Potsdams Schwierigkeiten mit dem Tag der Befreiung / Linke Aktionskünstler
wollen die Straßen beherrschen
(MAZ, Volkmar Klein) Das Wort Befreiung fehlt im Veranstaltungsprogramm der Stadt “Zum 60.
Jahrestag des Kriegsendes”. Selbst unter dem Datum 8. Mai ist lediglich vom
“Internationalen Museumstag” die Rede. Diese Lücke könnte indes schnell
gefüllt werden. Auf eine Art, von der Oberbürgermeister Jann Jakobs im
Hauptausschuss am Mittwochabend schon einmal vorsichtig bemerkte, er hätte
da “große Bedenken”.
Die Landeshauptstadt steht vor einem Politikum. Mit einer
Antikriegs-Performance soll Potsdam am 8. und 9. Mai offenbar symbolisch
noch einmal zum Kriegsgebiet gemacht werden. Für diese Tage habe eine
Aktionsgruppe eine “Performance nach Brecht” angekündigt, sagte die
Ordnungsbeigeordnete Elona Müller. Die Truppe wolle Panzer-Attrappen durch
die Stadt rollen lassen, ein simulierter Fliegeralarm samt Sirenengeheul und
Flak-Scheinwerfern seien Teil der Vorstellung.
Ein “Verein für die unliterarische Verwendung der Literatur” hat die Aktion
nach dem Vorbild von Bertolt Brechts “Legende vom toten Soldaten” (1918)
erdacht. Sie heißt “Das Begräbnis oder die Himmlischen Vier”. Der Verein
selbst beschreibt: “In der szenischen Darstellung soll ein deutscher Soldat
vor dem Reichstagsgebäude aufgebahrt werden. Brechts Tochter Hanne Hiob wird
das Gedicht ihres Vaters lesen. Von Vertretern der Veteranen aus den USA,
aus Russland, Großbritannien, Frankreich und Polen wird der Soldat dann mit
Begleitung zweier sowjetischer Panzer zum Schloss Cecilienhof nach Potsdam
eskortiert, wo 1945 das Potsdamer Abkommen geschlossen wurde. Ein
historischer Bomber aus dem II. Weltkrieg wird über der Stadt erscheinen und
an den letzten alliierten Bombenangriff vom 14. April 1945 erinnern. Am 9.
Mai dann soll der deutsche Soldat an der Stelle der ehemaligen
Garnisonskirche in seinem hoffentlich letzten Grab begraben werden.”
An gleicher Stelle will die Stadt Tage später den symbolische Grundstein für
den Wiederaufbau der Kirche legen. Die Aktionskünstler stellen hierzu fest,
in Potsdam sei der “reaktionäre Militarismus” wieder eingezogen,
“Großdeutschland” brauche wieder einen “Militärtempel”.
Die aus Sicht der Rathausspitze offenbar schwer kalkulierbare Aktion der
Linken könnte Potsdam bei falscher Reaktion ausgerechnet in der
Entscheidungsphase der Kulturhauptstadtbewerbung erneut in
Negativ-Schlagzeilen bringen. Diesmal mitgezogen von der Bundeshauptstadt.
Denn, wie der Text zeigt, sollte es zwei Spielorte geben: Neben der
Performance in Potsdam wollten die Politkünstler nach eigenen Angaben eine
Neonazi-Kundgebung in Berlin verhindern. Dort habe die Polizei die Aktion
jedoch abgelehnt, obwohl man “das Gelände vor dem Reichstag einen ganzen
Monat vor den Nazis angemeldet” habe, so der Verein.
Die Potsdamer Ordnungsbeigeordnete bestätigte, von der Berliner Ablehnung
informiert zu sein. Wie sich die Landeshauptstadt verhält, ist offen. Elona
Müller sagte, man sehe sich “in der Schwierigkeit, zwischen Kunstaktion und
öffentlichen Belangen abzuwägen”. Immerhin seien “massive
Beeinträchtigungen” zu erwarten. Fachbereichsleiterin Marina Kluge sagte,
bisher habe die Stadt keinen formellen Antrag, sei aber über die
Vereinspläne informiert. Die im Ausschuss anwesende Kulturbeigeordnete
Gabriele Fischer äußerte sich nicht zum Thema.
Das Berliner Nein stoße inzwischen auf prominente Kritik, meldet der Verein
und zitiert Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für
Menschenrechte, sowie Gewerkschaftsorganisationen.