Der Verfassungsschutz steckt offenbar in einer doppelten V‑Mann-Affäre. Nach Informationen des Tagesspiegels sollen gleich zwei Spitzel am Vertrieb der CD der Neonazi-Band „White Aryan Rebels“ mitgewirkt haben.
Diese ruft auf der Platte „Noten des Hasses“ zum Mord an Michel Friedman, Rita Süssmuth, Alfred Biolek und anderen Prominenten auf. Bei den V‑Männern handelt es sich um den vom Brandenburger Verfassungsschutz geführten Toni S., der seit der umstrittenen Razzia der Berliner Polizei gegen die Band in Untersuchungshaft sitzt, und um den sächsischen Neonazi-Anführer Mirko H., den das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz jahrelang dirigiert hat.
Damit haben von den vermutlich drei Neonazis, die tausende Exemplare der „Noten des Hasses“ in Umlauf gebracht haben, zwei für den Verfassungsschutz gearbeitet. Beide stehen im Mittelpunkt von V‑Mann-Affären, zwischen denen bislang kaum eine Verbindung sichtbar war.
Affäre eins: Um die Festnahme von Toni S. streiten sich Berlin und Brandenburg. Das Potsdamer Innenministerium wirft der Berliner Polizei vor, sie habe Toni S. bei der Razzia gegen die „White Aryan Rebels“ festgenommen, ohne sich vorher mit Brandenburgs Verfassungsschutz abzusprechen. Die Berliner Behörden verweisen dagegen auf den Vertrieb der „Noten des Hasses“ und weitere Taten, die der V‑Mann verübt haben soll.
Affäre zwei: Der Fall Mirko H. hat das Bundesamt für Verfassungsschutz in Bedrängnis gebracht, weil der V‑Mann mehrere Straftaten begangen hat und deshalb schon zwei Jahre Haft verbüsst. Die innenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen von Union, FDP und PDS haben kürzlich Innenminister Otto Schily aufgefordert, vor dem Innenausschuss des Bundestages Fragen zu den Aktivitäten des Spitzels zu beantworten.
In der Person des V‑Manns Mirko H. treffen nun beide Affären aufeinander. Die Dresdner Staatsanwaltschaft hat gegen den Neonazi, wie erst jetzt bekannt wurde, im Juni Anklage erhoben. Dem inzwischen vom Bundesamt „abgeschalteten“ V‑Mann wird vorgeworfen, er habe die „Noten des Hasses“ sowie zehn weitere, einschlägige CDs mitproduziert und ‑vertrieben. Laut Staatsanwaltschaft ist der frühere V‑Mann der Volksverhetzung sowie der Verwendung und Verbreitung von Nazi-Kennzeichen schuldig.
Das Landgericht Dresden hat am Montag die Anklage zugelassen. Da H. bereits eine Strafe absitzt, wurde „Überhaft“ angeordnet. Läuft die Strafe ab, bevor der neue Prozess begonnen hat, wird H. in Untersuchungshaft überführt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln äußerte sich am Montag zu der V‑Mann-Doppelaffäre nur knapp: „Zu operativen Angelegenheiten geben wir keine Stellungnahme ab“.
Kommentar aus dem Tagesspiegel:
Auftragsarbeit
DIE V‑MÄNNER UND DER VERFASSUNGSSCHUTZ
Würden alle V‑Männer aus der rechtsextremen Szene abgezogen, bliebe wenig von ihr übrig, spötteln Kritiker des Verfassungsschutzes. Sie werden sich nun bestätigt fühlen: Angesichts der Spitzel-Affären in Brandenburg und im Bund ist die Frage unvermeidlich, in welchem Ausmaß der Nachrichtendienst für rechte Hasspropaganda mitverantwortlich ist. Da „schützen“ zwei V‑Leute die Verfassung, indem sie eine Neonazi-CD vertreiben, auf der zum Mord an Michel Friedman, Rita Süssmuth, Alfred Biolek und anderen Prominenten aufgerufen wird. Dieselben Spitzel beteiligen sich auch an der Produktion einer Platte mit brutalen Parolen gegen Bundestagsabgeordnete, Migranten und Juden. Demnach warnt der Verfassungsschutz auch vor sich selbst, wenn er über die Gefahr der rechten Hassmusik berichtet? Sie treibe gewalttätige Nazi-Skinheads an wie ein Aufputschmittel, verkündet der Nachrichtendienst, und: Besonders riskant sei die Wirkung der Musik auf Kinder und Jugendliche. Der braune Sound ziehe sie als Einstiegsdroge in die Szene. Aber manchmal auch mit dem Einverständnis des Bundesamtes und der Landesbehörden für Verfassungsschutz? Man möchte es nicht glauben. Doch der Verfassungsschutz hat offenkundig zu viel riskiert, um die Szene zu durchleuchten – anstatt die leider notwendigen Spitzel ohne Ausnahme strafrechtlich korrekt zu führen. Es profitiert die NPD, deren Verbot mit jeder weiteren V‑Mann-Affäre stärker gefährdet scheint.