Selbstkritisch analysieren Innensenator Körting und Polizeiführung im
Innenausschuss den Einsatz am 1. Mai. Deeskalation soll trotz einzelner
Probleme Konzept bleiben. Nur CDU und FDP hängen an alten
Beschuldigungsritualen
Dem Ritual des 1.-Mai-Krawalls folgt das Ritual des ideologischen
Schlagabtauschs im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Dem war auch
gestern so: Abgeordnete der CDU verglichen die Ausschreitungen in
Kreuzberg
mit Bürgerkriegsszenarien in Beirut und Belfast und wünschten sich den
früheren CDU-Innensenator Eckart Werthebach und dessen Demoverbote
wieder
her. Die FDP behauptete, dass vom Bezirk organisierte “MyFest” sei
mitschuldig, weil Steinewerfer unter den Feiernden Deckung gefunden
hätten.
The same procedure as every year? Nicht ganz. Das lag vor allem an der
Polizeiführung, die offen und selbstkritisch wie selten die Karten auf
den
Tisch legte. SPD, PDS und Grüne dankten es, indem sie Polizeipräsident
Dieter Glietsch und Innensenator Ehrhart Körting (SPD) den Rücken
stärkten,
mit der Deeskalation fortzufahren.
“Es gibt bei diesem 1. Mai Licht und Schatten”, resümierte Körting. Die
“Strategie der ausgestreckten Hand” sei trotzdem absolut richtig
gewesen.
Als Erfolg wertete er, dass alle Demonstrationen ohne nennenswerte
Zwischenfälle endeten. Kurzzeitig hatte die Polizei überlegt, die aus
Mitte
kommende zweite revolutionäre Demonstration nicht über die Spree zu
lassen,
weil in Kreuzberg schon die Randale tobte — dann aber aufgrund
schlechter
Erfahrungen im Vorjahr anders entschieden.
Wegen der gezielten Übergriffe von rund 200 jungen Türken, Arabern und
Deutschen, mit denen die Straßenschlacht begann, kündigte Körting für
die
Zukunft ein entschlosseneres Vorgehen an. Die Polizei sei teilweise
nicht
schnell genug vor Ort gewesen, räumte Glietsch mit Blick auf ein
demoliertes
Autohaus an der Mariannenstraße und die Randale in der Muskauerstraße
ein.
Das müsse sich ändern. Der Autohändler hat gegen die Polizei inzwischen
Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung erstattet.
Frank Henkel (CDU) sagte, ein BGS-Einsatzleiter sei stinksauer gewesen,
dass
er auf Weisung von oben nicht gegen die Randalierer am Autohaus hätte
vorgehen dürfen. Glietsch entgegnete: Eine Weisung zum
Nichteinschreiten sei
nicht Bestandteil des Polizeikonzeptes gewesen.
Polizeiführer Alfred Markowski, der den Gesamteinsatz geleitet hatte,
wies
darauf hin, dass Kreuzberg 36 bei dem Einsatz in drei Zonen unterteilt
war.
Die südliche, in der es zum überraschenden Gewaltausbruch kam, sei
einem
Einsatzleiter aus Niedersachsen unterstellt gewesen. “Seien Sie so
fair, und
geben Sie uns die Chance, das gründlich auszuwerten.” Die von den
Polizeigewerkschaften geäußerte Behauptung, die Polizeiführung sei vom
Senat
zur Deeskalation gezwungen worden, wies Markowski entrüstet zurück: Das
zu
behaupten, sei “ehrenrührig”. Er stehe voll hinter dem Konzept, das er
selbst mit erarbeitet habe.
Von den am 30. April und 1. Mai 196 Festgenommenen stammen 146 aus
Berlin,
14 aus Brandenburg. 171 haben die deutsche Staatsbürgerschaft. 39
Haftbefehle wurden erlassen. Fünf der Festgenommenen werden vom
Staatsschutz
dem rechtsextremistischen Lager zugeordnet.