POTSDAM Die Rechtsposition des Potsdamer Innenministeriums gerät immer stärker ins Wanken. Generalbundesanwalt Kay Nehm sowie sämtliche 25 Generalstaatsanwälte in Deutschland haben auf einer internen Arbeitstagung in Karlsruhe einhellig befunden, dass V‑Leuten des Verfassungsschutzes “keine einsatzbezogenen Straftaten erlaubt” seien. Dies gelte grundsätzlich ohne Einschränkung für alle Straftaten, hieß es aus Kreisen der Teilnehmer. Damit stellten sich die Chefankläger hinter Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg, der erklärt hatte, V‑Leute dürften keine Straftaten begehen.
Das Potsdamer Innenministerium hatte hingegen in der Affäre um den enttarnten V‑Mann Toni S. stets betont, Vertrauensleute des Geheimdienstes dürften bestimmte Straftaten verüben, wenn sie sich ansonsten enttarnten und ihr Aufklärungsziel gefährdeten. Würde die Arbeit der Verfassungsschützer durch die Rechtsauffassung der Generalstaatsanwälte eingeengt, schwächte dies den Kampf gegen den Extremismus entscheidend, warnte Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) kürzlich in einem Brief an Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Brandenburgs Justizministerin Barbara Richstein (CDU) bezieht in dieser Konfliktlage weiterhin öffentlich keine Stellung. Das Rechtsproblem “liegt der zuständigen Fachabteilung zur Prüfung vor”, teilte Ministeriumssprecherin Petra Marx gestern mit. Beobachter argwöhnen, dass sich Richstein in dieser heiklen Frage aus parteipolitischer Verpflichtung nicht gegen CDU-Parteichef Schönbohm positionieren möchte.
Im Potsdamer Innenministerium zeigt man sich von der Rechtsauffassung der 26 deutschen Chefankläger weitestgehend unbeeindruckt. Man sehe “keinen Handlungsbedarf”, hieß es. Das soll offenbar bedeuten, dass man V‑Leuten auch weiterhin einsatzbezogene Delikte durchgehen lassen will.
Nach Auffassung des Innenressorts ist deshalb auch keine Gesetzesnovellierung erforderlich, die V‑Leuten eine größere Freiheit für Rechtsbrüche einräumen würde. “Wir sehen nicht, dass eine Gesetzesänderung nötig wäre.” Verwiesen wird in dem Zusammenhang auf das niedersächsische Verfassungsschutzgesetz. Dort seien etliche Straftaten aufgelistet, die V‑Leuten in ihrem Einsatz gestattet seien — neben Propagandadelikten auch Volksverhetzungstatbestände, behauptet man im hiesigen Innenministerium.
Tatsächlich erlaubt das niedersächsische Gesetz V‑Leuten, unter bestimmten Bedingungen Propagandastraftaten zu begehen. Es ist ihnen beispielsweise gestattet, den rechten Arm zum Hitlergruß zu heben, um sich nicht zu enttarnen. Doch das Gesetz schließt — gegen die Meinung der Potsdamer — ausdrücklich aus, dass V‑Männer volksverhetzende Straftaten verüben dürfen. Der enttarnte V‑Mann Toni S. wäre demnach auch in Niedersachsen straffällig geworden, wenn er im Auftrag des dortigen Verfassungsschutzes CDs vertrieben hätte, auf denen zum Mord aufgerufen wird.
In Potsdamer Regierungskreisen wird nicht ausgeschlossen, dass man das Rechtsproblem grundsätzlich auf höchster politischer Ebene erledigen will. Dazu könnte Justizministerin Richstein eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat mit dem Ziel einbringen, V‑Männern Straftaten zu gestatten, die ihnen derzeit noch verboten sind.