Eine trügerische Ruhe hat Martina Münch ausgemacht. Die Sprecherin des Vereins Cottbuser Aufbruch warnt eindringlich: “Die Ursachen für rechte Gewalt sind nicht beseitigt.” Sozialdezernentin Christina Giesecke räumt ein: “Wir wissen nur ein Bruchteil dessen, was wirklich passiert.”
Ein Trend, sagt Dirk Wilking vom Mobilen Beratungsteam Brandenburg, sei auch in Cottbus zu beobachten: Rechtsextreme ziehen sich immer mehr ins Bürgerliche zurück. “Der Extremismus wird nicht mehr so öffentlich geäußert. Unter Umständen verspricht er Karrierevorteile.”
Zu beobachten sei seit einiger Zeit ein “Eindrehen der Szene ins bürgerliche Milieu”. Die Erkennbarkeit werde geringer, so Wilking. Rechte zögen sich derzeit beispielsweise ins Hip-Hop-Milieu zurück, an anderen Stellen werde “Ausländerfeindlichkeit zum städtischen Konsens”. Viel Akzeptanz komme aus den Elternhäusern.
Das Publikum im Stadthaus kennt einige Cottbuser Beispiele für diesen alltäglichen Extremismus und Formen von Rassismus, die jetzt zwar seltener in spektakulären Aktionen gipfeln, aber immer noch da sind. “Die Szene ist kaum noch in Klubs. Sie formiert sich in so genannten nationalen Wohngemeinschaften, zum Beispiel in Schmellwitz”, berichtet ein Sozialarbeiter. Da sei kein Rankommen an die Jugendlichen, “eine direkte Auseinandersetzung, ein Dialog findet nicht mehr statt”.
Am Rande eines Testspiels des FC Energie wurden zwei Jugendliche (13 und 17 Jahre alt) von der Cottbuser Polizei aufgegriffen, die T‑Shirts mit der englischen Aufschrift “All Cops are Bastards” (Alle Polizisten sind Bastarde) trugen. Auf der Rückseite bedroht in einer Darstellung “ein Kurzgeschorener einen Polizisten mit einem Gewehr”, wie Polizeioberrätin Simone Taubenek berichtet. Die Polizei erstattet Anzeige wegen Beleidigung. Die Staatsanwaltschaft prüft den Vorfall und die Inhalte. Ob das Tragen der T‑Shirts Folgen haben wird, ist zweifelhaft.
Der Vater des einen Jungen wusste der Polizei zu berichten, dass die Aufschrift durch ein Urteil eines Gerichtes aus Nordrhein-Westfalen genehmigt worden sei. Jetzt werden die Shirts gleich mit dem betreffenden Urteil zusammen verkauft. Immerhin hat der FC Energie gegen die beiden Jugendlichen Stadionverbot ausgesprochen.
Ein weiteres Beispiel: In der Straße Am Priorgraben hängt an einer Hofeinfahrt ein Schild: “Hier endet die Bundesrepublik. Sie betreten Deutschland.” Darüber ist ein Puppenkopf aufgespießt, aus den leeren Augenhöhlen fließt stilisiertes Blut. Eine Cottbuserin berichtet im “Café”, sie habe den Besitzer darauf angesprochen und ihm Rechtsextremismus vorgeworfen. Seine Antwort sei gewesen: “Ich habe einen Anwalt.” Ein Sozialarbeiter erinnert sich, dass auf dem Schild ursprünglich “Sie betreten das Dritte Reich” gestanden habe.
“Es muss nicht immer jemand durch die Stadt getrieben werden. Der alltägliche Rassismus trifft die Menschen in die Seele”, sagt Aufbruch-Sprecherin Martina Münch. Oft fehle es auch bei verbalen Angriffen gegen Ausländer an Zivilcourage in Cottbus. Die Bürger müssten “die Sinne schärfen”, fordert Münch. “Wir nehmen den Vorfall mit dem jordanischen Arzt in Sachsendorf schon nicht mehr als Ausländerfeindlichkeit wahr.” Der Arzt hatte sich an einem Einkaufsmarkt mit Jugendlichen ein Wortgefecht geliefert, anschließend gab es eine Rangelei. Die Staatsanwaltschaft prüft den Fall.
Münch fordert “Glaubwürdigkeit von Politik, Schule und Eltern. Wir müssen mit eigenem Beispiel vorangehen und Kindern und Jugendlichen das Gefühl geben, dass wir sie ernst nehmen, aber ihnen auch zeigen, wo Grenzen sind”.
Doch auch staatliches Handeln wird von Betroffenen als verletzend empfunden. Ein Student aus dem Jemen berichtet von Ausweiskontrollen am Bahnhof durch den Bundesgrenzschutz am 11. September.
“Kontrolliert wurden nur Ausländer. Der Studentenausweis reichte nicht. Wer keinen Pass dabei hatte, wurde im Dienstwagen der Beamten zum Wohnheim gefahren, gut sichtbar für die anderen Studenten. Man fühlte sich wie ein Krimineller.” Sind Ausländer in Unfälle verwickelt, würden sie von Polizisten “automatisch geduzt”, erklärt der Stadtverordnete Ralf Fischer (Grüne). Auch das sei in seinen Augen “menschenverachtend und diskriminierend”.