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Warum steigen die Mieten?

Mal wieder haben wir uns ver­sam­melt, um hier in Pots­dam gegen steigende Mieten auf die Straße zu gehen. Während die Real­löhne in den let­zten 30 Jahren in Deutsch­land für große Teile der Bevölkerung gesunken sind, Lohn­er­höhun­gen kaum die Infla­tion aus­geglichen haben, sind die Mieten im Ver­gle­ich mas­siv angestiegen. Eine durch­schnit­tliche 3‑Raum-Woh­nung ist in Pots­dam kaum noch unter 800 Euro War­m­mi­ete zu beziehen. Nach oben sind die Preise offen, ger­ade für Wohneigen­tum soll­ten Men­schen schon mit einem Sack voll gold­en­er Löf­fel im Mund geboren wer­den, um sich diese leis­ten zu können.
Doch warum ist das so? Der Ober­bürg­er­meis­ter von Pots­dam hat schon vor Jahren verkün­det, dass der Markt die Anzahl der neuge­baut­en Woh­nun­gen reg­ulieren würde. Seine Kon­se­quenz war, die Hände in den Schoß zu leg­en und nichts zu tun. Wer will sich schon mit der unsicht­baren Hand anlegen?
Doch warum gibt seit Jahren diese mas­sive Teuerung? In allen Län­dern dieser Welt beste­ht die Ten­denz, vom Land in die Stadt zu ziehen. Die Men­schen, die nur ihre Arbeit­skraft zu verkaufen haben, müssen, um Arbeit zu find­en in die Städte ziehen. Das ist hier in Pots­dam wie über­all. Arbeit in Bran­den­burg gibt es nach der Dein­dus­tral­isierung in den 90er Jahren vor allem im Speck­gür­tel von Berlin. In der Uck­er­mark mag es zwar ruhig und beschaulich zuge­hen, aber eine Lebens­grund­lage bieten diese soge­nan­nten struk­turschwachen Regio­nen nur für Wenige.
Der Platz für Neubaut­en nimmt also ab. Doch dies allein ist nicht der Grund für steigende Mieten. Der Grund dafür ist glob­aler und durch den Ver­w­er­tungszwang des Kap­i­tals bestimmt.
Wir befind­en uns in ein­er Zeit der glob­alen Über­akku­mu­la­tion von Kap­i­tal. Die Pro­duk­tiv­ität hat weltweit einen Stand erre­icht, indem sich viele Unternehmungen schlichtweg nicht mehr lohnen. Es macht ökonomisch keinen Sinn mehr noch eine Aut­o­fab­rik, Pro­duk­tion­san­la­gen für Zahn­bürsten oder ähn­lich­es zu bauen, die zahlungs­fähige Nach­frage wird durch die beste­hen­den bere­its gedeckt. Seit etlichen Jahren herrscht Über­pro­duk­tion, die Welt erstickt ger­adezu in Waren wie Tex­tilien, Autos oder Elek­trogeräten aller Art, das Wach­s­tum der kap­i­tal­is­tis­chen Wirtschaft gerät immer mehr an seine Gren­zen. Im Rah­men des beste­hen­den Neolib­er­al­is­mus wurde ver­sucht, diese Sit­u­a­tion auf ver­schiedene Arten zu beseit­i­gen. Waren wur­den zwar massen­haft und bil­lig auf den Markt gewor­fen, aber ihre Leben­szeit wurde begren­zt, so sind die Men­schen gezwun­gen regelmäßig Neue zu kon­sum­ieren. Dann ver­schulde­ten sich die Staat­en nahezu ins Astronomis­che um nicht die Gewinne der Unternehmen zu schmälern und trotz­dem weit­er anlaufende Aus­gaben zu leis­ten. Weit­er wur­den durch die Pri­vatisierung ehe­mals staatlich­er Sek­toren neue Anlage­spähren für das Kap­i­tal geschaf­fen. Als dies nicht genügte, set­zte eine staatliche Dereg­ulierung der Finanzmärk­te ein, nicht weil die Banker so gierig waren, son­dern weil das Sys­tem in eine Krise gekom­men war und neue Ver­w­er­tungsmöglichkeit­en brauchte. Erst­mal eine ‚win win‘ Sit­u­a­tion. Das Kap­i­tal kon­nte sich durch Zin­sen ver­w­erten und die Pro­duk­tion von Immo­bilien und Kon­sumgütern wurde angeschoben. Alle beka­men und bekom­men weit­er­hin Kon­sumkred­ite nahezu hin­ter­herge­wor­fen. Nur zer­brachen diese Kred­itver­hält­nisse vor allem daran, dass die Rück­zahlung durch sink­ende Real­löhne nicht erfol­gen kon­nten. Dies und ein all­ge­mein­er Nach­fragerück­gang ken­nen wir heute als glob­ale Krise von 2007.
So ähn­lich ist auch der Zusam­men­hang hier bei uns. Immo­bilien sind für Fonds und Kap­i­tal­gebende ein­fach noch lohnende Anlage­pro­jek­te. Kap­i­tal muss sich bei Gefahr des Unter­gangs ver­w­erten, ihm ist es egal ob in Form von Pro­duk­tion oder als Immo­bilien- und Grundbe­sitzkap­i­tal. Nur, dass die Men­schen nicht beliebig hohe Mieten zahlen kön­nen. Dies führt dann, wie in Pots­dam, zum sozialen Auss­chluss ganz­er Bevölkerungsgruppen.
Ähn­lichen Sachzwän­gen unter­liegt die Stadt. Die Pro Pots­dam ist kein Wohlfahrt­spro­jekt und mal abge­se­hen von ein paar Pres­tige­pro­jek­ten wie der Hei­desied­lung oder der Behlert­straße, die ihr nur durch mas­siv­en öffentlichen Druck abgerun­gen wer­den kon­nte, zählt auch für sie nur: mehr Geld mit der Ver­mi­etung von Woh­nun­gen zu erwirtschaften, teil­weise zur eige­nen Refi­nanzierung, teil­weise um Haushalt­slöch­er der Stadt zu stopfen.
Wenn wir heute fordern, dass Wohn­raum keine Ware sein darf, so muss sich dieser Forderung die nach ein­er grund­sät­zlichen Abschaf­fung der Waren­form anschließen. Nur ein Aus­bruch aus den Mark­tver­hält­nis­sen ermöglicht ein men­schen­würdi­ges Leben für alle nach ihren Bedürfnis­sen. In Pots­dam gibt es jedoch im Ver­gle­ich zu anderen Städten noch eine andere Beson­der­heit, die über den Drang Kap­i­tal zu ver­w­erten hin­aus­ge­ht. Dies ist die Neugestal­tung der Pots­damer Innen­stadt nach soge­nan­ntem his­torischen Vor­bild. His­torisches Vor­bild ist dabei alles aus der Preußen­zeit und alles, was vor dem 2. Weltkrieg gebaut wurde. Dies wird über­wiegend mit dem zusam­men­hän­gen­den Ensem­ble und der Schön­heit der innen­städtis­chen Gebäude begrün­det. Obwohl Schön­heit ja bekan­ntlich sub­jek­tiv ist, maßen sich die Preußen­fans von ‚Mitteschön‘ und die Jauchs, Joops und Plat­tners sowie ihre Unterstützer_innen der mit­tler­weile gescheit­erten Rathauskoali­tion, aber auch die AfD an, objek­tiv festzustellen, dass FH, Mer­cure und Rechen­zen­trum architek­tonis­ch­er Müll sind, während Bar­beri­ni, Stadtschloss und Gar­nisonkirche eine Wohltat für das luxu­s­gewöh­nte Auge darstellen. Kön­nte Men­sch doch eigentlich meinen, was inter­essiert mich das Gewäsch einiger Narzist_innen und Freund_innen des preußis­chen Despo­tismus, dessen architek­tonis­ch­er Aus­druck nun­mal die wiedererbaute Pots­damer Innen­stadt ist?
Lei­der sehr viel. Denn die Brüche in der Gestal­tung der Stadt zeu­gen auf der einen Seite von der Geschichte Pots­dams. Viele der Preußen­tem­pel sind durch Kriegshand­lun­gen mas­siv zer­stört wor­den, durch die Bom­bardierung der west­lichen Alli­ierten, aber auch durch das Geschützfeuer der sow­jetis­chen Armee nach­dem die Stadt nicht kapit­ulierte. Somit erin­nerte auch die Neugestal­tung der Stadt an ihre dun­kle Geschichte und die began­genen Ver­brechen auch der Potsdamer_innen. Denn auch Pots­dam war eine Stadt der Täter_innen. Hier tagten Teile des Volks­gericht­shofes, auch hier wur­den Men­schen ver­schleppt und in die Ver­nich­tungslager deportiert, Sol­dat­en, Waf­fen und anderes Mate­r­i­al an die Front gebracht. Auch ger­ade vom kon­ser­v­a­tiv­en Pots­dam und auch von den soge­nan­nten Wider­ständlern des 20 Juli wurde der Angriff­skrieg auf ganz Europa geplant und durchge­führt. Das Vorkriegspots­dam wieder aufzubauen ist auch eine Art Geschichte zu ver­fälschen. Die Kains­male der Täter_innenstadt Pots­dam wer­den ein­fach über­baut, so als wäre nichts gewesen.
Doch das ist nur die eine Seite der Preußen­medaille. Auf der anderen prangt die Frage: Wem gehört die Stadt?
Alle Neubaupro­jek­te, die bish­er am Alten Markt errichtet wur­den, sind kom­merzial­isiert. Nur wer genü­gend Kohle hat, kann sich dort eine Woh­nung leis­ten, eines der Geschäfte besuchen. Sozial­woh­nun­gen wird es ‑wenn über­haupt- nur auf Zeit geben. Ein vor­mals öffentlich­er Raum für alle ist zu einem Raum der Priv­i­legierten verkom­men. So läuft das schon seit Jahren, Pots­dam ver­scher­belt seine Grund­stücke an pri­vate Inve­storen, die ver­suchen dann so gewinnbrin­gend wie möglich zu investieren, ob nun mit exk­lu­siv­en Eigen­tumswoh­nun­gen, über­teuerten Miet­woh­nun­gen, Museen oder son­sti­gen Geschäften. Das einzige “öffentliche” Gebäude am Alten Markt ist der an Kitschigkeit nicht mehr zu über­bi­etende Land­tag. In diesem thro­nen wie schon zu Zeit­en der Kaiser die Erwählten über Pots­dam, offen­bar unwis­send, dass es kein unver­schämteres und anmaßen­deres Sym­bol par­la­men­tarisch­er Über­he­blichkeit gibt, als aus der Kopie eines Stadtschloss her­aus zu regieren.
Während wahre Demokrat_innen, wie Max Dor­tu schon vor mehr als 150 Jahren ver­sucht­en, diesem monar­chis­tis­chem Gemäuer mit Pflaster­steinen beizukom­men, war sich keine der Bran­den­burg­er Parteien zu dumm dazu, dieses Sym­bol abso­lutis­tis­ch­er Herrschaft 2014 wieder in Betrieb zu nehmen. Die gesellschaftlichen Kämpfe in Pots­dam wer­den weit­er gehen. Der Kampf um bezahlbare Mieten kann dabei nur ein Anfang sein. Soziale Gerechtigkeit inner­halb des Kap­i­talsver­hält­niss­es bleibt ein Oxy­moron, ein Wider­spruch in sich. Eine Stadt für alle kann es daher let­ztlich nur in ein­er Gesellschaft ohne Kap­i­tal­is­mus geben. Bis es soweit ist, müssen wir dem Sys­tem so viel wie möglich Freiräume abnöti­gen und dies gelingt vor allem mit Druck von der Straße. Auch wenn die lokale Presse und Poli­tik der Mei­n­ung sind, sie kön­nen fes­tle­gen, welche For­men des Wider­standes angemessen und legit­im erscheinen, behal­ten wir uns vor, das selb­st zu entschei­den. Zwangsräu­mungen gehören ver­hin­dert! Leer­ste­hen­der Wohn­raum oder öffentliche Gebäude gehören beset­zt! Kein Men­sch braucht die Gar­nisonkirche! Die Fra­gen, wem diese Stadt gehört, wird somit auch zukün­ftig eine Klassen­frage sein und wir wer­den sie klar zu beant­worten wis­sen: UNS ALLEN gehört die Stadt!

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