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Antifaschismus

18-jähriger Cybernazi aus Potsdam plante offenbar Anschlag

Ermittler:innen des Staatss­chutzes des Lan­deskrim­i­nalamtes Bran­den­burg rück­ten am 3. Juni, ver­gan­genen Fre­itag, mit einem Haft­be­fehl bei einem jun­gen Neon­azi in Pots­dam an. Auch Spezialein­satzkräfte der Polizei waren im Ein­satz, weil bei dem Jugendlichen Waf­fen ver­mutet wor­den waren. Der 18-Jährige soll recht­ster­ror­is­tis­che Anschläge vor­bere­it­et haben. Seit Monat­en ermit­telte die Gen­er­al­staat­san­waltschaft Bran­den­burg gegen den Mann „wegen des Ver­dachts der Vor­bere­itung ein­er schw­eren staats­ge­fährden­den Gewalt­tat in Verbindung mit Ver­stoß gegen das Sprengge­setz sowie des Ver­wen­dens von Kennze­ichen ver­fas­sungswidriger Organisationen“.

Ermittler:innen ver­muteten, dass sich der Verdächtige sowohl Anleitun­gen zum Bau von Waf­fen, Muni­tion und Sprengkör­pern als auch Chemikalien zum Bau von Sprengsätzen ver­schafft hat­te. Er soll bere­its mehrere soge­nan­nte unkon­ven­tionelle Spreng- und Brand­vor­rich­tun­gen gebaut und mit diesen erste Sprengver­suche durchge­führt haben.

Die Ermittler:innen durch­sucht­en Wohn‑, Geschäfts- und Neben­räu­men. Dort wurde ihr Ver­dacht bestätigt. Sie fan­den „Daten­träger sowie Anleitun­gen zum Bau von Sprengvor­rich­tun­gen“, wie die Gen­er­al­staat­san­waltschaft und Polizei in ein­er gemein­samen Pressemit­teilung erk­lärten. Das Amts­gericht Bran­den­burg an der Hav­el verkün­dete den Haftbefehl.

Ter­ror­gram: „Toten­waf­fen“
Der Festgenommene soll aus der Szene des Akzel­er­a­tionis­mus kom­men. Nach ein­er recht­sex­tremen Auf­fas­sung von Akzel­er­a­tionis­mus sind west­liche lib­erale Demokra­tien irrepara­bel kor­rupt und dem Unter­gang gewei­ht. Daher sei es notwendig, den Zusam­men­bruch aktiv zu beschle­u­ni­gen, um auf der Asche der alten Ord­nung einen weißen „Eth­nos­taat“ nach den Vorstel­lun­gen der White Suprema­cy (Weiße Vorherrschaft) gestal­ten zu kön­nen. Um dieses Ziel zu erre­ichen, ist jedes Mit­tel recht. Auch jegliche Form ide­ol­o­gisiert­er Gewalt wird befür­wortet, um die Gesellschaft weit­er zu spal­ten. Über lose dig­i­tale Net­zw­erke ver­suchen Aktivist:innen online Mit­glieder zu Offline-Atten­tat­en zu bewe­gen. Sie befür­worten vor allem Auf­se­hen erre­gende Gewalt­tat­en gegen Min­der­heit­en, die zu Nachah­mungstat­en inspiri­eren und eine Ket­ten­reak­tion her­vor­rufen sollen, an deren Ende ein soge­nan­nter „Rassenkrieg“ steht.

Auch der jet­zt Festgenommene soll Teil eines solchen Net­zw­erks gewe­sen sein: Der 18-Jährige war nach Tagesspiel-Infor­ma­tio­nen in einem Chat namens „Toten­waf­fen“ aktiv. Jene Gruppe kommt aus dem Umfeld der „Atom­waf­fen Divi­sion“ – ein inter­na­tion­al agieren­des Neon­azi-Net­zw­erk mit sehr jun­gen Mit­gliedern. Ide­ol­o­gisch bezieht sich dieses akzel­er­a­tionis­tis­che Net­zw­erk auf das Buch „Siege“ des US-Neon­azis James Man­son und den recht­sex­tremen Roman „The Turn­er Diaries“, der den durch Ter­ro­ran­schläge her­beige­führten Unter­gang der bürg­er­lich-lib­eralen Gesellschaft zum Inhalt hat.

Die „Toten­waf­fen Divi­sion“ ver­suchte seit ger­aumer Zeit neue Mit­glieder zu rekru­tieren. Der Jour­nal­ist und Szene-Beobachter Sören Musyal erwäh­nte bere­its Ende 2021 die „Toten­waf­fen“ und beschrieb deren Rekru­tierungsar­beit: „Im Frage­bo­gen, der per Mail beant­wortet wer­den soll, wird u.a. danach gefragt, welchen eth­nis­chen Hin­ter­grund man hat, ob man Waf­fen besitzt, beim Mil­itär war, Hitlers ‘Mein Kampf‘ gele­sen hat und wie man sich die Welt nach der Rev­o­lu­tion vorstellt.“ Zudem soll­ten Bewer­ber ein Foto mitschick­en, auf dem sie einen Zettel mit dem eige­nen Namen hochhal­ten. Min­destens eine weiße Hand soll dabei ein­wand­frei erkennbar sein, um sicherzustellen, dass sich hier nur weiße Men­schen bewerben.

Ein Pro­pa­gan­davideo zeigt eine Per­son auf einem ehe­ma­li­gen Kaser­nen­gelände in Potsdam
In dem inzwis­chen gelöscht­en Telegram-Kanal der „Toten­waf­fen“ wur­den Pro­pa­gan­da-Memes, Bilder und Videos ver­bre­it­et. Ein Rekru­tierungs-Video zeigt neben NS-Glo­ri­fizierung und anti­semi­tis­chen Mor­daufrufen auch Sprengstof­f­ex­plo­sio­nen. Laut dem Doku­men­ta­tions-Vere­in democ. wurde min­destens eine dieser Spren­gun­gen auf dem ehe­ma­li­gen Kaser­nen­gelände Kramp­nitz in Pots­dam durchge­führt. Auch eine Per­son ist in diesem Video auf der dem Grund­stück der ehe­ma­li­gen Kaserne zu sehen. Die ehe­ma­lige Heeres-Reitschule wurde in den 1930er-Jahren erbaut. Vor Ort waren am Sam­stag noch mut­maßlich Spuren der Spren­gung sicht­bar, berichtet democ. gegenüber Belltower.News.

Gegrün­det wurde der „Totenwaffen“-Telegram-Kanal Ende 2020 und hat­te zu Hochzeit­en über 100 Mit­glieder. Laut einem Bericht von Ash­ley Matthe­is über die „Atom­waf­fen Divi­sion“ und ihr Ver­hal­ten auf Telegram von April 2022 gab es nur eine Per­son, die Inhalte in „Toten­waf­fen“ postete. Ob es sich bei der pos­ten­den Per­son um den nun inhaftierten han­delt, ist bish­er unbekan­nt. Hauptziel dieses Kanals war die Rekru­tierung neuer Mitglieder.

Who is behind the Rise of Transgenderism?”
Das Rekru­tierungs­ma­te­r­i­al gibt einen Ein­blick in die Ide­olo­gie und Organ­i­sa­tion der Ter­ror­gruppe. Ein Sharepic, das auf einen inzwis­chen gelöscht­en Telegram-Kanal und einen eben­falls nicht mehr vorhan­de­nen Dis­cord-Serv­er-Serv­er ver­weist, legt den „Siege­s­plan“ der „Toten­waf­fen“ dar.

Es emp­fiehlt dem ange­hen­den Recht­ster­ror­is­ten, über „unsere Kom­mu­nika­tion­s­mit­tel“, also das Inter­net, andere „Weiße Rev­o­lu­tionäre“ zu find­en und sich so zu ver­net­zen. Der näch­ste Schritt stellt die Organ­i­sa­tion in der recht­sex­tremen Ter­rorzelle dar. Die zukün­fti­gen Ter­ror­is­ten soll­ten die entsprechende Lit­er­atur und Kun­st studieren und ver­bre­it­en – expliz­it erwäh­nt wer­den die Klas­sik­er der Neon­azi-Lek­türe wie „Mein Kampf“ oder James Masons‘ „Siege“. Außer­dem sei es eine zwin­gende Notwendigkeit, Waf­fen zu erwer­ben: „Jed­er Weiße muss bewaffnet und bere­it sein!“ Der let­zte Schritt ist die Ver­nich­tung der „Feind:innen unser­er Rasse“: Juden, Nichtweiße, „Rassenverräter:innen“, Lib­erale, Linke, Marxist:innen. Es wird expliz­it dazu aufgerufen, diesen Men­schen das größt­mögliche Leid zuzufügen.

Auch ein weit­eres Bild ruft expliz­it zum Mord an Schwarzen, Juden, Homo­sex­uellen oder Kommunist:innen auf, ein drittes zeigt zwei bewaffnete Fig­uren und trägt die Auf­schrift „Wo auch immer wir gehen – es wird keine Gnade geben“. Ein anderes Bild bezieht sich expliz­it auf akzel­er­a­tionis­tis­che Umsturz­pläne. „Wenn es keinen Ort mehr gibt, zu dem man fliehen, und keinen Ort mehr gibt, an dem man sich ver­steck­en kann, hilf‘ dem Sys­tem zu kol­la­bieren“, ste­ht dort, außer­dem ein Hak­enkreuz, das Toten­waf­fen-Logo und die Auf­forderung, sich der lokalen Nazi-Bande anzuschließen.

Gekränk­te Männlichkeit
Faschis­tis­che Männlichkeits­bilder haben in den Telegramkanälen der Szene Hochjunk­tur, da der Akzel­er­a­tionis­mus nicht nur eine Ide­olo­gie der Weißen, son­dern auch der männlichen Vorherrschaft ist, und vor allem gekränk­te junge Män­ner anspricht. Es zeigt einen blonden jun­gen Mann, daneben der Schriftzug „Nation­al­sozial­is­mus ist Diszi­plin.“ Dies bezieht sich auf das Ide­al­bild des diszi­plin­ierten, kör­per­lich und emo­tion­al abge­härteten Sol­dat­en, stets bere­it, für seine Rasse in den Ver­nich­tungskrieg zu ziehen. Inte­graler Bestandteil faschis­tis­ch­er Männlichkeits­bilder ist das gewalt­tätige Abspal­ten alles weib­lich und queer konnotierten. 

Der akzel­er­a­tionis­tis­che Krieger muss für ihn weibis­che Lächer­lichkeit­en wie Gefüh­le oder Skru­pel, anderen Gewalt zufü­gen, über­wun­den haben. Wie der Kul­tur­wis­senschaftler Klaus Theweleit in Män­ner­fan­tasien, analysiert, fühlt sich der sol­datis­che Kämpfer von Frauen oder queeren Men­schen konkret in sein­er eige­nen Iden­tität bedro­ht, da sie ihn auf jene poten­zielle Zer­brech­lichkeit und „Weich­heit“ hin­weisen, die ihm zuwider ist. Es ist deswe­gen nicht ver­wun­der­lich, dass „Toten­waf­fen“ expliz­it zum Mord an Homo­sex­uellen aufrufen, deren Begehren als Resul­tat ein­er degener­ierten Mod­erne begrif­f­en wird, der eine ver­meintlich ursprüngliche, rohe Männlichkeit gegenübergestellt wird. Deutsche Männlichkeit gegen jüdis­che, queere nicht-Männlichkeit: Im Recht­sex­trem­is­mus fall­en Anti­semitismus und Queer­feindlichkeit regelmäßig ineinan­der. Ein Stick­er der Gruppe, der auch in Berlin verklebt wurde, macht dies deutlich. 

Anti­semitismus und Trans­feindlichkeit auf einem Stick­er in Berlin
Der Slo­gan fragt: „Who is behind the Rise of Trans­gen­derism”, also, wer die treibende Kraft hin­ter Trans­geschlechtlichkeit sei. Außer­dem die Schriftzüge „Join Toten­waf­fen“ und „Save your future kids“, in der Mitte ein Hak­enkreuz und eine Schwarze Sonne und Dat­en zur Kon­tak­tauf­nahme. Wer hin­ter der Trans­geschlechtlichkeit stecke, wird eben­falls im Stick­er angedeutet: in der oberen recht­en Ecke ist eine Liste mit Namen jüdis­ch­er LGTBQ-Aktivist:innen.

Dies ist ein Bezug auf die recht­sex­treme Ver­schwörungside­olo­gie des „Großen Aus­tausch“, die sich von der AfD über die soge­nan­nte „Iden­titäre Bewe­gung“ bis hin zu Recht­ster­ror­is­ten unge­broch­en­er Beliebtheit erfreut und Moti­va­tion hin­ter den recht­ster­ror­is­tis­chen Anschlä­gen von Christchurch, Halle, Hanau oder Buf­fa­lo war. Diese Ide­olo­gie, die auf zahlre­ichen Ver­satzstück­en anti­semi­tis­ch­er, antifem­i­nis­tis­ch­er, antikom­mu­nis­tis­ch­er und ras­sis­tis­ch­er Ver­schwörungsnar­ra­tive basiert, besagt, dass eine ange­bliche Elite, die im Hin­ter­grund agiert, daran arbeit­et, die weiße Mehrheits­bevölkerung des glob­alen West­ens mit nichtweißen, und nicht-christlichen Men­schen, haupt­säch­lich aus dem glob­alen Süden zu erset­zen. Während diese ange­blichen „Eliten” zum Beispiel beim Erfind­er des „Großen Aus­tauschs“, dem franzö­sis­chen neurecht­en The­o­retik­er Renaud Camus, unbe­nan­nt bleiben, ver­ste­hen Recht­sex­treme die Chiffre genau: Juden und Jüdin­nen sind ver­ant­wortlich. Nicht nur für den ange­blichen Bevölkerungsaus­tausch, son­dern sie sind auch die treibende Kraft hin­ter Fem­i­nis­mus und „LGBTQ-Lob­by“, die den „Großen Aus­tausch“ ange­blich kul­turell vorantreiben. Die Verknüp­fung von Jüdis­ch­sein und Queer­ness ist nicht neu – bere­its im Fin de Siè­cle, vor allem aber nach der deutschen Nieder­lage im ersten Weltkrieg wur­den jüdis­che Män­ner als homo­sex­uell, „weibisch“ und kör­per­lich schwach dargestellt, jüdis­che Frauen hinge­gen als intellek­tuelle Flinten­weiber – bei­des Gegen­pole zu den ide­alen arischen Geschlechter­bildern gestählter Män­ner und gebär­williger Frauen. Ger­ade in den let­zten Jahren hat durch kon­se­quent trans­feindliche Pro­pa­gan­da, die von Recht­saußen bis in den kon­ser­v­a­tiv­en Main­stream reicht, das Nar­ra­tiv ein­er „Translob­by“, die gezielt Kinder und Jugendliche indok­trinieren würde, großflächige Ver­bre­itung gefun­den. In ein­er Aus­sage wie „Who is behind the Rise of Trans­gen­derism?” wird der struk­turelle Anti­semitismus, der hin­ter dem Ger­aune ein­er finanzs­tarken Organ­i­sa­tion steckt, die unschuldige Kinder in die Degen­er­a­tion ver­führen würde, kon­se­quent zu Ende gedacht.

Wie konkret die Anschlagspläne des nun festgenomme­nen mut­maßlichen Ter­ror­is­ten waren, bleibt bish­er unklar. Doch da er sich bere­its bei ersten Sprengver­suchen filmte, kön­nen wir wohl davon aus­ge­hen, dass der näch­ste Schritt, näm­lich Men­schen zu ver­let­zen, möglicher­weise sog­ar zu töten, gar nicht mehr so weit ent­fer­nt war.

Seit eini­gen Jahren war­nen Expert:innen vor der vir­u­len­ten Gefahr des Online-Recht­ster­ror­is­mus: In ver­schiede­nen Online-Net­zw­erken hat sich eine recht­ster­ror­is­tis­che Sub­kul­tur entwick­elt, die pop­kul­turelle Ele­mente adap­tiert und sich eigen­er Codes, Bilder und Sprache bedi­ent. Vor allem Jugendliche find­en über diese Net­zw­erke den direk­ten Weg in den gewalt­bere­it­en Teil der Szene, ohne zuvor per­sön­liche Kon­tak­te zu Recht­sex­tremen zu haben. Dieses Phänomen ist rel­a­tiv neu. Wir haben es hier mit gewalt­bere­it­en Neon­azis zu tun, die jedoch nicht einge­bet­tet in klas­sis­che recht­sex­treme Struk­turen sind. Häu­fig wer­den sie als Einzeltäter beze­ich­net, das verken­nt jedoch das inter­na­tionale Net­zw­erk dieser dig­i­ta­laffinen Gruppe. Und so scheint auch der nun festgenommene Pots­damer gut ver­net­zt in die ter­ror­is­tis­chen Struk­turen der „Atom­waf­fen Division“. 

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