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Wohl eher YOLO als Wohnung

INFORIOT — Die Woh­nung ist geräumt. Als gescheit­ert oder gar vor­bei kann die Aktion “YOLO oder Woh­nung?“ wohl den­noch nicht abge­tan wer­den. Nun hat­ten Unterstützer_innen eine Ver­anstal­tung mit dem The­ma „Mieten und Wohnen“ im Hof der Behlert­straße ini­ti­iert — dem Wohn­block in dem vor knapp zwei Wochen eine leer­ste­hende Woh­nung beset­zt wor­den war. Der Ein­ladung fol­gten etwa 20 inter­essierte Potsdamer_innen. Im Freien waren Stüh­le sowie ein Buf­fet mit Heißgetränken und Snacks aufge­baut. Obwohl die Beset­zung in der Lokal­presse the­ma­tisiert wurde, erschienen trotz Ankündi­gung keine Vertreter_innen der etablierten Presse zum Termin.

Eröffnet wurde die Ver­anstal­tung von einer_m Sprecher_in der Woh­nungs­be­set­zung. Es gehe nicht um das städtis­che Woh­nung­sun­ternehmen Pro Pots­dam oder speziell um die Behlert­straße, son­dern im All­ge­meinen um die Zustände in dieser Stadt, hieß es. Voraus­ge­gan­gen war der Beset­zung eine monate­lange erfol­glose Woh­nungssuche, die von merk­würdi­gen Ver­gabev­er­fahren und unbezahlbar hohen Mieten geprägt war. Gle­ichzeit­ig gibt es eine Fülle von leer­ste­hen­den Woh­nun­gen – ein Zus­tand, der kaum noch glaub­haft zu erk­lären ist.

Die Pressekon­ferenz wird zur Gesprächsrunde

Schon nach kurz­er Zeit entwick­elte sich die Kon­ferenz zu ein­er regen Unter­hal­tung und Aus­tausch unter den Besucher_innen. Angeprangert wurde vor allem der Ausverkauf von städtis­chem Eigen­tum. Strate­gis­ch­er Leer­stand, der Wohn­blöcke leichter verkauf­bar macht, müsse weit­er­hin scharf kri­tisiert werden.

In Pots­dam ist neu gebauter Wohn­raum für viele unbezahlbar. Niedrige Mieten in etwa unsanierten Woh­nun­gen sind kaum noch zu find­en. Längst haben sich Inter­es­sen­ge­mein­schaften in einzel­nen Wohn­blocks zusam­menge­fun­den, um gegen den Verkauf ihres Wohn­raums vorzuge­hen. Eine Per­son aus der Hei­desied­lung berichtete, dass allein dort 35 Woh­nun­gen leer stün­den. Seit Beginn ihres Engage­ments über­prüft der Hausver­wal­ter im 2‑Tages-Rhyth­mus all diese leeren Woh­nun­gen, wohl aus Angst vor ein­er Besetzung. 

Eine Stadt soll kein Wirtschaft­sraum sein, son­dern eine Lebenswelt.“

Auch eine Sprecherin des AStA der Uni­ver­sität Pots­dam meldete sich zu Wort. Nur 9,5% des Bedarfs an Wohn­raum für Studierende wird durch Wohn­heime gedeckt, min­destens 70% der Pots­damer Studieren­den leben in Berlin.
Die Prob­leme hier ergänzen oder deck­en sich mit denen, der städtis­chen Wohn­raum­si­t­u­a­tion im All­ge­meinen. Die Tat­sache, dass das Wohn­heim am Neuen Palais um mehrere Eta­gen gekürzt wer­den soll, um Sich­tach­sen für die Preußen-Stadt wieder herzustellen, bedür­fen keines weit­eren Kom­men­tars. Wo das Land keine Wohn­heime mehr finanziert, übernehmen pri­vate Investor_innen den Bau. In Zahlen heißt das nicht sel­ten: 400€ für eine Studieren­den­woh­nung mit 20m² und Wartezeit von etwa einem Jahr. Fra­gen aus der Runde danach, wie viele Studierende momen­tan verdeckt obdach­los leben, kon­nte die Sprecherin des AStA nicht beant­worten; Erhe­bun­gen seien lei­der nicht möglich.

Das Prob­lem heißt: Kapitalismus.

Die Pro Pots­dam als städtis­ches Unternehmen trägt diverse Kosten im Inter­esse des Ver­wal­tungsap­pa­rates und der schö­nen” Pots­damer Mitte, wie z.B. aktuell 6 Mio. Euro für den Bau der alten Post oder jährlich ca. 2 Mio. Euro für den Aus­bau des Luftschiffhafens. All dies wird über Mieten refi­nanziert. Regelmäßig verkün­den Sprecher_innen der Pro Pots­dam das Geld fehle zur Lösung des Mieten­prob­lems. Der Pro Pots­dam gegenüber ste­hen diverse pri­vate Investor_innen. Sem­mel­hack beispiel­sweise „begleit­ete“ schon in Ham­burg die Stad­ten­twick­lun­gen, die heute in Pots­dam zu beobacht­en sind.

Am Ende stand die Frage nach dem „Was tun?“ und die Sys­tem­frage: Warum ist das Grun­drecht Wohn­raum über­haupt wirtschaftlich? 

Es ist schw­er, ein Zeichen zu set­zen, hieß es von ein­er Besucherin. Seit Jahren gibt es Demon­stra­tio­nen mit der Forderung nach bezahlbaren Wohn­raum in Pots­dam und markante Einze­lak­tio­nen, wie die Beset­zung eines Haus­es in der Stift­straße 2011 oder jet­zt diese Woh­nungs­be­set­zung. Lei­der bleiben diese Bemühun­gen meist im Kon­text der linksalter­na­tiv­en Szene. Es ist schw­er, die Masse von betrof­fe­nen Bürger_innen zu erre­ichen. Die einzige Chance — so waren sich die Teilnehmer_innen einig — beste­ht darin, öffentlichen Druck aufrecht zu erhal­ten und weit­er­hin die Aufmerk­samkeit auf die prekäre Wohn­raum­si­t­u­a­tion zu lenken.

Den Blog „YOLO oder Woh­nung?“ werde es weit­er geben, hieß es. Für Aus­tausch und als Plat­tform für eventuelle weit­ere Aktionen.

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