Ein Besuch auf einer Anti-Hartz-IV-Demo in Brandenburg zeigt: meist
ziemlich wenig. Im Protest unterscheiden manche nicht zwischen links und
rechts
Der Mann in der schwarzen Lederjacke hat am Sonntag ein bisschen seltsam
gewählt. Er muss eine Weile überlegen, wenn er seine zwei Kreuze
begründen soll. Den “Mann in der schwarzen Lederjacke” würde man auf der
Anti-Hartz-IV-Demo in Oranienburg mit dieser Beschreibung schlecht
finden, weil sie auf fast jeden zweiten männlichen Demo-Teilnehmer
zutrifft. Die andere Hälfte wäre mit “der Mann in der Jeansjacke”
treffend beschrieben. Der große bärtige Mann in der schwarzen Lederjacke
sagt: “Dit is im Prinzip, sag ich ma, mehr ne Protestwahl jewesen.”
Deshalb hat er sich für die PDS entschieden. Und für die DVU. Er ist
damit eine Art lebender Beweis für eine gerade medial beliebte These:
Protest ist Protest ist PDS ist DVU ist NPD ist Protest.
Der große bärtige Mann in der schwarzen Lederjacke neigt in der Analyse
seines Wahlverhaltens zu verniedlichenden Formulierungen: “Ich sag ma, n
bisschen DVU war ooch bei.” Er hält eigentlich gar nicht so viel von den
Rechtsextremen — sagt er. Er macht eine wegwerfende Handbewegung, wenn
er von der DVU spricht. Als wären das alles rechte Schwachköpfe. Aber:
“Es muss was passieren, dass die anderen Parteien Dampf kriegen, dass
die ausm Knick kommen.”
Schön, könnte man nun sagen, im Protest scheint links und rechts ja
tatsächlich zu verschwimmen. Und mit “den Ausländern” hat das alles wohl
wirklich wenig zu tun. Wäre da nicht, neben dem Mann in der schwarzen
Lederjacke der Mann in der Jeansjacke. Rainer Siewert hat auch DVU
gewählt. Nur DVU. Aus Gründen der Vernunft. Die DVU hat beispielsweise
gefordert, dass korrupte Politiker in den Knast kommen. “Korrupte
Politiker gehören nun mal in den Knast”, sagt Rainer Siewert mit einem
beinah kindlich-trotzigen Unterton in der Stimme.
Oder noch besser: “Deutsches Geld für deutsche Aufgaben.” Wer würde dem
denn widersprechen. “Was ist daran bitte rechts?”, fragt Rainer Siewert.
“Wenn wir woandas hingehen würden, uns hilft doch ooch keena”, sagt er.
Und meint “die Russen”, die bei ihm um die Ecke im Neubaugebiet wohnen
dürfen, nur weil sie irgendwann mal “einen deutschen Schäferhund
hatten”, in der Verwandtschaft meint er. “Denen gehts besser als jedem
anderen hier.” Deshalb also auch: “Deutsche Arbeitsplätze zuerst für
Deutsche.”
Rainer Siewert tut so, als würde er Sätze sagen wie “Gras ist grün.
Tomaten sind rot.” Er ist Rentner, erwerbsunfähig, saß in der DDR im
Knast, hasst die PDS (“Partei Diktatorischer Schwachköpfe, dit hab ich
mir ausjedacht.”), er sagt: “Ich könnte stundenlang so reden.”
Philipp Becker hat die Demonstration angemeldet. Er ist
IG-Metall-Bevollmächtigter in Oranienburg. Er ist mal durchgegangen
durch die Menge, während die paar hundert Leute vom Arbeitsamt zum
Landratsamt trabten. Er hat sich umgesehen, aber keine Rechtsextremen
entdeckt. Dann überlegt er kurz: “Man sieht es ja auch keinem an.” Auf
zwei der vergangenen Demos hatte man es ein paar Leuten angesehen. Sie
kamen vom “Märkischen Heimatschutz”, das ist eine jener freien
Kameradschaften mit den harmlosen Namen, und sie sind einfach
mitgelaufen und haben bei der Kundgebung ihre Transparente aufgespannt.
Sie wurden ausgepfiffen. Und anschließend haben einige Antifaschisten
gefordert, dass man sie hätte ausschließen müssen und von der Polizei
festnehmen lassen.
Philipp Becker hat das geprüft und festgestellt, dass die Polizei nur
etwas machen kann, wenn die Neonazis verfassungsfeindliche Symbole
tragen oder wenn sie stören. Nun besteht deren Taktik im Augenblick
gerade darin, nicht zu stören. Also konnte man wenig machen. Außer
pfeifen. Rote Trillerpfeifen hat sowieso fast jeder dabei.
Alle haben nicht gepfiffen. Der Mann in der Jeansjacke, der wie so viele
hier leicht nach Alkohol riecht, dessen Augen aber noch ein bisschen
röter sind als die der anderen, er fand das mit dem Pfeifen nicht gut.
Wenn man ständig fordere, dass mehr Jugendliche mitdemonstrieren sollten
bei den Montagsdemos, dann könne man doch nicht, wenn die Jugendlichen
endlich da sind, sie gleich wieder vertreiben. “Da kann nicht ‚Nazis
raus′ gerufen werden”, sagt er. “Wenn die Jugendlichen kommen, dann
sollen sie kommen, egal welche Klamotten sie anhaben, egal welche
Gesinnung sie haben.” Er hat PDS gewählt, nicht DVU.