(Berliner Zeitung, Katrin Bischoff) Genau 32 Kränze lagen auf den sechs Massengräbern gleich neben dem
ehemaligen Krankenrevier des einstigen Konzentrationslagers Sachsenhausen.
Vertreter der Länder Brandenburg und Berlin, von Parteien und
Opferorganisationen haben sie dort am Donnerstag niedergelegt — zum Gedenken
an die Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns und des Völkermordes.
Blumengebinde gab es auch von den brandenburgischen Landtagsfraktionen von
SPD, PDS und CDU. Ein Kranz aber fehlte: der der rechtsextremen DVU. Die
Mitglieder der Fraktion durften nicht dabei sein.
Noch am Mittwoch waren alle Abgeordneten des brandenburgischen Landtages zu
der offiziellen Gedenkfeier anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des
KZ Auschwitz eingeladen worden. Auch die sechs DVU-Parlamentarier, die
jahrelang die Teilnahme an dieser Veranstaltung verweigert hatten, sagten
nun zu und verkündeten, “dass die KZ-Barbarei mit dem Untergang der
NS-Diktatur nicht vorbei war”.
Doch kurz darauf erhielt die DVU-Fraktion ein Schreiben. “In Ausübung
unseres Hausrechts sprechen wir Ihrer Fraktion, in Absprache mit dem
Präsidenten des Landtages, ein Hausverbot für die Gedenkstätte aus”, zitiert
die DVU mit Genugtuung aus dem vom Direktor der Gedenkstättenstiftung,
Günter Morsch, unterzeichneten Schreiben. Dessen rechtliche Korrektheit ist
in der Tat strittig — üblich sind Hausverbote nur für einzelne Personen und
nicht für eine ganze Fraktion.
Angeregt hatte das Verbot Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) mit
Unterstützung der PDS und CDU. Fritsch hatte offenbar Angst vor einem Eklat,
wie ihn die NPD im sächsischen Landtag mit der gegenteiligen Strategie
provoziert hatte. Dort hatten die Neonazis vor der Schweigeminute für die
Opfer des NS-Regimes den Landtag verlassen. Es sei nicht auszuschließen
gewesen, dass wegen der Teilnahme der DVU Opferverbände die
Gedenkveranstaltung in Sachsenhausen verlassen hätten, fürchtete Fritsch.
Bis zuletzt war unklar, ob Mitglieder der DVU-Fraktion nun trotzdem
versuchen würden, an der Kranzniederlegung teilzunehmen. Polizisten standen
vor den Toren der Gedenkstätte bereit, um einzugreifen. Gekommen ist
niemand. Doch auch durch ihr Fernbleiben hat die DVU ihr Ziel erreicht. Sie
wollte Aufmerksamkeit erregen. Das ist ihr gelungen.
DVU musste draußen bleiben
Hausverbot für rechtsextreme Partei in Sachsenhausen nach Provokation
/Gedenkveranstaltungen im ganzen Land
(MAZ, Stephan Breiding) POTSDAM/SACHSENHAUSEN Wer bislang glaubte, der dumpf-nationale Populismus der DVU sei der
militanten Fremdenfeindlichkeit der NPD immer noch vorzuziehen, musste in
den letzten Tagen feststellen, dass der seit Monaten praktizierte
Schulterschluss der beiden rechtsextremen Parteien die Unterschiede immer
mehr verwischt. Die DVU driftet immer mehr zu radikalen NPD-Positionen ab.
In der vergangenen Woche sorgte die NPD im sächsischen Landtag für einen
Eklat, als sie anlässlich des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
auch an die “Opfer des alliierten Bomben-Holocaust” erinnerte. Die hiesige
DVU nahm sich daran ein Beispiel und kündigte an, bei den gestrigen
zentralen Gedenkveranstaltungen des Landes anlässlich der Befreiung des
Vernichtungslagers Auschwitz vor 60 Jahren auch der Opfer der
Gewaltherrschaft nach 1945 gedenken zu wollen. Ein provozierter Affront, für
den sie umgehend von den Feierlichkeiten ausgeladen wurden — um sich
daraufhin larmoyant zu beschweren, dass “gewählte DVU-Volksvertreter per
Hausverbot daran gehindert werden, KZ-Opfern die Ehre zu erweisen”.
Um das Hausverbot scherte sich die rechtsextreme Partei ohnehin nicht. Der
DVU-Landtagsabgeordnete Michael Claus musste gestern von Ordnern der
Gedenkstätte zum Verlassen des Geländes aufgefordert werden. Und
Fraktionssprecher Thilo Kabus machte klar, dass der Kranz zum Gedenken an
“alle KZ-Opfer” auf jeden Fall in der Gedenkstätte abgelegt werde. Die
Selektion von KZ-Opfern in solche, die erinnerungswürdig und solche, die zu
vergessen sind, zeuge “von moralischer Verkommenheit”, ließ DVU-Bundeschef
Gerhard Frey entrüstet per Pressemitteilung erklären.
Für Horst Seferens, Sprecher der Gedenkstätte Sachsenhausen, war klar, dass
die DVU nicht wirklich gedenken, sondern nur provozieren wollte. “Mit ihrer
Presseerklärung haben sie deutlich gemacht, dass sie die Gedenkveranstaltung
für ihre revisionistische Propaganda missbrauchen wollten.” Ein Auftritt der
DVU hätte die Gefühle von Überlebenden und Hinterbliebenen schwer verletzt,
so Seferens.
Im Übrigen sei die Unterstellung der DVU, dass der Opfer von sowjetischer
Willkür nicht gedacht werde, eine Unverschämtheit, ärgert sich Seferens.
Seit 2001 gebe es auf dem Gedenkstättengelände ein neu erbautes Museum, das
auf 600 Quadratmetern über die Geschichte des “Sowjetischen Speziallagers
Sachsenhausen” von 1945 bis 1950 informiere. Und mit dem 16. August gebe es
auch einen Gedenktag, an dem speziell der Opfer dieses Lagers gedacht werde,
so Seferens.
Dabei müsse man gerade bei dem Speziallager genau unterscheiden, wer Opfer
und wer Täter war. So seien nach Kriegsende wahllos kleine und mittlere
NS-Funktionäre, angebliche Werwolfmitglieder und auch völlig Unschuldige vom
sowjetischen Geheimdienst NKWD interniert worden.
Allerdings hätten im “Sowjetischen Speziallager” in Sachsenhausen auch
Angehörige des Reservepolizeibataillons 9 gesessen, die während des Krieges
an Massenerschießungen von Juden in Ost€pa beteiligt gewesen waren. Ein
prominenter Gefangener war auch Medizinprofessor Hans Heinze, der als Leiter
der Psychiatrischen Landesanstalt Brandenburg-Görden zwischen 1938 und 1945
maßgeblich an der Planung und Durchführung der “Kinder-Euthanasie” beteiligt
war.
Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) verwies bei der Kranzniederlegung
gestern auf die Einstimmigkeit, mit der alle “demokratischen Parteien des
Brandenburger Landtags” den Ausschluss der DVU von den Feierlichkeiten mit
tragen würden. CDU-Generalsekretär Sven Petke nannte das Hausverbot einen
“folgerichtigen Schritt”. “Mit einer Kranzniederlegung will die
rechtsextreme Partei über ihre wahren politischen Absichten unter der
Deckmaske der Bürgerlichkeit hinweg täuschen.” An der zentralen Feier in der
Gedenkstätte Sachsenhausen nahmen mehr als 300 Menschen teil, darunter
Abgeordnete der Parlamente von Brandenburg und Berlin, Hinterbliebene und
Überlebende des Nationalsozialismus.
In einem ehemaligen Zellenbau des Konzentrationslagers Sachsenhausen wurde
die Sonderausstellung “Persönlicher Gefangener Adolf Hitlers” über den
evangelischen Theologen Martin Niemöller eröffnet. Niemöller war dort von
1938 bis 1941 in Einzelhaft. Sein Sohn, Heinz Hermann Niemöller, sagte:
“Heute kann man von meinem Vater noch lernen, sich auch dann für seine
Mitmenschen einzusetzen, wenn man formell nicht betroffen ist.”
Landtagspräsident Fritsch nannte Niemöller eine der herausragendsten
Persönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts, “da er als Opfer des Nazi-Regimes
sich auch die Frage der Mitschuld gestellt hat”.
Auch im ehemaligen Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück wurde der
Befreiung von Auschwitz gedacht. Gottesdienste und Gedenkveranstaltungen gab
es auch in Kyritz, Rathenow, Brandenburg/Havel, Neuruppin und Luckenwalde.