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Flucht & Migration

Zustimmung zum Asylpaket II und Gesetzentwurf „Sicherer Maghreb“ verweigern!

Flüchtlingsrat Bran­den­burg appel­liert an die Lan­desregierung und bran­den­bur­gis­che Bun­destagsab­ge­ord­nete: Zus­tim­mung zum Asyl­paket II und Geset­zen­twurf „Sicher­er Maghreb“ verweigern!
In diesen Tagen erre­ichen uns zahlre­iche Nach­fra­gen von besorgten Flüchtlin­gen sowie von Mitwirk­enden in Willkom­mensini­tia­tiv­en und Beratungsstellen. Grund sind regelmäßig die bekan­nt gewor­de­nen Inhalte des geplanten Asyl­pakets II. Poli­tis­che und bun­desmin­is­terielle, von allzu vie­len Medi­en bisweilen kri­tik­los mul­ti­plizierte Stel­lung­nah­men machen zunehmend den Ein­druck, die Beteiligten befän­den sich in einem Wet­tren­nen bei der öffentlichen Pro­fil­ierung um die restrik­tivste Aus­gestal­tung kün­ftiger Flüchtlingspolitik.
Für­den Flüchtlingsrat Bran­den­burg stellen die im ver­gan­genen Jahr und derzeit im Entwurf des Asyl­pakets II eskalieren­den recht­spoli­tis­chen Ini­tia­tiv­en der Bun­desregierung aus­ge­sprochen frag­würdi­ge Ver­suche dar, Mit­marschierende bei Pegi­da und anderen Aufläufen poli­tisch wieder ein­fan­gen zu wollen. Im Ergeb­nis wer­den darüber Forderun­gen der AFD nach einem Schießbe­fehl gegen Schutz­suchende nur gestärkt.
Mit Sym­bol­poli­tik kön­nen unseres Eracht­ens die demokratis­chen Parteien den Wet­t­lauf um die Gun­st der ras­sis­tis­chen und men­schen­ver­ach­t­en­den Teile unter den Wäh­lerin­nen und Wäh­lern nur ver­lieren. Umso wichtiger erscheint es uns, dass die ein­er demokratis­chen Vielfalt und den Men­schen- und Grun­drecht­en verpflichteten Man­dat­strägerIn­nen in den
Par­la­menten eben­so wie Entschei­dungsträgerIn­nen in Regierungsstellen auf dem Tep­pich des poli­tisch Ver­ant­wort­baren bleiben und dem pop­ulis­tis­chen Trends eher ihre entsch­iedene human­itäre Überzeu­gung und recht­spoli­tis­che sowie ver­wal­tungsamtliche Seriosität entgegenstellen.
Als aktuell­stes Beispiel pop­ulis­tis­ch­er Sym­bol­poli­tik mag die am 5. Feb­ru­ar 2016 von Bun­desin­nen­min­is­ter Thomas de Maiz­ière an die Bun­deslän­der ergan­gene Auf­forderung ste­hen — qua­si ‚husch husch‘ — noch im laufend­en Monat ein Flugzeug voller Flüchtlinge nach Afghanistan auf den Weg zu brin­gen. Dieses Vorge­hen mag auf den Applaus solch­er von Ressen­ti­ments Getrieben­er in der Bevölkerung gemünzt sein, wird aber wed­er der dif­feren­zierten Beschlus­slage der IMK noch den kom­plex­en, auch bezüglich ihrer Aus­reisepflicht pflicht­gemäß zu prüfend­en Einzelfall­si­t­u­a­tio­nen betrof­fen­er afghanis­ch­er Flüchtlinge gerecht.
Es geht aus Sicht des Flüchtlingsrates mit­nicht­en um Gesin­nungspoli­tik. Eine großzügige Auf­nahme und engagierte Inte­gra­tions­förderung für Flüchtlinge liegt im ure­ige­nen Inter­esse aller im Ein­wan­derungs­land Deutschland.
Mit unser­er sowohl im Prinzip wie auch im Detail kri­tis­chen Beurteilung der geplanten Geset­ze und ihrer Kon­se­quen­zen ste­hen wir nicht allein.
„Die neuen beschle­u­nigten Ver­fahren gefährden mas­siv die Men­schen­rechte von Flüchtlin­gen“, sagt Selmin Çal??kan, Gen­er­alsekretärin von Amnesty Inter­na­tion­al in Deutsch­land. „Anstatt zu gewährleis­ten, dass Asy­lanträge ein­fach schneller bear­beit­et wer­den, was ger­ade für die Betrof­fe­nen wichtig ist, wer­den die Ver­fahren ver­schlechtert. Der
Zeit­druck auf die Sach­bear­beit­er wird erhöht, und die indi­vidu­ellen Gründe für Flucht und Asyl kön­nen kaum noch geprüft werden.“
Bei den Schnel­lver­fahren gel­ten extrem kurze Fris­ten. Ins­beson­dere Flüchtlinge ohne Papiere wer­den diesen Ver­fahren unter­wor­fen, weil ihnen eine man­gel­nde Mitwirkungs­bere­itschaft im Asylver­fahren unter­stelltwird. Damit wird das Schnel­lver­fahren zum Stan­dard­ver­fahren. PRO-ASYL-Geschäfts­führer Gün­ter Burkhardt warnt: „Es darf keine rechtss­chutzfreien Räume geben, Schnell-Ablehnun­gen dür­fen nicht zum Stan­dard werden.“
In den “beson­deren Auf­nah­mezen­tren” ist keine kosten­lose Rechts­ber­atung vorge­se­hen. Faire Asylver­fahren und die Kor­rek­tur von Fehlentschei­dun­gen durch die Arbeit von Recht­san­wäl­ten sowie Gericht­en wer­den kaum noch möglich sein. „Um der Rechtsweg­garantie des Grundge­set­zes zu entsprechen, ist es erforder­lich, dass jed­er Flüchtling in jedem Sta­di­um des Ver­fahrens die Möglichkeit hat, sich anwaltlich berat­en und vertreten zu lassen“, sagt Recht­san­wältin Gisela Sei­dler, Vor­sitzende des Auss­chuss­es Aus­län­der- und Asyl­recht des Deutschen Anwaltsvere­ins. „Deshalb ist es erforder­lich, neue Mod­elle der Finanzierung der anwaltlichen Beratung zu find­en.“ Wegen des jüngst eingeführten
Sach­leis­tung­sprinzips ver­fü­gen viele Asyl­suchende gar nicht über die finanziellen Mit­tel, um einen Recht­san­walt zu beauftragen.
Selb­st Men­schen, die krank oder durch Erleb­nisse in ihrem Herkun­ft­s­land schw­er trau­ma­tisiert sind, kön­nen mit dem neuen Gesetz leichter abgeschoben wer­den. Der Geset­zen­twurf sieht vor, dass von Geset­zes wegen eine Ver­mu­tung beste­ht, „dass der Abschiebung gesund­heitliche Gründe nicht ent­ge­gen­ste­hen“. Reichen Kranke ein ärztlich­es Attest nicht unverzüglich ein, bleibt dieses unberück­sichtigt. Atteste von Psy­chother­a­peuten sollen nicht aus­re­ichen, obwohl hier eine beson­dere Exper­tise in der Traum­abehand­lung und ‑diag­nose beste­ht. „Die Regierung gefährdet so das Leben und die Gesund­heit der Betrof­fe­nen”, kri­tisiert Burkhardt.
„Anstatt psy­chis­che Erkrankun­gen mit hoher Sorgfalt und von Fach­leuten begutacht­en zu lassen, wälzt die Bun­desregierung die eigene Über­forderung auf die Schul­tern trau­ma­tisiert­er Geflüchteter ab, verkürzt die Zeit für die Ein­hol­ung von Gutacht­en und erwehrt sich kün­ftig schon präven­tiv jeglichem psy­chol­o­gis­chen und psy­chother­a­peutis­chen Sachver­stand“, hat­te auch die Bun­desweite Arbeits­ge­mein­schaft der Psy­chosozialen Zen­tren für Flüchtlinge und Folteropfer erklärt.
Das Deutsche Insti­tut für Men­schen­rechte (DIM) bemän­gelt, dass in den geplanten Asyl-Schnel­lver­fahren wed­er Grund­sätze der Rechtsstaatlichkeit noch die euro­parechtlich geforderte Rück­sicht­nahme auf Men­schen mit beson­derem Schutzbe­darf wie psy­chisch belastete Flüchtlinge, Kinder oder ältere Men­schen, hin­re­ichend gesichert scheinen. Auch dass die geplanten Regelun­gen zur Mis­sach­tung von Arz­tat­testen vor Abschiebun­gen das Risiko grund- und men­schen­rechtswidriger Aufen­thalts­beendi­gun­gen mit sich brächt­en und die daran beteiligten Amt­sträger dem Vor­wurf der Straf­barkeit aus­set­zen, erscheint dem DIM unstatthaft.
Laut Geset­zen­twurf soll der Fam­i­li­en­nachzug für sub­sidiär Geschützte, zum Beispiel Men­schen aus Kriegs­ge­bi­eten, für zwei Jahre aus­ge­set­zt wer­den. In der Prax­is würde dies mit dem Asylver­fahren und der Bear­beitungszeit für den Antrag auf Zusam­men­führung eine mehrjährige Tren­nung von Fam­i­lien bedeuten. Die dro­hende Aus­set­zung des Fam­i­li­en­nachzugs wird den derzeit­i­gen Trend ver­stärken, dass Kleinkinder, Kinder und Frauen sich auf die lebens­ge­fährliche Fluchtroute und in die Hände von Schleusern begeben. „Mit dieser Poli­tik unter­läuft die Bun­desregierung ihren selb­st gestell­ten Anspruch auf eine zügige Inte­gra­tion in Deutsch­land“, sagt Çal??kan. „Die Zusam­men­führung mit ihrer Fam­i­lie und das Wis­sen um ihre Sicher­heit sind wichtige Voraus­set­zun­gen dafür, dass Geflüchtete Per­spek­tiv­en für das Leben in einem neuen Land entwick­eln und Trau­ma­ta von Krieg und Flucht
ver­ar­beit­en können.“
Schon jet­zt steigt die Zahl verzweifel­ter Asy­lantrag­steller aus Syrien oder dem Irak bun­desweit und auch in Bran­den­burg erschreck­end, die sich bei Aus­län­der­be­hör­den und Beratungsstellen mit dem Wun­sch der ver­meintlich frei­willi­gen Rück­kehr ins Kriegs­ge­bi­et melden. Unter dem Ein­druck der über­lan­gen Dauer, die die Entschei­dung über ihr Asyl­begehren braucht, wollen sie lieber zurück in die Hölle, um dort ihren Fam­i­lien beizuste­hen oder wenn schon dann gemein­sam mit ihnen zu ster­ben. Es ist unseres Eracht­ens ein zynis­ches Kalkül, wenn nun­mehr der Geset­zge­ber die Verzwei­flung solcher­art Betrof­fen­er auf die Spitze und in die Rück­kehrop­tion treibt, indem der Zugang zum Recht auf Fam­i­lien­zusam­men­führung noch weit­er erschw­ert wird.
Das Gez­erre, das sich die Koali­tionäre im Bund in diesem Zusam­men­hang um den Auss­chluss vom Recht auf Fam­i­lien­zusam­men­führung für unbe­gleit­ete min­der­jährige liefern, ist nicht allein mit Blick auf die Betroffenen
zynisch. Der Plan, min­der­jähri­gen Opfern von Kriegs­ge­walt und Ver­fol­gung die Chance auf ein Leben mit ihren nicht min­der schutzbedürfti­gen Fam­i­lien zu ver­weigern, ist nicht nur einge­denk anson­sten gern beschworen­er moralis­ch­er gesellschaftlich­er Werte pein­lich, son­dern ist aus Sicht des Flüchtlingsrates Bran­den­burg auch ein offensichtlicher
Ver­stoß gegen die UN-Kinder­recht­skon­ven­tion und die EU Grun­drechtechar­ta. Auch das Deutsche Insti­tut für Men­schen­rechte ist überzeugt, dass die geplanten Ein­schnitte beim Fam­i­li­en­nachzug gegen Art. 8 EMRK, Art. 6 GG und die UN-Kinder­recht­skon­ven­tion verstoßen.
Tune­sien, Alge­rien und Marokko per Dekret zu sicheren Herkun­ftsstaat­en zu erk­lären, ist nicht mit dem Recht auf ein indi­vidu­elles Asylver­fahren zu vere­in­baren. In diesen Län­dern wer­den u.a. Homo­sex­uelle wegen ihrer sex­uellen Ori­en­tierung vor Gericht gestellt und zu Haft­strafen verurteilt. Der Flüchtlingsrat Bran­den­burg wirft der Bun­desregierung vor, Men­schen­rechtsver­let­zun­gen in diesen Staat­en zu ignori­eren und stattdessen Per­sil-Scheine auszustellen, die dazu führen, dass in den Eil­ver­fahren die Flucht­gründe prak­tisch nicht mehr geprüft wer­den. Die
UN-Arbeits­gruppe zu Willkür­lich­er Haft fand „eine Vielzahl glaub­würdi­ger Berichte über grausame, unmen­schliche oder entwürdi­gende Behand­lung von Gefan­genen oder Inhaftierten“. Folter gehört in allen drei Staat­en zur regelmäßi­gen ord­nungs­be­hördlichen Praxis.
Tune­sien, Alge­rien und Marokko zu “sicheren Herkun­ftsstaat­en” zu erk­lären, ist aus Sicht des Flüchtlingsrates Bran­den­burg rein­ster Pop­ulis­mus. Schon die tat­säch­lichen Asylzahlen recht­fer­ti­gen diesen erneuten Fronta­lan­griff auf das Asyl­grun­drecht in kein­er Weise. Nach den jüng­sten Schutz­zahlen des BAMF für 2015 ergeben sich fol­gende bere­inigte Schutzquoten: Alge­rien 5,1 %; Marokko 8,2 %; Tune­sien 0,4 %. 2015 gab es außer­dem aus diesen drei Staat­en ver­gle­ich­sweise wenige Anträge: Alge­rien 2.240; Marokko 1.747; Tune­sien 923.
Der Flüchtlingsrat Bran­den­burg appelliert
*an die bran­den­bur­gis­chen Abge­ord­neten im Deutschen Bun­destag, den Geset­zen­twür­fen die par­la­men­tarische Zus­tim­mung zu ver­weigern, und
*an die Bran­den­bur­gis­che Lan­desregierung, sich eben­falls nicht für eine im Ergeb­nis inef­fek­tive Sym­bol­poli­tik instru­men­tal­isieren zu lassen, und den Geset­zen­twür­fen im Bun­desrat die Zus­tim­mung zu verweigern!*

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