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Zone der Angst


Auch wenn keine recht­sex­tremen Organ­i­sa­tio­nen vorhan­den sind, kann ein rechter Kon­sens beste­hen. Das zeigt eine Studie am Beispiel Oranienburg.

(Jun­gle World, 30.4.2003, von Jens Thomas Oranien­burg muss ein­fach schön sein: Gelangt man auf die Home­page des Städtchens im Land­kreis Ober­hav­el mit seinen 30 000 Ein­wohn­ern, wird man mit einem fre­undlichen »Willkom­men in Oranien­burg« begrüßt und zum Besuch ein­ge­laden. Ange­priesen wird die »reizvolle Lage in der urwüch­si­gen Märkischen Land­schaft mit zahlre­ichen Seen und Flüssen, ins­beson­dere der Lage am west­lichen Ufer des Lehnitzsees«. 

Die Home­page ver­rät jedoch nicht, welche gesellschaftlichen Prob­leme der Recht­sex­trem­is­mus in der idyl­lis­chen Kle­in­stadt mit sich bringt. Um dieser Frage nachzuge­hen, fand sich im ver­gan­genen Jahr eine Forschungs­gruppe von Stu­den­ten der FU Berlin unter Leitung des Poli­tikpro­fes­sors Hajo Funke zusam­men. In ein­er ein­jähri­gen Studie sollte das Phänomen des Recht­sex­trem­is­mus durch Inter­views unter­sucht wer­den. »Wir woll­ten die Men­schen in dieser Region auf recht­sex­treme Ten­den­zen aufmerk­sam machen und zu Diskus­sio­nen anre­gen«, sagt Ingo Gras­torf, ein Sozi­olo­gi­es­tu­dent. Denn recht­sex­treme Ein­stel­lun­gen sind in Oranien­burg weit­er­hin vorhan­den und bergen eine akute Gefahr. 

Zwar ist der offen aus­ge­tra­gene, gewalt­tätige Straßenkrawall recht­sex­tremer Jugend­grup­pen im Ver­gle­ich zu den Jahren 1992/93 etwas schwäch­er gewor­den, dafür aber herrscht ein mehr oder min­der rechter Kon­sens, in den sich rechte Jugendliche stillschweigend eingliedern können.
Unter­suchen wollte man ins­beson­dere den Recht­sex­trem­is­mus als All­t­agskul­tur und das Han­deln auf kom­mu­naler Ebene und in den Ver­wal­tungsap­pa­rat­en. Die Erhe­bung baut auf Forschungsergeb­nis­sen auf, die 1998 in dem Buch »Wir wollen uns nicht daran gewöh­nen« von Markus Kem­per, Har­ald Kli­er und Hajo Funke dargestellt sind. Damals sollte Frem­den­feindlichkeit in Oranien­burg unter­sucht und der Bürg­er dazu ermutigt wer­den, den recht­en Kon­sens nicht hinzunehmen. Das aktuelle Ergeb­nis lautet: »Man nimmt ihn sehr wohl hin und hat sich an eine All­t­agskul­tur mit recht­en Vorze­ichen gewöh­nt«, sagt Ralph Gabriel, ein päd­a­gogis­ch­er Betreuer der Gedenkstätte Sach­sen­hausen und Mitini­tia­tor der Studie. 

Wie viele andere Ost­städtchen wurde Oranien­burg nach 1989 von einem Recht­sruck erfasst. 1992 hat­te die offene recht­sex­treme Gewalt mit bun­desweit etwa 2 700 Über­grif­f­en ihren Höhep­unkt. Knapp 900 wur­den in dieser Zeit allein in Ost­deutsch­land verübt – bei einem Bevölkerungsan­teil von einem Fün­f­tel und einem Migran­tenan­teil von weniger als zwei Prozent, wie Analy­sen des Recht­sex­trem­is­mus­forsch­ers Richard Stöss belegen. 

Auch in Oranien­burg kam es nach dem Mauer­fall zu zahlre­ichen recht­sex­tremen Gewalt­tat­en. So wurde ein Mann von recht­en Jugendlichen tot­geschla­gen und ein Bran­dan­schlag auf die Gedenkstätte Sach­sen­hausen verübt. »Eine selb­st ernan­nte Bürg­er­wehr fing sog­ar Gedenkstät­tenbe­such­er am Bahn­hof ab und ver­langte ihre Ausweise«, berichtet Gabriel. Diese For­men der Gewalt seien zwar sel­tener gewor­den, von Ent­war­nung könne aber nicht gesprochen wer­den. Im Jahre 2002 gab es im Land­kreis Ober­hav­el nach Polizeiangaben 83 recht­sex­treme Straftat­en. Im Ver­gle­ich zu den Vor­jahren hat die Gewalt wieder zugenom­men, im Ver­gle­ich zur Nach­wen­dezeit ist sie den­noch wesentlich geringer. »Die Empfind­ung der Zivil­bevölkerung gegenüber der Gewalt hat sich aber rel­a­tiviert. Das Gewalt­prob­lem wird heute stillschweigend akzep­tiert«, sagt Gabriel. Zwar erkenne man die Prob­leme, weise sie aber schnell von sich. In den umliegen­den Orten Hen­nings­dorf und Witt­stock sei es doch schlim­mer, heiße es dann. 

Lisa Wandt, Poli­tolo­gi­es­tu­dentin und Mitar­bei­t­erin der Studie, sieht die Ursache für das Wegschieben des Prob­lems vor allem darin, dass man das Bild der Gemeinde wahren wolle: »Die Stadt will sich im pos­i­tiv­en Licht darstellen.« Und Ingo Gras­torf macht darauf aufmerk­sam, dass rechte Gesin­nun­gen heute nicht immer sofort zu erken­nen seien. »In den heuti­gen Biografien kön­nen ver­schieden­ste, eigentlich eher unvere­in­bare Stilele­mente kom­biniert wer­den. So beze­ich­nen sich Jugendliche als Hip-Hop­per, haben aber latent recht­sex­treme Ein­stel­lun­gen.« Damit bekräftigt die Studie, was Bernd Wag­n­er vom Zen­trum Demokratis­che Kul­tur (ZDK) schon vor Jahren in seinen Unter­suchun­gen fest­stellte: Von ein­er Ran­der­schei­n­ung des Recht­sex­trem­is­mus kann in den neuen Bun­deslän­dern nicht die Rede sein. Vielmehr gebe es eine rechts kodierte kul­turelle Hege­monie, in der sämtliche Stile »koex­istieren« können.
Diese kul­turelle Hege­monie, eine Dom­i­nanz recht­sex­tremer Werte, find­et die Forschungs­gruppe in sämtlichen Bere­ichen. So schöpften die Ver­wal­tun­gen, die Polizei und der Stad­trat ihre Möglichkeit­en, gegen rechte Aktiv­itäten und Gewalt vorzuge­hen, längst nicht aus. 

Dabei sei der Organ­i­sa­tion­s­grad ziem­lich schwach. So gebe es beispiel­sweise keine »Kam­er­ad­schaft« in Oranien­burg, von denen laut Ver­fas­sungss­chutzbericht aus dem Jahr 2000 bun­desweit etwa 150 existierten. Auch habe die NPD keine örtliche Jugen­dor­gan­i­sa­tion, und ein rechter Jugend­club sei nicht vorhan­den. Da tre­ffe man sich also in Gast­stät­ten oder im Schloss­park, meint Gabriel. 

»Die Struk­turen in der Region sind eher informell«, sagt er weit­er. Gute Verbindun­gen zu den Kam­er­ad­schaften in Witt­stock gebe es den­noch. Auf­grund der schwachen Organ­i­sa­tion­sstruk­turen könne man auch nicht von »nation­al befre­it­en Zonen« im Sinne des Strate­giepa­piers des Nation­aldemokratis­chen Hochschul­bun­des (NHB) von 1991 sprechen. Ziel dieses Konzepts sei die »Etablierung ein­er Gegen­macht« durch die Recht­sex­tremen. »Diese Strate­gie set­zt jedoch einen hohen Organ­i­sa­tion­s­grad voraus«, sagt Gras­torf. Darum sei es bess­er, in Oranien­burg von »Zonen der Angst« zu sprechen. So ist nach Ansicht der Forsch­er die Sied­lung Leege­bruch, die für die Heinkel­w­erke gebaut wurde, für fremd Ausse­hende und poli­tis­che Geg­n­er in den Abend­stun­den sehr gefährlich. Auch am »weißen Strand« am Lehnitzsee oder im Bahn­hofsvier­tel dominierten rechte Gruppen. 

Zwar gibt es auch Protest gegen den recht­en Kon­sens. Das »Forum gegen Ras­sis­mus und rechte Gewalt« oder die »AG gegen Rechts«, eine Ini­tia­tive am Runge-Gym­na­si­um, ver­suchen, Pro­jek­te gegen Rechts zu insze­nieren und an den Schulen aufzuk­lären. »Doch diese Ini­tia­tiv­en kön­nen an ein­er Hand abgezählt wer­den«, stellt Gras­torf fest. Auch hät­ten sie einen schw­eren Stand inmit­ten eines recht­en Kli­mas. Und daran wird wohl die nette Home­page der Stadt nichts ändern, auch wenn die Lage am west­lichen Ufer des Lehnitzsees noch so schön sein mag. 

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