Ein belastbares Konzept zur Schaffung bzw. zum Erhalt von sogenanntem bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist eigentlich Aufgabe städtischer Politik. Potsdam steht vor dem Problem, dass durch den starken Zuzug der Wohnungsmarkt derart angespannt ist, dass seit Jahren die Mieten steigen, ohne dass es dafür Grenzen gibt, der Markt bestimmt die Preisentwicklung. Instrumente wie Mietspiegel oder Mietpreisbremsen haben sich im Kampf um günstigen Wohnraum als kontraproduktiv erwiesen und inzwischen muss man froh sein, wenn man im Stadt gebiet eine Wohnung unter 10€ pro Quadratmeter kalt findet. Als sich vor einigen Jahr en aufgrund der beständig steigenden Mieten in Potsdam Protest regte, lud die Stadt Potsdam im Sommer 2014 unter großem Brimborium
verschiedene örtliche „Akteure“ zu einem langen Pro zess der Bürgerbeteiligung ein, an dessen Ende die Verabschiedung des gemeinsam erarbeiteten „Wohnungspolitischen Konzeptes“ stand. Nach einem Jahr mit mehreren moderierten Diskussionsrund en wurde es im Oktober 2015 verabschiedet – und hat seither kaum einen Einfluss auf die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt, weil nicht einmal die Stadt selber es für nötig hält, sich an
die dort formulierten sozialen Standards zu halten.
Auch ein Blick in die sonstige wohnungspolitische Praxis der Stadt lässt einen sozialen Anspruch vermissen: Die Stadtväter und –mütter wollen sich um jeden Preis die Mitte von privaten Investoren nach historischem Beispiel durchsanieren lassen und geben dabei Prestigebauten vor günstigem Wohnraum den Vorzug. Und die ProPotsdam GmbH agiert vorrangig nach profitorientierten und nicht nach sozialen Kriterien. Beispiele hierfür gibt es viele. Während das Grundstück für den Neubau der Garnisonkirche seinerzeit verschenkt wurde und die Stadt trotz eines erfolgre ichen Bürgerbegehrens bereit ist, mehrstellige Millionenbeträge für den Kauf und Abriss des Mercure und der alten Fachhochschule auszugeben, ist auf der anderen Seite angeblich kein Geld da, um den noch in den Händen der Stadt verbliebenen günstigen Wohnraum zu halten. Seit Jahren verkauft die ProPotsdam GmbH Altbauten aus ihrem Bestand, wo die Mieten unterdurchschnittlich sind und Sanierungen anstehen, und finanziert damit hochpreisige Neubauten, die für die alte Bewohnerschaft nicht erschwinglich sind. Da diese Verkäufe stets nach dem Meistbietendenverfahren erfolgen, haben nur die finanzstärksten Player auf dem Wohnungsmarkt die Chance, sie zu ersteigern. Nach den Sanierungen steigern dann die Wohnungspreise bis zum Erreichen des Mietspiegels und vollenden damit die von der Stadt vorbereitete Politik der Verdrängung.
Wir, die Bewohner_innen der Tuchmacherstraße 8, sind derzeit akut von dieser Politik betroffen und von rapide steigenden Mieten bedroht. Das Haus in der Tuchmacherstraße 8 ist ein unsanierter Altbau, die Mieten deutlich unter dem Babelsberger Mietspiegel. Deshalb hat die ProPotsdam GmbH es zum Verkauf ausgeschrieben, Ende des Monats soll es unter den Hammer kommen. Die Initiative „Freunde der Tuchmacherstraße“: Aufruf zur Demo am 29.10.16, 14 Uhr am Lustgarten Transparente gegen den Verkauf mussten wir unter Androhung von Strafe abnehmen, und unsere sonstigen Protestversuche blieben leider ohne Erfolg. Mitte Oktober trugen wir dem Hauptausschuss vor, dass wir das Haus über eine bekannte Genossenschaft selbst kaufen und so wenigstens weiterhin bezahlbare Mieten garantieren wollten. Da wir nicht zum Höchstgebot kaufen können, wurden wir aber abgewiesen. Dass im Wohnungspolitischen Konzept für Potsdam steht, es sei im Interesse der Stadt, Häuser zum Erhalt bezahlbarer Mieten vorrangig an sozial verantwortliche Neueigentümer zu vermitteln, interessiert dort niemanden mehr. Das Dogma heißt „Höchstgebot“ und Verkauf Ende Oktober, und da können wir auf dem Potsdamer Immobilienmarkt logischerweise nicht mithalten.
Aber nicht nur wir fürchten um unsere Wohnungen. Wie uns geht es vielen, z. B. den Bewohnerinnen des Staudenhofs. Dort will die Stadt 184 Wohnungen mit langfristig günstigen Mieten abreißen und das Areal zusammen mit dem Grundstück der Fachhochs chule verkaufen. Die privaten Investoren, die dort Neubauten errichten wollen, wären lediglich ein paar Jahre an Mietobergrenzen gebunden – danach stünde ihnen jede Preissteigerung offen und die Stadt hätte keine Möglichkeit der Einflussnahme mehr. So wie mit dem Gebäude des Alten Landtags auf dem Brauhausberg. Auch den hatte die Stadt an einen Investor verkauft und war kurz darauf gezwungen, ihn selbst für mehr als den Kaufpreis als Unterkunft für Geflüchtete wieder anzumieten. Ein irrwitziges Minusgeschäft! Seit letztem Winter leben dort knapp 500 Menschen unter der Maßgabe, dass vier Erwachsene sich ein 20 m 2‑Zimmer teilen müssen.
Doch wenigstens haben die Leute auf dem Brauhausberg ein festes Dach über dem Kopf. Andere müssen in Containern oder Leichtbauhallen leben. Diese sind aufgrund der schlechten Isolierung und Infrastruktur sehr teuer und bieten kaum Privatsphäre. Das Projekt „Make Space“ ist eine Initiative des Freiland e.V. und der FH Potsdam, das versucht die Wohnsituation für Geflüchtete zu verbessern und diese menschenunwürdigen Unterbringungen durch günstigere, energieeffiziente Häuser in Holzbauweise zu ersetzen. Die Stadt stellt dem Projekt aber keine geeigneten Flächen zur Verfügung und hält lieber an den Leichtbauhallen fest. Die Liste ließe sich fortsetzen.
In einigen Fällen versuchten die Mieter_innen, der unsozialen Stadtpolitik etwas entgegenzusetzen und hatten damit teilweise Erfolg. In der Heidesiedlung konnten die Bewohner_innen zum Preis einer teilweisen Mietsteigerung den Ausverkauf ihrer Häuser verhindern. Auch im Behlert-Karree konnten wenigstens einige Wohnungen auf KdU-verträglichem Niveau gehalten werden, auch wenn ein anderer Teil saniert zu Mietspiegelpreisen neu vermietet wird. Im Musikerviertel ging die Stadt nach wochenlangem öffentlichen Protest auf eine sozialverträgliche Mieterprivatisierung ein. Wir wollen an diese guten Beispiele anknüpfen!
Initiative „Freunde der Tuchmacherstraße“: Aufruf zur Demo am 29.10.16, 14 Uhr am Lustgarten
• Solidarität mit allen von Mietsteigerungen und Wohnungsverlust bedrohten Potsdamer_innen!
• Für wirksame Instrumente im Kampf um bezahlbare Mieten!
• Für die Einhaltung des Sozialen Auftrags der Stadtpolitik, d.h. mindestens die Umsetzung des eigenen Wohnungspolitischen Konzeptes!
• Gegen Ausverkauf und Abriss günstiger Mietwohnungen aus den Beständen der Stadt — und
• Im Fall der Tuchmacherstraße: Wenn Verkauf, dann an die Bewohner_innen und nicht zum Höchstgebot!
Wir fordern von der Stadt eine Abkehr vom Meistbiet endenverfahren und die Aufnahme von Kaufverhandlungen mit uns unterhalb des Höchstgebots. Dafür brauchen wir Zeit! Und Eure Solidarität. Danke! Wohnen ist ein Menschenrecht und kein Luxus!
Infos:
Die Demo beginnt am Samstag den 29.10.2016 um 14 Uhr. Treffpunkt ist der Lustgarten gegenüber vom Filmmuseum in der Breiten Str. Sie soll über die Friedrich-Ebert-Str., mit einer Zwischenkundgebung am Platz der Einheit, bis zum
Stadthaus führen, wo die Schlusskundgebung stattfinden wird. Ende ca. 16 Uhr
Flyer: http://tuchmacher.pilotton.com/wp-content/uploads/2016/08/Demo_Flyer_29.10.16.pdf
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