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Antifaschismus

Wittstock/Dosse: Mehrheit auf Bürgerversammlung für Flüchtlinge / Asylgegner_innen kündigen Fackelmarsch an

Titelbild
Zu ein­er Bürg­erver­samm­lung zum The­ma „Unter­bringung von Flüchtlin­gen“ hat­te am Abend die Stadt Wittstock/Dosse und der Land­kreis Ost­prig­nitz-Rup­pin geladen. Die Ver­anstal­tung fand in der Stadthalle an der Ringstraße statt. Unge­fähr 250 Men­schen aus dem Stadt­ge­bi­et und der näheren Umge­bung von Witt­stock, darunter 30 Mit­glieder des Bünd­niss­es „Witt­stock beken­nt Farbe“, aber auch genau­so viele mut­maßliche Sym­pa­thisan­ten der Ini­tia­tiv­en „Asylflut in Witt­stock NEIN DANKE“ und „Asylpoli­tik in Witt­stock NEIN DANKE“, nah­men daran Teil.
In der anschließen­den Diskus­sion ergrif­f­en sowohl Flüchtlings­be­für­worter als auch Asylgegner_innen das Wort.
Bish­erige Kontroverse
Die Stadt Witt­stock hat im Zuge der momen­tan durch Krieg und Ver­fol­gung ansteigen­den Flüchtlingszahlen, ähn­lich wie andere Gemein­den im Land­kreis, Ver­ant­wor­tung über­nom­men und unge­fähr 45 Flüchtlinge aufgenom­men. Diese wur­den im so genan­nten „B3 – Cen­ter“ (Bett, Bike, Bowl­ing), östlich des his­torischen Stadtk­erns unterge­bracht. Obwohl dadurch, laut Stadt, wed­er der Betrieb des Cen­ters noch son­stige Beein­träch­ti­gun­gen im öffentlichen Leben oder sozialen Gefüge zu erwarten sind, zieht seit eini­gen Wochen eine Bürg­erini­tia­tive mit Namen „Asylflut in Witt­stock NEIN DANKE“ sowie seit neuesten eine Gruppe mit dem Arbeit­sti­tel „Asylpoli­tik in Witt­stock NEIN DANKE“ haupt­säch­lich im Social­me­dia-Bere­ich gegen diesen Akt der Men­schlichkeit zu Felde.
Am 8. Novem­ber 2014 führte die NPD zu dem eine Kundge­bung mit 100 Teilnehmer_innen auf dem Witt­stock­er Markt durch, bei der zum einen ein im näch­sten Jahr anste­hen­der Neon­azi­auf­marsch in Neu­rup­pin und zum anderen die Unter­bringung von Flüchtlin­gen in Witt­stock the­ma­tisiert wur­den. Im Rah­men dieser Ver­samm­lung wur­den auch Flug­blät­ter verteilt, die offen­bar ein bürg­er­lich­es Pub­likum ansprechen sollen, jedoch auch klar mit neon­azis­tis­ch­er Ter­mi­nolo­gie aus­gestal­tet wur­den. Auch der Inhalt ist mehrdeutig ver­fasst. Zum einen wird der Stadt, trotz ein­er umfassenden, im Netz nach­les­baren Pressemit­teilung vom 24. Okto­ber 2014, eine man­gel­nde Informierung der Bevölkerung zur Unter­bringung von Asyl­suchen­den vorge­wor­fen und zum zweit­en den Flüchtlin­gen sel­ber, ohne das bere­its nur ein einziger Fall vor Ort nachgewiesen wurde, „Asyl­be­trug“ unter­stellt. Ein Umstand der dem Straftatbe­stand der Volksver­het­zung schon sehr nahe kommt und ein Beispiel für die gefährliche, mitunter explo­sive Anspan­nung und Polar­isierung in der Stadt ist. Außer­dem heizt das neon­azis­tis­che Milieu durch Social­me­dia-Pro­pa­gan­da und die erk­lärte Unter­stützung eines geplanten „Fack­elspazier­gangs“ gegen die „Flüchtlingspoli­tik“ am kom­menden Sam­stag die Debat­te zusät­zlich an.
Die Ver­samm­lung
Stadt und Land­kreis hat­ten deshalb am heuti­gen Abend ab 18.30 Uhr zu einem Dia­log ein­ge­laden. Asyl­be­für­worter und Geg­n­er mobil­isierten eben­falls. Alle Parteien, ein­schließlich bekan­nter Vertreter des lokalen Neon­az­im­i­lieus, waren dann auch erschienen.
Zunächst leit­ete Bürg­er­meis­ter Jörg Gehrmann die Ver­anstal­tung mit der Vorstel­lung der Podi­ums­beisitzer von Stadt, Land­kreis und Polizei ein, erk­lärte die Spiel­regeln der Diskus­sion und betonte, dass Witt­stock für Tol­er­anz ste­ht. Anschließend über­gab er das Wort an eine Vertreterin des Land­kreis­es, die nun erst ein­mal einen all­ge­meinen Fak­tenüberblick zum The­ma Asyl ver­mit­telte. Dem­nach wird für das Jahr 2014 von 5.862 Flüchtlin­gen im gesamten Land Bran­den­burg aus­ge­gan­gen, die zunächst in Eisen­hüt­ten­stadt aufgenom­men und von dort auf die einzel­nen Stadt- und Land­kreise aufgeteilt wur­den. Im Land­kreis Ost­prig­nitz-Rup­pin gibt es derzeit eine dauer­hafte Unterkun­ft mit 208 reg­ulären Plätzen und 16 Not­fallplätzen in der Kreis­stadt Neu­rup­pin. Ab Mitte Dezem­ber wird eine weit­ere größere Unterkun­ft mit Platz für unge­fähr 100 Men­schen in Wusterhausen/Dosse dazukom­men. Außer­dem gibt es ein Wohn­ver­band von Flüchtlin­gen in Lenzke bei Fehrbellin sowie drei Notun­terkün­fte, darunter eine, das B3-Cen­ter, in Wittstock/Dosse. Hauptziel des Land­kreis­es ist jedoch die Asyl­suchen­den in Woh­nun­gen unterzubrin­gen, um damit eine bessere Inte­gra­tion zu ermöglichen. Dies­bezüglich wur­den bere­its auch vier Woh­nun­terkün­fte in Wittstock/Dosse angemietet.
Dann plöt­zlich ein Zwis­chen­ruf aus dem asy­lablehnen­den Lager. „Wurde über gefragt, ob wir die Flüchtlinge über­haupt wollen?“, ruft ein Mann mit poliert­er Glatze, Brille und einem Wolf­s­tat­too am Hals. Es ist der Bürg­er Sandy Lud­wig der sich da bemerk­bar macht. Er ist beken­nen­der Nazi und trat als Wort­führer der anwe­senden Asyl­geg­n­er auf. Bürg­er­meis­ter Gehrmann weißt ihn jedoch zu Recht. Er solle sich ordentlich ver­hal­ten und sich mit Namen vorstellen. Lud­wig gehorcht, lässt die Land­kreis­mi­tar­bei­t­erin ausre­den, stellt sich dann brav vor und for­muliert seine Frage erneut. Bürg­er­meis­ter Gehrmann, der in Punk­to Flüchtlingsauf­nahme die Stadtverord­neten hin­ter sich hat, lässt die Frage jedoch kalt und wiegelt den Glatzkopf ab. „Die Frage ent­behrt jede Antwort“, so der Herr im Rathaus.
Eine Bürg­erin nutzt jedoch die Gele­gen­heit nun und beken­nt: „Wir haben die Pflicht Men­schen auf der Flucht zu helfen. Uns geht es gut. Wir kön­nen helfen“. Applaus von Zwei­drit­teln der Zuhörer_innen im Saal. Weit­ere Beken­nt­nisse für die Flüchtlinge folgen.
Für diese Men­schen ste­ht eher die Frage im Vorder­grund: wie kann konkret geholfen wer­den? Ins­beson­dere das sprach­liche Aufeinan­derzuge­hen liegen ihnen offen­bar am Herzen. Dies­bezüglich ergreift der Bürg­er Schmidt, ein Schulleit­er, das Wort und weißt darauf hin, dass es ein Anrecht auf schulis­che Förderung auch für Asyl­suchende gäbe.
Anschließend meldet sich der Bürg­er M. Schu­mann aus den Rei­hen der Asyl­geg­n­er und fragt, wer dann, wenn die Flüchtlinge kämen, für die „Sicher­heit unser­er Kinder und Frauen“ sorgt. Gelächter und Buh-Rufe erfüllen den Saal. Offen­bar ent­behrt auch diese Frage jeglich­er Grund­lage. Doch der Polizeibeamte Weich­mut nutzt diese Gele­gen­heit, um den Stand­punkt der Polizei in der Kon­tro­verse darzustellen. So gab es im Jahr 2013 unge­fähr 8.000 Straftat­en im Land­kreis Ost­prig­nitz-Rup­pin bei denen 3.200 Tatverdächtige ermit­telt wur­den. 200 davon sollen Aus­län­der gewe­sen sein, also Gas­tar­beit­er, andere EU-Bürg­er, Reisende etc. Lediglich acht Straftat­en wur­den 2013 von Asyl­suchen­den began­gen und dies waren meis­tens Stre­it­igkeit­en untere­inan­der. Insofern sieht die Polizei kein beson­deres Sicher­heit­srisiko durch mehr Flüchtlinge und momen­tan sowieso nicht, da höch­stens zehn in Witt­stock leben.
Wohl aber beobachtet die Polizei die Kon­tro­verse um die Flüchtlinge und kündigt Präsenz zum geplanten „Fack­elspazier­gang“ der Asylgegner_innen an.
Auch die Mehrheit der zur Bürg­erver­samm­lung anwe­senden Wittstocker_innen sehen sich nicht durch steigende Flüchtlingszahlen bedro­ht. Sie applaudierten der Bürg­erin Borg, die dies offen­bar stel­lvertre­tend für den Großteil der Anwe­senden aussprach. Ein weit­er­er Bürg­er bekräftigte sog­ar, dass gerne noch mehr Flüchtlinge kom­men kön­nten. Schließlich sei auch der Land­kreis Ost­prig­nitz-Rup­pin von der Abwan­derung viel­er Men­schen betrof­fen. Der Zuzug von Flüchtlin­gen kön­nte so auch ein Garant sein, dass die vorhan­dene Infra­struk­tur erhal­ten bleibt und nicht noch mehr Men­schen dem Land­strich den Rück­en kehren.
Dann ver­sucht­en sich die Asylgegner_innen aber­mals durch die Wieder­gabe von „Gerücht­en“, Halb­wis­sen und Vorurteilen in Posi­tion zu brin­gen. Scheit­erten aber wieder, da ihnen offen­bar die Sachken­nt­nis zu den The­men fehlt und „Gerüchte eben kein Gericht“ sind, wie der Bürg­er­meis­ter ihnen zu ver­ste­hen gab.
Weit­ere Fra­gen fol­gen nicht. Die Mehrheit im Saal ist für die Auf­nahme von Flüchtlin­gen, die Asylgegner_innen ver­lassen frus­tri­ert den Saal.
Bürg­er­meis­ter Gehrmann resümiert: Witt­stock ist nicht nur tol­er­ant, son­dern auch bere­it sich um Flüchtlinge zu kümmern.
Näch­ste Runde: Fackelmarsch
Doch ganz so ein­fach scheint es nicht zu sein. Immer­hin mobil­isieren die Asylgegner_innen weit­er für ihren geplanten „Fack­elspazier­gang“ am Sam­stag. Ihre Social­me­dia-Präsenz „Asylflut in Witt­stock NEIN DANKE“ hat­te bis zur gestri­gen Abschal­tung sog­ar über 1.300 „Gefällt mir“-Angaben. Und auch in der Ersatz­gruppe „Asylpoli­tik in Witt­stock NEIN DANKE“ sind bere­its über 300 Mit­glieder. Ein Mod­er­a­tor fast den Abend bei der Bürg­erver­anstal­tung bere­its als Mis­ser­folg zusam­men und ver­traut nun um so mehr auf ein „Zeichen“ auf der Straße am kom­menden Samstag.
Tat­säch­lich fehlen auch der Stadt bish­er wirk­same Konzepte gegen die angemeldete Demon­stra­tion der Asylgegner_innen. Als Alter­na­tive soll der jährliche Wei­h­nacht­saufzug durch die Innen­stadt zeit­gle­ich stat­tfind­en und dem „Fack­elspazier­gang“ so zumin­d­est die Aufmerk­samkeit entziehen.
Konkrete Proteste hat hinge­gen die Ini­tia­tive „West­bran­den­burg Naz­ifrei“ auf dem alter­na­tiv­en Por­tal „Infori­ot“ angekündigt. Genaueres ste­ht aber offen­bar auch hier noch nicht fest.
weit­ere Fotos: hier

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