatz”, so eine Sprecherin. Über Ebay wollen die
Ermittler den Anbieter der Platte finden.
Unterdessen wächst die Kritik am Umgang des Innenressorts mit brisantem
Material. Landesdatenschutzbeauftragter Alexander Dix hat seit längerem
Zweifel an der Praxis, nicht mehr benötigte Datenträger zu löschen und
verlangt jetzt Auskunft von Innenminister Schönbohm. Das vom Bundesamt für
Sicherheit in der Datenverarbeitung stammende Verfahren “VS clean” stamme
aus den 90er Jahren und sei nicht mehr auf dem neuesten Stand, monierte
Dix-Sprecherin Lena Schraut gestern. Mit “VS clean” würden Festplatten zwar
überschrieben, aber nicht so oft, dass eine Reaktivierung der Daten absolut
unmöglich gemacht werde. Es sei höchst problematisch, wenn — wie im
vorliegenden Fall — mit den Alarmierungslisten vermutlich auch vertrauliche
Angaben über Polizeibeamte an Unbefugte gelangen konnten, so Schraut.
Die Sprecherin des Innenministeriums, Dorothee Stacke, wies das zurück. Die
Berliner Firma, die seit Jahresbeginn für das Innenministerium tätig sei,
stelle sicher, dass die Daten auf ausgesonderten Festplatten — 800 bis 1200
fallen jährlich im Schönbohm-Ressort an — “irreparabel gelöscht” würden. Bis
Ende 2004 landeten die Platten im Schredder oder wurden, wie die MAZ erfuhr,
beispielsweise im Landeskriminalamt mit Magneten unbrauchbar gemacht.
Ministeriumssprecherin Stacke verteidigte das bisherige Herangehen und
verwies darauf, dass bislang noch nicht geklärt sei, auf welchem Weg der
betreffende Datenträger in private Hände gelangen konnte.
In der Staatskanzlei hält man den Datenskandal im Innenministerium für einen
Einzelfall. “Ein ähnlicher Vorgang ist bisher nicht bekannt”, sagte
Vize-Regierungssprecher Mario Fassbender. In der Landesregierung gebe es
eine “Aussonderungsrichtlinie” für elektronische Datenträger und IT-Technik.
Danach würden diese, wenn möglich, von anderen Dienststellen nachgenutzt.
Denkbar sei auch eine Veräußerung über eine bundeseigene
Verwertungsgesellschaft oder die Verschrottung. Die Entscheidung liege beim
Behördenleiter.
Das Finanzministerium, das vor allem durch die Steuerdaten der Finanzämter
eine brisante Datenflut verwaltet, hat sich nach Angaben von
Ministeriumssprecher Ingo Decker bereits vor einiger Zeit dafür entschieden,
Rechner ohne Festplatten zu benutzen. Die streng vertraulichen Daten würden
auf einem zentralen Server gespeichert. “Wenn wir den PC mal weggeben, ist
das kein Problem”, so Decker.
Das Justizministerium hatte — nach eigener Kenntnis — bislang noch nie ein
Leck im System. Wenn das Ministerium Computer aussondert, dann werden die
Festplatten in einer Abteilung der Justizvollzugsanstalt Spremberg mehrfach
gelöscht. “Keine Bange, darüber gibt es einen Vertrag”, erklärt
Ministeriumssprecher Thomas Melzer. Gerichte und Staatsanwaltschaften lassen
die Festplatten von Spezialfirmen vernichten beziehungsweise löschen.