WIDERSTAND GEGEN MILITÄRÜBUNGSPLATZ
In Nordbrandenburg soll ein von den Sowjets angelegter Bombenabwurfplatz jetzt von der Bundeswehr benutzt werden — trotz vielfacher gegenteiliger Versicherungen. Die Bürgerinitiative “Freie Heide” organisiert den Widerstand — auch nach dem Vorbild einer BI in der Karibik
Die “Freie Heide” riskiert Haft
1.300 Menschen haben ihre Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam erklärt, falls die Bundeswehr einen
Bombenabwurfplatz nordwestlich Berlins betreibt
Es war ein Sommerfest mit politischem Anspruch am Wochenende bei Wittstock nordwestlich von Berlin, Schlusspunkt von Aktionstagen. 250 Menschen kamen trotz des regnerischen Wetters. Die Nordbrandenburger übten, wie man trotz einer Hundertschaft Bereitschaftspolizei auf einem Truppenübungsplatz zeltet oder wie man sich von Wipfel zu Wipfel seilt, um dort Transparente aufzuhängen. “Da kann man lange Zeit oben bleiben .”, sagt einer lächelnd.
Die “Sommeraktionstage” der Initiative “Freie Heide” richten sich gegen den geplanten Bombenabwurfplatz der Bundeswehr in der Kyritz-Ruppiner Heide. Mit seinen gut 140 Quadratkilometern wäre er der mit Abstand größte solche Truppenübungsplatz, gar der größte Luft-Boden-Schießplatz Europas.
Das Besondere an der Bewegung “Freie Heide” ist ihre Entschlossenheit. Über 1.300 Menschen, darunter 800 aus der Region, haben eine Erklärung unterschrieben und veröffentlicht: “Wenn die Bundeswehr das Gelände in Betrieb nimmt, werden wir auf den Platz gehen, um die Einsätze durch unsere Anwesenheit zu behindern”, heißt es da. Sollten die Unterzeichner diese Ankündigung verwirklichen, werden Strafanzeigen und Gerichtsverhandlungen folgen.
“Ich wohne und arbeite hier”, sagt dazu Ilse Strohschneider, Ärztin und Physiotherapeutin. “Was kann ich dann schon tun: entweder alles auf eine Karte setzen und den Abwurfplatz verhindern oder weggehen.”
Ein Vorbild der Initiative sind die Bewohner der karibischen US-Insel Vieques (siehe unten). Erst als sie den gewaltfreien Widerstand unter harschen persönlichen Konsequenzen riskierten, schloss die US-Marine dort ihren Bombenabwurfplatz.
Das Gebiet bei Wittstock hatte die sowjetische Armee 1952 zu einem Bombenabwurfplatz umgewidmet. Angesichts der schönen Natur samt ihren Seen dachte die Region nach der Wende an den Tourismus als einträglichen Erwerbszweig. Doch sie wurden von der deutschen Politik gründlich enttäuscht: Spitzenleute vieler Parteien sicherten vor Ort Unterstützung zu, ihre Organisationen unternahmen allerdings nichts Wirksames, um das Bombodrom zu verhindern.
Besonders toll trieb es die SPD. Ihre jeweiligen brandenburgischen Ministerpräsidenten sind offiziell gegen den Abwurfplatz. Rudolf Scharping, Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl 1994, verspricht ein Ende bei Regierungsübernahme, der heutige Verteidigungsminister Peter Struck sprach sich 1992 in einer Presserklärung der Bundestagfraktion gegen den Übungsplatz aus — ganz entlang der Beschlusslage des SPD-Sonderparteitags vom November 1992 zum Sofortprogramm bei einer eventuellen Regierungsübernahme. Darin heißt es unter Punkt 63: “Wir werden die Ausgaben für die Streitkräfte nachhaltig senken und überflüssige Rüstungsprojekte streichen sowie die militärischen Tiefflüge einstellen. Die bisherigen sowjetischen Truppenübungsplätze in Ostdeutschland, Wittstock und die Colbitz-Letzlinger Heide, werden wir stilllegen, sanieren und dem Naturschutz bzw. einer umweltverträglichen zivilen Nutzung zur Verfügung stellen.”
Die Bundeswehr unter Struck hält den Platz heute für “unverzichtbar”: zur Entlastung anderer Gelände und weil der “Einsatz von Flugzeugen im gesamten Einsatzspektrum” nach wie vor erforderlich sei. Dafür sind bei Wittstock 1.700 “Einsätze” pro Jahr geplant, mit jeweils mehreren Anflügen. Die Unterzeichner der Bombodrom-Erklärung nennen das “die Vorbereitung von Angriffskriegen” durch die Luftwaffenverbände der Nato. “Die von der Bundesregierung selbst unterzeichneten Bündnisverpflichtungen sind ihr wichtiger als das Recht auf Leben”, so gestern Andreas Will von der Initiative “Bomben nein — wir gehen rein”. “Die Region soll sich dem unterordnen. Aber man hat sich verkalkuliert.”
[ www.freieheide.de ]
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Modell Puerto Rico
Die Bewohner einer kleinen Insel bei Puerto Rico haben die US-Marine erfolgreich bekämpft
2003 war der Horror für die Bewohner der kleinen Insel Vieques endlich vorbei. 60 Jahre lang hatte das Eiland vor Puerto Rico der US-Marine als Bombenabwurfplatz, Manövergebiet und Munitionslager gedient. Unter anderen warfen die Marineflugzeuge Bomben mit Napalm oder mit Urangeschossen. Schießlich hatte der Protest der Einwohner Erfolg.
Die Marine enteignete ab 1941 drei Viertel des Landes, zerstörte die Zuckerrohr- und Kokosnussplantagen. Die gut 9.000 Einwohner leben auf einem schmalen Streifen in der Mitte der 134 Quadratkilometer großen subtropischen Insel. Der Westen und der Osten sind Sperrgebiet. Auch der Fischfang, die zweite Haupteinnahmequelle der Inselbewohner, wurde durch die Manöver und die Wasserverschmutzung sehr erschwert.
Immer wieder hatte es Proteste gegeben. Doch erst 1999, nachdem der Viequese David Sanes, der als ziviler Wachmann für die Marine arbeitete, durch einen Fehlabwurf getötet wurde, stand die Inselbevölkerung geschlossen hinter den gewaltfreien Demonstrationen. Die Aktionen wurden auch international unterstützt. Zu einer Demonstration im Februar 2000 in der Hauptstadt von Puerto Rico, San Juan, kamen 150.000 Menschen.
Als Reaktion auf den Widerstand verurteilten US-Gerichte die Protestierenden zu immer höheren Gefängnisstrafen. Bis heute sitzen noch AktivistInnen in US-Gefängnissen. Sie wurden wegen unerlaubten Betretens des Marinegeländes zu Gefängnis bis zu fünf Jahren verurteilt.
Im Mai 2003 trat die Marine schließlich ihr Land an die Naturschutzbehörde der USA ab. (Siehe Interview.)
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“Für mich war es ein Wunder”
Wie wurden die US-Bombenabwürfe auf der Insel Vieques schließlich gestoppt? Der unermüdliche Widerstand machte den Standort für die US-Truppen zu teuer. Zwei Frauen beschreiben den Weg zum Erfolg
taz: Wie lebt es sich an einem Bombenabwurfplatz?
Xana Conelly: Es waren so viele Bomben. Ich erinnere mich an eine Lehrerin: Sie stoppte jedes Mal den Unterricht, wenn wir etwas hörten. Es war konstant, bum, bum, bum.
Wie änderte sich der Widerstand nach dem Tod eines Inselbewohners auf Vieques durch den Fehlabwurf eines US-amerikanischen Bombers?
Conelly: Zwei Tage nach dem Tod von David stiegen etliche Fischer aus dem Ort und einige Jugendliche in ihre Boote und betraten vom Meer aus das Abwurfgebiet, wo der Unfall passiert war. Es waren auch viele Presseleute dabei. Sie wollten ein großes weißes Kreuz für David in der Nähe des Beobachtungspostens aufstellen, wo er getötet wurde. Der Plan war, das Kreuz als Symbol dort zu lassen und ins Dorf zurückzukehren. Aber einer der Männer sagte: Ich lasse das Kreuz nicht allein. Ich werde hier bleiben. Die anderen sagten: Du musst mit uns zurückkommen, die ganze Gegend ist verseucht. Doch der Mann blieb.
Was wollte er allein dort ausrichten?
Myrna Pagán: Als sie zurückkamen, sagte mein Sohn: Der Mann hat Recht. Wir können ihn dort nicht alleine lassen. Ich werde auch dorthin gehen.Und ein Sohn einer Fischerfamilie kam auch mit. Sie blieben auf dem Gelände. Dar
aufhin gingen immer mehr Menschen dorthin und blieben. Und die ganze Bevölkerung brachte ihnen Essen. Dieser Moment, als wir die Entscheidung getroffen haben: “Basta ya, es reicht”, gab den Menschen auf Vieques ihre Würde zurück.
Wie war die Reaktion der US-Marine auf die Proteste?
Pagán: Das ist für mich ein Wunder. Wenn sie gleich am ersten Tag gekommen wären und uns verhaftet hätten, dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Doch es dauerte ein Jahr, bis die US-Marine eingriff. Im Mai 2000 nahmen sie auf einen Schlag 200 Leute fest. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits mehr als 14 Camps innerhalb des Abwurfgebietes. Es gab ein Lehrercamp, Studentencamps, drei verschiedene Kirchencamps und eine ökumenische Kirche für alle. Und viele Menschen von der Hauptinsel kamen jedes Wochenende nach Vieques. Insgesamt wurden dann noch 1.500 Menschen verhaftet, viele saßen mehrere Jahre im Gefängnis.
Selbst während des laufenden Übungsbetriebes gingen Gegner auf das Gelände. War das nicht zu riskant?
Conelly: Da war auch sehr viel Glück dabei. Die Leute, die reingingen, haben immer große Tücher geschwenkt und ihr Kommen angekündigt. Aber es war auf jeden Fall immer sehr gefährlich.
Spielte für den schließlichen Erfolg die Unterstützung von puertoricanischen Politikern eine Rolle?
Pagán: Ja, ein wichtiger Punkt war auch, dass der Chef der Unabhängigkeitspartei sein Lager an einem Strand im Militärgebiet aufgeschlagen hat. Er blieb fast ein Jahr und eröffnete dort sein Büro, am Strand. Später baute auch die Partido Popular ein Haus vor dem Eingang der Marine. Wichtig war auch die Mitarbeit der Presse, auch aus Deutschland, Schweden oder Japan.
Mit welcher Begründung hat die Marine die Bombenabwürfe eingestellt?
Pagán: Weil es zu teuer war, all diese Leute durch die Bundesbehörden zu verhaften und all die Fälle vor Bundesgerichte zu bringen. Zudem schafften sie es nicht mehr, ihr gesamtes Gebiet umzäunt zu halten. Die Leute schnitten ständig die Zäune auf und gingen hinein. Das kostete zu viel Geld.
Was ist jetzt der Stand auf der Insel?
Pagán: Wir sagen: Der Kampf geht weiter. Wir haben 27 Prozent mehr Krebs, viele Fälle von Epilepsie, Herzproblemen, Diabetes, chronischen Atemswegserkrankungen und Asthma.
Conelly: Die Militärs wollen noch nicht mal zugeben, dass das ganze Gebiet kontaminiert ist.
Die Künstlerin MYRNA PAGÁN, 69, und ihre Tochter XANA CONELLY, 31, sind von Anfang an in der Widerstandsbewegung gegen den Bombenabwurfplatz auf Vieques aktiv gewesen. Sie sind auf der Insel aufgewachsen. Conelly arbeitet heute als Rechtsanwältin.