POTSDAM Das Innenministerium hat V‑Leuten des Verfassungsschutzes nach Auffassung der brandenburgischen PDS “einen Freibrief zur Verübung von Straftaten erteilt”, kritisierte die innenpolitische Sprecherin der PDS-Landtagsfraktion, Kerstin Kaiser-Nicht, gestern in Potsdam. Das brandenburgische Verfassungsschutzgesetz erwähne zwar eine Dienstvorschrift mit Straftatbeständen, die von V‑Leuten “verwirklicht werden dürfen”, doch sei diese Vorschrift nie erlassen worden, beklagte die Oppositionspolitikerin.
Im Fall des von Berliner Behörden enttarnten V‑Manns Toni S. aus Cottbus warf Kaiser-Nicht der Verfassungsschutzbehörde vor, “den Ermessensspielraum zu weit ausgelegt” zu haben. Außerdem habe der Mitarbeiter der Behörde, der Toni S. betreuen sollte, “zu lange zugesehen”, wie der V‑Mann seine “eigennützigen Ziele verfolgte”.
Darüber hinaus warf die PDS-Politikerin Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) vor, “seine Aufsichtspflicht verletzt” zu haben. Als Dienstherr der Verfassungsschutzbehörde hätte er über Straftaten des V‑Manns Toni S. Bescheid wissen müssen. Kaiser-Nicht hält es für unvorstellbar, dass dies nicht der Fall war. Nach der heftig geführten öffentlichen Diskussion über den Einsatz von V‑Leuten in der NPD zeuge es andernfalls von “Verantwortungslosigkeit, wenn Schönbohm nicht fragt, wo V‑Leute in Brandenburg saßen”.
Der Forderung der PDS, den Einsatz von V‑Leuten neu zu regeln und ihre Tätigkeit kritischer zu überprüfen, schloss sich die märkische SPD gestern an. “Es muss grundsätzlich geklärt werden, was V‑Leute dürfen und was nicht”, sagte SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness. Er hoffe, der nach der Enttarnung des V‑Manns Toni S. zwischen Berlin und Potsdam ausgetragene Streit sei ein “heilsamer Schock”.
Die Berliner Grünen hingegen wollen die Auseinandersetzung offensichtlich forcieren. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann verlangte gestern den Rücktritt von Innenminister Schönbohm, weil dieser von Straftaten des V‑Manns gewusst und dennoch nicht veranlasst habe, ihn als Quelle abzuschalten.
Was Schönbohm wann wusste, ist derweil völlig unklar. Zur Beantwortung dieser Fragen drängt die PDS bereits für Morgen auf eine Sondersitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK). In diesem zur Geheimhaltung verpflichteten Gremium, das die Verfassungsschutzbehörde beaufsichtigt, sollen sämtliche Unterlagen über den Fall Toni S. offengelegt werden, forderte Innenexpertin Kaiser-Nicht. Andernfalls solle Schönbohm den Fall in der nächsten Landtagssitzung darlegen.
Das Innenministerium wies den Vorwurf zurück, V‑Leuten einen Freibrief für Straftaten ausgestellt zu haben. Die von der PDS angemahnte Dienstvorschrift sei in der PKK mehrfach thematisiert worden, das Kontrollgremium habe diese Anweisung jedoch nie eingefordert, erklärte ein Sprecher. Die Arbeit ohne Dienstanweisung erhöhe auch den Schutz der V‑Leute. Wäre in der rechtsextremen Szene nachzulesen, was V‑Leuten verboten sei, könnten sie durch Mutproben leicht enttarnt werden.
Das Ausmaß der Toni S. zur Last gelegten Straftaten ist noch immer nicht exakt bekannt. Nach Auskunft der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe war der 27-Jährige “nicht an Herstellung und Vertrieb einer CD für die Gruppe ‚Landser beteiligt”. Jedoch hatte Toni S. nach Informationen der MAZ etwa 90 Exemplare der CD “Ran an den Feind” als Entlohnung erhalten. S. hatte — ohne Wissen des Geheimdienstes — das Beiheft für die CD gedruckt, die zum Mord an prominenten Neonazi-Gegnern anstiftet.