WITTSTOCK — Wittstock kommt nicht aus den Schlagzeilen heraus: Erst verlor ein Russlanddeutscher auf brutale Weise sein Leben, und jetzt wurde ein Anschlag auf ein türkisches Restaurant verübt. Vermutlich aus Rache verprügelten außerdem Spätaussiedler am vergangenen Wochenende zwei mutmaßliche Rechte. Zwei 17- und 18-Jährige erhielten daraufhin Haftbefehle, kamen aber gegen Auflagen auf freien Fuß.
Angst vor der “rechten Ecke”
“Die Aggressionen haben sich leider hochgeschaukelt und wir werden alles dafür tun, um die Situation zu entschärfen”, sagte Bürgermeister Lutz Scheidemann (FDP) gestern. “Wittstock darf aber nicht in die rechte Ecke gestellt werden”, warnte er.
Kaum hatte die Oranienburger Polizei am Montag die zwei Haftbefehle gegen zwei Russlanddeutsche vermeldet — sie sollen mit drei weiteren Aussiedlern in der Nacht zum Samstag an einer Tankstelle zwei einheimische Jugendliche geschlagen und getreten haben -, kam die nächste Hiobsbotschaft: Unbekannte hatten in der Nacht zum Sonntag mit faustgroßen Feldsteinen zwei Fensterscheiben eines türkischen Restaurants eingeschlagen und mit einer Bierflasche eine Wand beschädigt. “Ein ausländerfeindlicher Hintergrund ist nicht auszuschließen”, so Polizeisprecher Rudi Sonntag. Dem, der sich erinnerte, standen sofort wieder die Bilder vom Februar 1999 vor Augen: Damals schleuderte ein Schüler “aus blindwütigem Ausländerhass” — so später die Richter — wegen einer 50-Mark-Wette einen Brandsatz in einen Döner-Imbiss. Diese Verkaufsstelle ist laut Scheidemann jetzt nicht betroffen. Der Haupttäter von damals erhielt unter anderem wegen versuchten Mordes sechs Jahre Haft. Bei dem Anschlag wurde das Haus zerstört; ein Feuerwehrmann und ein türkischer Beschäftigter erlitten leichte Verletzungen.
Die aktuelle Serie von Vorfällen in der 12 500-Einwohner-Stadt begann am 4. Mai. Damals griffen drei inzwischen inhaftierte Jugendliche zwei Russlanddeutsche an und warfen unter anderem einen 15 Kilo schweren Feldstein auf eines der Opfer. Der 24-Jährige starb knapp drei Wochen später. “Sollte sich bestätigen, dass Fremdenfeindlichkeit das Motiv war, werden wir Anklage wegen Mordes erheben”, sagte Lolita Lodenkämper von der Staatsanwaltschaft Neuruppin. Wie sie sagt, sind die Verdächtigen nicht als Rechtsextremisten bekannt.
“In Wittstock kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen überwiegend rechten Jugendlichen und Spätaussiedlern”, erläutert Polizeisprecher Sonntag. Ganz bewusst sei deshalb dort im Januar die Polizei-Sonderkommission “Tomeg Nord” zur “täterorientierten” Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewalt ins Leben gerufen worden. Gemeinsam mit der “Tomeg” und der Kirche will Scheidemann durch Gespräche mit den Konfliktparteien deeskalierend eingreifen. “Ein runder Tisch mit allen Beteiligten wäre wünschenswert, aber dafür ist die Lage derzeit noch zu brisant.”
Initiative gegen Rechtsextremisten
Laut Bürgermeister gibt es in Wittstock etwa 50 bis 60 Anhänger und Sympathisanten der rechten Szene; die “Tomeg” geht von 25 Rechten, darunter 17 gewaltbereiten aus. “Die Mehrheit der Wittstocker steht aber entschieden gegen rechts auf”, sagt der Bürgermeister. So engagiert sich die Initiative “Für ein tolerantes Wittstock — Couragiert gegen rechts”. Am vergangenen Freitag organisierte sie einen Schweigemarsch zum Gedenken an den toten Russlanddeutschen.