Sommertour-Rundgang mit der RUNDSCHAU zu einem finsteren Kapitel der
Cottbuser Geschichte
Auf die Spuren jüdischen Lebens in Cottbus begab sich gestern Steffen
Krestin vom Stadtmuseum. Die rund 30 Besucher der RUNDSCHAU-Sommertour
folgten ihm voller Interesse.
Eine kleine Platte ragt aus dem Rathaus am Neumarkt, so unscheinbar, dass
bei ihrem Anblick niemand an ein dunkles Kapitel der Cottbuser Geschichte
denken würde. Doch als Steffen Krestin den Gästen des Rundgangs erklärt, was
es mit dieser Platte auf sich hat, schauen sie ein zweites Mal hin. «Hier
stand im Dritten Reich eine Plastik mit dem Titel: SA-Mann stürzt Juden und
Kommunisten in den Tod.»
Dabei reicht die Diskriminierung jüdischer Bürger in Cottbus weit in die
Geschichte zurück. 1510 wurden alle Juden aus der Mark Brandenburg
vertrieben. Ihnen war der Diebstahl einer Hostie aus der Dorfkirche in
Knoblauch angelastet worden. «Diese Verbannung hatte wohl vor allem
religiöse und geschäftliche Ansätze» , erklärt Krestin. «Es ging in erster
Linie darum, lästige Konkurrenz von Händlern loszuwerden.» Erst König
Friedrich Wilhelm gestattete 1730 den Juden wieder den Handel in offenen
Läden. 1748 lebten drei jüdische Familien in Cottbus — 1908 zählte die
jüdische Gemeinde bereits 400 Mitglieder. Bald folgte jedoch der nächste
grausame Rückschlag. Am 30. Januar 1933 kam es zum Aufruf, jüdische
Geschäfte zu boykottieren. Bis Mitte 1936 wanderten 68 Juden aus Cottbus
aus. Ihre Zuflucht: Länder wie Palästina, Südafrika, die Schweiz und die
USA. Es kam noch schlimmer: In der Pogromnacht am 9. November 1938 brannte
die Cottbuser Synagoge nieder. Für die Räumarbeiten musste die jüdische
Gemeinde zahlen. «Zwischen dem 10. und 14. November wurden 30 Juden
verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert» , sagt
der Chef des Stadtmuseums, «die Stadt rechnete dafür insgesamt 950
Reichsmark mit Unterkunft, Verpflegung und Transport ab.» Im April 1942
folgte der Transport weiterer Juden ins Warschauer Ghetto — zum Kriegsende
sollen in Cottbus nur noch zwölf Juden gelebt haben. «Diese
Deportationswelle konnte man auch in Cottbus nicht leugnen» , erklärt
Krestin, «man hat doch gesehen, wenn 500 Familien aus ihren Wohnungen
vertrieben wurden.»
Verriegelte Türen und Fenster — so sieht das Haus in der Münzstraße 42 heute
aus. «Hier pferchte man die letzten jüdischen Familien vor dem Transport im
Jahr 1942 zusammen» , sagt der Museumsdirektor.
Eine Besucherin des Rundganges erinnert sich noch deutlich an den Brand der
Synagoge: «Ich war damals 16 Jahre alt» , sagt Dorothea Fisch, «ich ging in
die Mittelschule, und unser Lehrer, ein strammer SA-Mann, der auch in
Uniform zum Unterricht kam, schickte uns zum Beobachten des Brandes.»
Nicht oft kommt es vor, dass Mitarbeiter des Stadtmuseums mit Augenzeugen
sprechen können. Krestin bedauert: «Es existieren viele Spuren, bei denen
wir außer einem Namen nichts wissen. Es gibt noch viel an historischem
Wissen nachzuholen.»
Vieles haben die Cottbuser Geschichtsforscher jedoch schon zusammengetragen:
1740 erhielt die Witwe Kayla Israel Pinkus die Konzession zur Ansiedlung
eines Geschäfts in Cottbus — eine der ersten jüdischen Frauen, die sich nach
dem Erlass des Königs wieder in Cottbus niederließen. Der Name der Bärgasse
erinnert an den «Schwarzen Bären» , in dem sie ihr Quartier bezog. Und, so
erläutert Krestin, «an die Bären, die sich laut Überlieferung im
Dreißigjährigen Krieg vor der Cottbuser Stadtmauer aufgehalten haben» .
1886 kam der Rechtsanwalt Abraham Ludwig Hammerschmidt mit seiner Verlobten
nach Cottbus und ließ sich 1895 in der Bahnhofstraße mit Wohnung und Kanzlei
nieder. 1934 musste die Familie die Kanzlei wieder aufgeben, weil ihr die
Stadt die Erlaubnis zum Betrieb entzogen hatte.
Jüdische Händler ließen sich auch in der Spremberger Straße nieder. So gab
es das Kaufhaus «Brummer & Schießer» , in dem sich die Cottbuser mit
Stoffen, Gardinen, Möbeln und Teppichen versorgten — das jedoch in den
30er-Jahren «arisiert» wurde: Der langjährige Prokurist Theodor Czaja und
der Cottbuser Kaufmann Friedrich Langer führten fortan die Geschäfte.
Der Politik des Dritten Reichs fiel auch die Familie Schocken zum Opfer, die
seit 1907 das gleichnamige Kaufhaus in der Sprem betrieb: Es wurde nach 1933
als «Kaufstätten Merkur A.G.» weiter geführt.
«Wir müssen auch an die kritischen historischen Momente erinnern» , sagt
Steffen Krestin zum Ende seines Rundgangs, «nichts ist schlimmer, als wenn
wir nicht vermitteln können, was sich wo abgespielt hat. Man muss an die
Orte gehen können und sagen: Hier ist das und das passiert. Deshalb sind wir
auch im Gespräch mit der Stadt, um am einen oder anderen Gebäude
Gedenksteine anzubringen.»