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(Anti-)Rassismus

Wo fängt Menschenwürde an?”

INFORIOT — Zwei Wochen lang wurde in der Europa-Uni­ver­sität Viad­ri­na in Frank­furt (Oder) die Ausstel­lung “Invis­i­ble Bor­ders” gezeigt, welche sich mit der gel­tenden Res­i­den­zpflicht für Flüchtlinge befasst. Die Abschlussver­anstal­tung des Begleit­pro­gramms am ver­gan­genen Mon­tag war eine Podi­ums­diskus­sion zu den The­men Res­i­den­zpflicht, Unter­bringung von Asyl­suchen­den sowie zum All­t­agsras­sis­mus in Frank­furt (Oder). Ein­ge­laden, gemein­sam und mit dem Pub­likum darüber zu sprechen, waren Paul Njoroge (Mit­glied des Migra­tions- und Inte­gra­tionsrates Bran­den­burg), Michel Garand(Ausländerbeauftragter der Stadt), Har­ald Glöde (Flüchtlingsrat Bran­den­burg,) Bet­ti­na For­tu­na­to (Mit­glied des Land­tages Bran­den­burg der Linken) sowie Janek Las­sau, ein Vertreter des Utopia e.V. Mod­eriert wurde die Abend­ver­anstal­tung, die etwa 30 Inter­essierte besucht­en, von Jörg Gleisen­stein, einem Stadtverord­neten der Grünen.

Auch wenn die ver­schiede­nen Vertreter_innen unter­schiedliche Aspek­te der bun­des­deutschen Asylge­set­zge­bung kri­tisch ansprachen, kamen sie immer wieder auf The­men zurück, die im Land­tag oder in der Stadt aktuell sind; so kreiste die Diskus­sion oft um die momen­tane Unter­bringung der Mehrheit der in Frank­furt leben­den Asyl­suchen­den im Flüchtling­sheim Seefichten.

Paul Njoroge, selb­st Bewohn­er des Heims, schilderte die Sit­u­a­tion vor Ort als nahezu unerträglich. Neben der fehlen­den Pri­vat­sphäre käme es immer wieder, auf Grund unter­schiedlich­er Herkun­ft der Bewohner_innen und der räum­lichen Nähe, zu Kon­flik­ten; eben­so sähen sich die Asyl­suchen­den ein­er ständi­gen Kon­trolle durch den ansäs­si­gen Sicher­heits­di­enst aus­ge­set­zt. Dazu biete das Leben im Heim und die damit ein­herge­hende Iso­la­tion keine Lebensper­spek­tive. Neben diesen Aspek­ten werde ihm das Leben in Frank­furt durch die Arbeit der Aus­län­der­be­hörde sowie alltägliche Anfein­dun­gen schw­er gemacht: “Diskri­m­inierung und Ras­sis­mus sind für mich und andere Asyl­be­wer­ber All­t­agser­fahrun­gen”, so Njoroge.

Der Aus­län­der­beauf­tragte Michel Garand sieht die Stadt in der Pflicht, die Spiel­räume, welche die Asylge­set­zge­bung der BRD hin­sichtlich der Unter­bringung von Asyl­suchen­den bietet, auszunutzen. Eine Unter­bringung im Heim sei keine Notwendigkeit, son­dern es fehle in der Stadt an einem entsprechen­den Kli­ma und am poli­tis­chen Willen, an dieser Lage etwas zu ändern. Dies erk­lärt auch, weshalb es bis jet­zt mehrmals miss­lang, einen Antrag zur Dezen­tral­isierung in der Stadtverord­neten­ver­samm­lung zu stellen und ein pos­i­tives Votum für diesen zu erhal­ten. Hier kam auch noch ein­mal der von Garand gegenüber der Stadtver­wal­tung erhobene Vor­wurf des “insti­tu­tionellen Ras­sis­mus” zur Sprache. Dieser hat­te ihm ein­er­seits eine Ermah­nung seit­ens der Dez­er­nen­ten­ber­atung einge­bracht, ander­er­seits sahen sich Frank­furter Bürger_innen per­sön­lich ange­grif­f­en. Garand stellte in der Diskus­sion erneut klar, dass mit insti­tu­tionellem Ras­sis­mus Vorgänge in Frank­furter Insti­tu­tio­nen, etwa der Stadtver­wal­tung, beze­ich­net wer­den, die der Benachteili­gung Asyl­suchen­der dienen, und es sich dabei nicht um per­sön­liche Vor­würfe des Ras­sis­mus handelt.

Auf Lan­desebene seien bezüglich der Res­i­den­zpflicht einige Fortschritte erzielt wor­den, resümierte die Land­tagsab­ge­ord­nete Bet­ti­na For­tu­na­to. Dass in weit­en Teilen Bran­den­burgs eine diskri­m­inierende Prax­is im Umgang mit Flüchtlin­gen an den Tag gelegt werde — etwa zu bemerken am noch beste­hen­den Gutschein­sys­tem, welch­es Asyl­suchen­den den Zugang zu Bargeld verun­möglicht, oder an des­o­lat­en Zustän­den von Unter­bringun­gen — sei ein Miss­stand, den es zu beseit­i­gen gelte. Dass es dazu an der konkreten Verän­derung selb­st inner­halb der rot-roten Regierung jedoch oft­mals fehlt, habe den Grund darin, dass — da äußert sich For­tu­na­to ganz realpoli­tisch — Asylpoli­tik nun ein­mal keine Wäh­ler­poli­tik sei.

Har­ald Glöde vom Bran­den­burg­er Flüchtlingsrat machte hin­ter vie­len Prob­le­men, mit welch­er sich die kom­mu­nale Flüchtlingspoli­tik kon­fron­tiert sieht, ein bun­desweit gel­tendes Sys­tem von Geset­zen und Maß­nah­men aus, die spätestens seit den 1980er Jahren der Bestre­bung dienen soll­ten, Nicht­deutsche gezielt zu diskri­m­inieren. Lan­desregierun­gen und kom­mu­nale Ver­wal­tun­gen hät­ten jedoch ver­schiedene Möglichkeit­en, Lück­en in diesem Sys­tem zu nutzen oder bes­timmte Regelun­gen zu Gun­sten der Asyl­suchen­den auszule­gen. Dass dies in den sel­tensten Fällen passiere — etwa bei der Unter­bringung -, hänge mit willkür­lichen Entschei­dung­sprozessen eben­so zusam­men wie mit einem Willen zur bewussten Diskriminierung.

An diese Stelle knüpfte auch der Vertreter des antifaschis­tis­chen und anti­ras­sis­tis­chen Vere­ins Utopia an: ein tief in der Gesellschaft ver­wurzel­ter Ras­sis­mus fände seinen Nieder­schlag natür­licher­weise in entsprechen­den Entschei­dung­sprozessen sowie Geset­zge­bun­gen. Dass Ent­fal­tungsmöglichkeit­en für Men­schen, die aus der Not her­aus nach Deutsch­land kom­men, kaum vorhan­den seien, wurde eben­so angeprangert wie man­gel­ndes Empathiev­er­mö­gen für deren Lebenssi­t­u­a­tion. “Wo fängt Men­schen­würde an?”, fragte er, wenn es um die Unter­bringung und soziale Betreu­ung von Men­schen gehe, deren Leben meist von Ver­fol­gung und Elend geprägt war, und deren Hoff­nun­gen auf eine Per­spek­tive in Deutsch­land ent­täuscht wur­den. Hier man­i­festiere sich auch ein Men­schen­bild, das Inte­gra­tion und Teil­habe nur jenen ermögliche, die der bun­des­deutschen Leitkul­tur zuträglich seien.
Was aus der Debat­te bleibt ist eine klare Forderung, die 79 noch in Seeficht­en wohnen­den Asybewerber_innen in Woh­nun­gen unterzubrin­gen und eine entsprechende Betreu­ung in Aus­sicht zu stellen. Aus rechtlich­er Sicht ste­ht ein­er Dezen­tral­isierung nichts im Wege — es fehlt allein am Willen. Eben­so trat immer wieder die Forderung zutage, alltägliche Diskri­m­inierung — in Form von ras­sis­tis­chen Belei­di­gun­gen und Tätlichkeit­en eben­so wie in der Ver­währung von Zugang zu Bildungs‑, Arbeits- und Kul­tur­ange­boten — stärk­er zu bekämpfen.

Vertreter_innen der Stadt waren nicht erschienen. Der zu der Podi­ums­diskus­sion ein­ge­ladene Ober­bürg­er­meis­ter Mar­tin Wilke hat­te sein Kom­men vorzeit­ig abge­sagt, jedoch seinen Beige­ord­neten Frank Dah­men abbestellt. Dieser war in der let­zten Woche nicht mehr zu erre­ichen gewe­sen. Es entste­ht bedauer­licher­weise der Ein­druck, dass maßge­bliche Verantwortungsträger_innen Frank­furts sich ein­er Diskus­sion der Flüchtling­sprob­lematik entziehen wollen.

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